1. Was bedeutet es, von Schöpfung zu sprechen
Wer von Schöpfung spricht, der verwendet keinen neutralen, beschreibenden Begriff um sich und das Dasein um sich herum zu beschreiben. Schöpfung impliziert eine schöpferische Kraft auf der einen und etwas Geschaffenes auf der anderen Seite. Es handelt sich also um einen ganz spezifischen Blick auf die Welt. Von Schöpfung – statt z. B. von Natur – zu sprechen, ruft unmittelbar Fragen hervor: Wer hat denn was geschaffen? Hätte das, was geschaffen wurde, genauso gut auch nicht oder anders geschaffen werden können? Ist der Schaffensprozess abgeschlossen oder offen? War es ein einmaliger Akt oder tatsächlich ein dynamischer Prozess? Welche Rolle spielt der*die Erschaffende und welche die Geschaffenen? Gibt es eine schöpferische Kraft oder mehrere? Wie wird überhaupt geschaffen und wozu? Steht die anerkannte Evolutionstheorie im Widerspruch zur Erschaffung der Welt durch eine schöpferische Kraft? Wer oder was könnte diese Kraft sein? Und was ist mit der Urknall-Theorie? Wurde nur eine Welt geschaffen – unsere? Oder mehrere? Woraus wurde geschaffen? Aus dem Nichts? Und was bedeutet es, wenn wir davon ausgehen würden, dass unser Planet mit guten Gründen geschaffen wurde und im Dasein erhalten werden soll, nun aber durch uns selbst bedroht ist, mitunter ganze Arten aussterben? Woher wissen wir überhaupt etwas über die Vorstellung einer geschaffenen Welt? Welche Quellen liegen hier zugrunde?
Allein an dieser Auswahl von Einzelfragen wird deutlich, dass das Thema Schöpfung sehr komplex ist. Viele weitere Themen der Theologien und Naturwissenschaften hängen mit ihm zusammen. Je nachdem, wie die ein oder andere Frage beantwortet wird, werden Weichen für die anderen Antwortmöglichkeiten gestellt. Es ist also keineswegs trivial, ob davon ausgegangen wird, dass die Welt von einer Schöpferg*ttheit erschaffen wurde und kontinuierlich – auch heute noch – im Dasein begleitet und gehalten wird (creatio continua), oder ob man davon ausgeht, dass es entweder gar keine Schöpferg*ttheit geben kann, oder ob man eine einst geschaffene und längst abgeschlossene Schöpfung annimmt, die sich jetzt selbst überlassen ist.
2. Die Frage nach dem Ursprung und Sinn vereint die Menschen
Seit es Menschen gibt, fragen sich diese nach dem Ursprung der Welt. Uns treibt seit jeher die Frage an, warum es etwas gibt und nicht nichts, woher wir kommen, was vor uns war und wozu wir auf der Welt sind. Die Fragen nach dem Sinn und Ursprung allen Seins ist also eine ganz alte Frage. Eine Frage, die nicht abschließend beantwortet werden kann. Vielmehr liegen zahlreiche Antwort-, Deutungs- und Interpretationsversuche vor – und zwar in allen Kulturen und Religionen. Erste Schöpfungsmythen, d. h. überlieferte Erzählungen und Geschichten über die Erschaffung der Welt, kennen wir beispielsweise von einem Volk aus Mesopotamien, den Sumerer*innen, aus der Zeit 3000 v. Chr. Alle Religionen und Kulturen unternehmen eigene Antwortversuche, um die Frage nach dem Ursprung und Sinn allen Seins zu beantworten. Das Christentum stellt hier keine Ausnahme dar.
3. Christliche Perspektive: Vom Dasein G*ttes in der Schöpfung
Das Christentum ist eine monotheistische1Vgl. Bauks, Michaela, Art. Monotheismus (AT), in: WiBiLex, 2011 (https://www.die-bibel.de/ressourcen/wibilex/altes-testament/monotheismus-at), abgerufen am 10. Februar 2025. Religion, eine abrahamitische2Vgl. Tautz, Monika, Art. Abraham, interreligiös, in: WiReLex, 2017 (https://www.die-bibel.de/ressourcen/wirelex/7-inhalte-iv-didaktik-der-religionen/abraham-interreligioes), abgerufen am 05.04.2025. Religion, eine Offenbarungsreligion und zugleich eine Buchreligion. Was bedeutet dies für das Thema Schöpfung? Das Christentum geht davon aus, dass es gute Gründe für die Existenz eines G*ttes gibt – und zwar nur eines, nicht mehrerer. Diese G*ttheit hat sich der Welt offenbart, wie es bereits in den ersten Kapiteln der Heiligen Schrift, der Hauptquelle des Christentums, bezeugt ist (z. B. Ex 3,14Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: »Ich werde sein«, der hat mich zu euch gesandt.Zur Bibelstelle). Gleich zu Beginn der Heiligen Schrift stellt sich G*tt den Menschen mit den Worten „Ich-bin-da“ (Ex 3,14Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: »Ich werde sein«, der hat mich zu euch gesandt.Zur Bibelstelle; BigS) vor. Dasein scheint also die Grundaussage G*ttes zu sein. Ein naher G*tt, der ohne zeitliche oder örtliche Beschränkung (einfach) da ist. Damit ist zugleich eine Beziehungsaussage getroffen, denn dieser G*tt ist nicht für sich selbst da, sondern ist präsent in seiner*ihrer Schöpfung. Zugleich ist G*tt nicht nur in der geschaffenen Welt anwesend (immanent), sondern überschreitet diese auch, ist ein G*tt, der*die größer ist als die Welt (transzendent).3Vgl. Büttner, Gerhard, Art. Transzendenz (und Immanenz), in: WiReLex, 2017 (https://www.die-bibel.de/ressourcen/wirelex/6-inhalte-iii-systematisch-theologische-didaktik/transzendenz-und-immanenz), abgerufen am 05.04.2025. In der gesamten Heiligen Schrift gibt es zahlreiche Zeugnisse von direkten und indirekten Offenbarungserlebnissen. Die meisten dieser Offenbarungserfahrungen sind auch für die anderen beiden Offenbarungsreligionen – das Judentum und den Islam – sehr wichtig. Für das Christentum ist der Höhepunkt der Offenbarung die Menschwerdung G*ttes in Jesus Christus – bezeugt im zweiten Testament.4Vgl. Dormeyer, Detlev, Art. Jesus Christus, in: WiBiLex, 2012 (https://www.die-bibel.de/ressourcen/wibilex/neues-testament/jesus-christus), abgerufen am 05.04.2025.
Weiterführende Infos WiBiLex
Eine exegetische Einführung zu den Schöpfungskonzeptionen im Ersten Testament findet sich hier: Schellenberg, Annette, Art. Schöpfung (AT), in: WiBiLex (https://www.die-bibel.de/ressourcen/wibilex/altes-testament/schoepfung-at), abgerufen am 05.04.2025.
Zur Schöpfung im Zweiten Testament vgl. Shoukry, Zacharias, Art. Schöpfung (NT), in: WiBiLex (https://www.die-bibel.de/ressourcen/wibilex/neues-testament/schoepfung-nt), abgerufen am 05.04.2025.
3.1. Schöpferische Dreieinigkeit (Trinität)
Allerdings, und dies ist wichtig, gehen Christ*innen nicht davon aus, dass Jesus Christus wie die übrige Welt erschaffen wurde. Dem Bekenntnis von Nicäa folgend ist es Teil der christlichen Überzeugungen, dass Jesus Christus, der Sohn G*ttes, schon seit Ewigkeit mit dem Vater existierte wie auch der Heilige Geist. Es gab also keine Situation, in der G*tt noch kein trinitarischer G*tt war. Vater, Sohn und Heiliger Geist gehören zusammen. Wenn man davon spricht, dass G*tt die Welt erschaffen habe, ist damit aus christlicher Perspektive die dreieine G*ttheit aus Vater-Sohn-Heiliger Geist gemeint (vgl. Art. Trinität).
Weiterführende Infos
Der Text des Bekenntnisses von Nicäa sowie weitere Informationen finden sich hier: https://www.ekd.de/glaubensbekenntnis-von-nizaa-konstantinopel-10796.htm, abgerufen am 05.04.2025.
3.2. Schöpfungstheologien schließen von der Welt auf G*tt
Religiöse Weltdeutungen, d. h. die Rückbindung der erfahrbaren Welt an ein die Welt überschreitendes Wesen, sagen immer auch etwas über dieses Wesen, diese G*ttheit aus. Deshalb ist jede Rede und Lehre von der Schöpfung auch eine Rede und Lehre über den*die Schöpfer*in – also Schöpfungstheologie. Da der Deutungs- und Forschungsprozess über das Verhältnis von Schöpferg*ttheit zu geschaffener Welt ein unabgeschlossenes und dynamisches Unterfangen ist, liegen vielfältige schöpfungstheologische Entwürfe vor. Es ist daher angezeigt, von Schöpfungstheologien (im Plural) zu sprechen.
4. Die Schöpfungserzählungen im Buch Genesis
Hauptquellen christlicher Schöpfungstheologien sind die ersten beiden Schöpfungserzählungen im ersten Buch der Heiligen Schrift, dem Buch Genesis. Daneben gibt es viele weitere Stellen in der Heiligen Schrift, in denen schöpfungstheologische Themen berührt werden (z. B. das Buch Ijob, die Psalmen), wobei zweifelsohne die ersten beiden Erzählungen der Heiligen Schrift eine herausgehobene Rolle spielen: Sie sind nicht nur der Anfang der Bibel, sondern beschreiben den Anfang von allem. Sie bilden das Fundament der christlichen Schöpfungstheologien. Die meisten davon befinden sich im ersten Testament. Auch die Erzählung der Arche Noah und dem in dieser Erzählung beschriebenen Bund, den G*tt mit G*ttes Schöpfung geschlossen hat, kommt eine besondere Bedeutung zu. Hier hat G*tt nämlich versprochen, G*ttes Schöpfung nicht mehr zu zerstören. Der Regenbogen (Gen 9,13Meinen Bogen habe ich gesetzt in die Wolken; der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde.Zur Bibelstelle) ist noch heute ein Symbol für den lückenlosen und gut sichtbaren Bund zwischen „Gott und allen lebendigen Wesen“ (Gen 9,16Darum soll mein Bogen in den Wolken sein, dass ich ihn ansehe und gedenke an den ewigen Bund zwischen Gott und allem lebendigen Getier unter allem Fleisch, das auf Erden ist.Zur Bibelstelle).
4.1. Schöpfungserzählungen sind keine Schöpfungsberichte
Die beiden Schöpfungserzählungen zu Beginn der Bibel sind gleich aus mehreren Gründen spannend. Zunächst: weil es zwei sind. Damit wird bereits deutlich, dass sich die Personen, die entschieden haben, welche Bücher für Christ*innen verbindlich sind und in die Bibel aufgenommen werden (in den sog. Kanon),5Vgl. Schoepflin, Karin, Art. Kanon (AT), in: WiBiLex, 2009 (https://www.die-bibel.de/ressourcen/wibilex/altes-testament/kanon-at), abgerufen am 05.04.2025. sich nicht auf eine der beiden Erzählungen festlegen wollten oder konnten. Zwei unabhängig voneinander entstandene, ganz unterschiedliche Geschichten über die Entstehung der Welt stehen also nebeneinander bzw. gehen fließend ineinander über. Offenbar wurde ganz bewusst auf eine Vereindeutigung verzichtet. Daraus lässt sich ableiten, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, die Entstehung der Welt und die Beziehung von G*tt und Schöpfung zu denken.
Seit langer Zeit bemüht sich die Forschung um eine korrekte Datierung der beiden Erzählungen. Während man zuletzt dachte, dass die zweite Schöpfungserzählung die ältere sei, ist die Auffassung mittlerweile überholt und man datiert beide Erzählungen beinahe zeitgleich. Aus systematisch-theologischer Sicht ist es wichtig zu verstehen, dass es sich um Erzählungen handelt, nicht um Schöpfungsberichte. Ein Bericht würde – ähnlich einem Unfallbericht – den Eindruck erwecken, dass es jemanden gegeben hätte, der tatsächlich bei der Entstehung der Welt dabei gewesen wäre und dieser jemand nun einen Zeug*innenbericht geschrieben habe. Dem ist keinesfalls so.
Die aktuelle Forschung geht davon aus, dass die beiden Schöpfungserzählungen im 1. Jahrtausend v. Chr. entstanden sind. Naturwissenschafler*innen sind allerdings überzeugt, dass Leben auf der Erde seit rund drei bis vier Milliarden Jahren existiert. Für die biblischen Schöpfungsgeschichten bedeutet dies wiederum: Vor – aus heutiger Perspektive – ca. dreitausend Jahren haben die g*ttlich inspirierten Autoren der Bibel Erzählungen aufgeschrieben, in denen sie über Entstehung, Grund und Sinn der Erde reflektieren, ohne den Anspruch zu erheben, zu wissen, was vor rund drei bis vier Milliarden Jahren physikalisch oder biologisch geschah.
Obgleich damit klar ist, dass es sich nicht um einen Tatsachenbericht handeln kann, sprechen wir dennoch über Schlüsseltexte für den christlichen Glauben sowie das Verständnis des Menschen (Anthropologie).6Vgl. Wagner, Andreas, Art. Mensch (AT), in: WiBiLex, 2006 (https://www.die-bibel.de/ressourcen/wibilex/altes-testament/mensch-at), abgerufen am 05.04.2025; Grümme, Bernhard, Art. Anthropologie, in: WiReLex, 2025 (https://www.die-bibel.de/ressourcen/wirelex/8-lernende-lehrende/anthropologie), abgerufen am 05.04.2025. Für die theologische Forschung, also für diejenigen, die sich mit der Auslegung dieser Texte befassen, kommt es darauf an, ihren Aussagegehalt herauszuarbeiten. Es gilt zu verstehen, was uns diese Texte damals (und heute noch) sagen möchten und können. Und zwar nicht nur für die wissenschaftliche Theologie, sondern in gleichem Maße für die theologische Praxis, die Pastoral, das kirchliche sowie je persönliche Leben.
Die für die christliche Schöpfungstheologie einflussreichsten Texte sind die beiden Schöpfungserzählungen in Gen 1,1–2,4a und Gen 2,4b–3,24. Im Folgenden sollen zentrale Aussagen der beiden Texte erläutert werden: was geschaffen wird, ferner der Prozess des Schaffens (also der Modus) sowie jene Aspekte, die besonders interessant sind (und teilweise bislang wenig Beachtung fanden oder einseitig interpretiert wurden).
4.2. Schöpfungserzählungen in Genesis 1,1–2,4a
Die erste Schöpfungserzählung steht für die Vorstellung, dass die einzelnen Elemente der Welt an verschiedenen Tagen entstanden sind. Zentrale theologische Konzepte wie jene des Sabbats, der Ebenbildlichkeit des Menschen oder der sogenannte Herrschaftsauftrag sind hier grundgelegt.
4.2.1. Wie aus Chaos Kosmos wurde (Kosmogenese)
Die erste Erzählung beginnt mit den ersten Worten der Heiligen Schrift (des ersten Testaments bzw. der Tora). Dort wird der Zustand der Erde als Chaos beschrieben: ein Wirrwarr, es ist von einer Urflut die Rede und von G*ttes Geist, schwebend über den Wassern (Gen 1,2Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser.Zur Bibelstelle). Aus diesem Material, diesen Energien, aus diesem Chaos schafft G*tt den Kosmos (d.h. die Ordnung: Kosmogenese). Aus Chaos wurde also Kosmos und zwar – laut dieser Erzählungen – innerhalb von sieben Tagen. Der Modus, d. h. die Art und Weise wie G*tt hier geschaffen hat, ist die Trennung. Der Schöpfungsakt selbst geschieht durch Sprache. Stets heißt es „Da sprach Gott: Es werde…“. Das Licht wurde von der Finsternis getrennt, der Himmel von der Erde, der Tag von der Nacht, das Wasser vom Land, die Flugtiere von den Wassertieren und den Landtieren etc. Ordnung entsteht also durch Trennung. Einem jeden der sechs Schöpfungsstage werden bestimmte Schöpfungswerke zugeordnet. So schuf G*tt am dritten Tag beispielsweise Erde und Meer sowie Pflanzen und Bäume (vgl. Gen 1,9–13[9] Und Gott sprach: Es sammle sich das Wasser unter dem Himmel an einem Ort, dass man das Trockene sehe. Und es geschah so. [10] Und Gott nannte das Trockene Erde, und die Sammlung der Wasser nannte er Meer. Und Gott sah, dass es gut war. [11] Und Gott sprach: Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringe, und fruchtbare Bäume, die ein jeder nach seiner Art Früchte tragen, in denen ihr Same ist auf der Erde. Und es geschah so. [12] Und die Erde ließ aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringt, ein jedes nach seiner Art, und Bäume, die da Früchte tragen, in denen ihr Same ist, ein jeder nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war. [13] Da ward aus Abend und Morgen der dritte Tag.Zur Bibelstelle). Diese sechs Tage sind symbolisch, nicht wörtlich,7Vgl. Fricke, Michael, Art. Fundamentalismus/Biblizismus, bibeldidaktischer Umgang, in: WiReLex, 2017 (https://www.die-bibel.de/ressourcen/wirelex/4-inhalte-i-bibeldidaktik/fundamentalismus-biblizismus-bibeldidaktischer-umgang), abgerufen am 05.04.2025. zu verstehen, sie drücken ein Ordnungsgeschehen aus.
4.2.2. Wie G*tt (fast) alles für gut befand
Die Schöpfungsakte werden hier schematisch beschrieben und enden alle – mit einer Ausnahme – mit dem Satz „Und Gott sah: Ja, es war gut.“ Jedes Schöpfungswerk – egal ob Wasser, Erde, Himmel, Sterne, Pflanzen, Tiere –, jedes einzelne Schöpfungsergebnis wird als gut befunden und einzeln gewürdigt, so auch die Entstehung der Wild- und Kriechtiere an der ersten Hälfte des sechsten Tages. Der zweite Schöpfungsakt des sechsten Tages ist eine Besonderheit: Nicht etwa, weil hier etwas Besonderes geschaffen wird, das sich vom Textduktus im Schöpfungsakt von den bisherigen fünfeinhalb Tagen Schöpfungsgeschehen unterscheidet, sondern weil hier ein Schöpfungsakt folgt, der als einziger von G*tt nicht mit dem Abschluss „Ja, es war gut“ gewürdigt wird (Gen 1,26–30[26] Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht. [27] Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. [28] Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht. [29] Und Gott sprach: Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise. [30] Aber allen Tieren auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel und allem Gewürm, das auf Erden lebt, habe ich alles grüne Kraut zur Nahrung gegeben. Und es geschah so.Zur Bibelstelle; BigS). Was geschah am Nachmittag des sechsten Tages?
4.2.3. Die Erschaffung des Menschen als Gemeinschaftsakt
Es handelt sich um die Erschaffung des Menschen. Dieser Schöpfungsakt enthält noch weitere Besonderheiten: Zwar beginnt auch die Erschaffung des Menschen mit dem bekannten „Da sprach Gott“, allerdings folgt dann eine Pluralform „Wir wollen Menschen machen“ (Gen 1,26[26] Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht. [27] Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.Zur Bibelstelle; BigS). Die Forschung ist sich uneins, wie dieser Plural verstanden werden sollte. Wer ist mit „wir“ gemeint? Spricht G*tt hier von sich im Pluralis Majestatis – wie ein*e König*in? Oder ist es die g*ttliche Trinität – Vater, Sohn und Geist? Oder aber, spricht G*tt hier die anderen bis zu diesem Zeitpunkt bereits entstandenen Geschöpfe an? Also das gesamte Schöpfungskollektiv – alles, was schon lebt und bereits vor den Menschen den g*ttlichen Schöpfungsauftrag „Seid fruchtbar, vermehrt euch“ (z. B. Gen 1,22Und Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und mehret euch und erfüllet das Wasser im Meer, und die Vögel sollen sich mehren auf Erden.Zur Bibelstelle; BigS) erhalten hat. Vielleicht wird hier bereits deutlich, dass Erschaffen kein einseitiger Prozess ist, sondern ein Gemeinschaftswerk. Ein Gemeinschaftswerk von dem*der Schöpfer*in (Creator) und den Ko-Kreaturen (Co-Creators), der kosmischen Kraft und den lokalen Kräften. Was nun folgt – in Gen 1,26f.[26] Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht. [27] Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.Zur Bibelstelle, wo es heißt: „Da sprach Gott: ‚Wir wollen Menschen machen – als unser Bild, etwa in unserer Gestalt. Sie sollen niederzwingen die Fische des Meeres, die Flugtiere des Himmels, das Vieh, die ganze Erde, alle Kriechtiere, die auf dem Boden kriechen.‘ Da schuf Gott Adam, die Menschen, als göttliches Bild, als Bild Gottes wurden sie geschaffen, männlich und weiblich hat er, hat sie, hat Gott sie geschaffen.“ (Übersetzung BigS) – prägt die Theologie bis heute und bietet Stoff für Diskussionen und Debatten. Kaum ein Schöpfungsakt wurde so viel interpretiert, manipuliert und verzweckt wie diese zwei Verse aus der ersten Schöpfungserzählung.
4.2.4. Der Herrschaftsauftrag (Dominium terrae)
Eine weitere stark umstrittene Aussage ist der an den Menschen ergangene Herrschaftsauftrag. In Gen 1,28Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.Zur Bibelstelle (BigS) steht: „Seid fruchtbar, vermehrt euch, füllt die Erde und bemächtigt euch ihrer. Zwingt nieder die Fische des Meeres, die Vögel des Himmels und alle Tiere, die auf der Erde kriechen.“ Bekannt wurde dieser Auftrag unter dem Diktum des Dominium terrae – „beherrscht die Erde“ oder auch „macht euch die Erde untertan“. Während der erste Teil dieses Schöpfungsauftrags z. B. auch an die Pflanzen und Tiere erging („Die Erde lasse Grünes aufsprießen“ (Gen 1,11Und Gott sprach: Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringe, und fruchtbare Bäume, die ein jeder nach seiner Art Früchte tragen, in denen ihr Same ist auf der Erde. Und es geschah so.Zur Bibelstelle; BigS)); „Die Wasser sollen nur so wimmeln von lebenden Wesen“ (Gen 1,20Und Gott sprach: Es wimmle das Wasser von lebendigem Getier, und Vögel sollen fliegen auf Erden unter der Feste des Himmels.Zur Bibelstelle; BigS); „Seid fruchtbar, vermehrt euch und füllt die Wasser der Meere. Die Flugtiere aber sollen sich auf der Erde vermehren.“ (Gen 1,22Und Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und mehret euch und erfüllet das Wasser im Meer, und die Vögel sollen sich mehren auf Erden.Zur Bibelstelle; BigS); „Die Erde soll lebende Wesen hervorbringen je nach ihrer Art“ (Gen 1,24Und Gott sprach: Die Erde bringe hervor lebendiges Getier, ein jedes nach seiner Art: Vieh, Gewürm und Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art. Und es geschah so.Zur Bibelstelle; BigS), erhält nur der Mensch den sog. Herrschaftsauftrag. Lange Zeit befeuerte dieser eine Bibelvers ein ausbeuterisches Verhalten des Menschen. So wurde der Herrschaftsauftrag als g*ttliche Legitimation für ein Leben auf Kosten anderer verstanden. Seien es andere nicht-menschliche Lebewesen oder andere Menschen, denen man die volle Zugehörigkeit zur Gattung Mensch absprach und sie näher ans Tierreich rückte, um sie dann gleichermaßen auszubeuten (Frauen, Schwarze, Menschen mit Behinderung etc.). Lynn White und Carl Amery
haben schon früh die Mitschuld des Christentums an der globalen Umweltzerstörung benannt und das Vorgehen des Menschen kritisiert, der, wie kein anderer, auch sein eigenes Habitat zerstört.8Vgl. White, Lynn, The Historical Roots of Our Ecological Crisis, in: Science 155 (1967),1203–1207.
Gerade in unserer Zeit, in der große Teile des Lebens auf unserem Planeten bereits ausgelöscht oder massiv bedroht sind, liegen kritischere Lesarten dieses Verses vor, die im g*ttlichen Auftrag einen Hüte-, Verwaltungs- oder Stewardship-Auftrag ausgedrückt sehen wollen.9Vgl. Papst Franziskus, Laudato si‘. Über die Sorge für das gemeinsame Haus, 24.05.2015 (Enzyklika, Vatikan, https://www.vatican.va/content/francesco/de/encyclicals/documents/papa-francesco_20150524_enciclica-laudato-si.html), abgerufen am 05.04.2025; Papst Franziskus, Laudate Deum. An alle Menschen guten Willens über die Klimakrise, 04.10.2023 (Apostolisches Schreiben, Vatikan, https://www.vatican.va/content/francesco/de/apost_exhortations/documents/20231004-laudate-deum.html), abgerufen am 05.04.2025; Deane-Drummond, Celia, Theological Ethics Through a Multispecies Lens. The Evolution of Wisdom, Oxford 2019; Müllner, Ilse, Mitgeschöpflichkeit im Alten Testament. So wichtig sind wir nicht, in: Herder Korrespondenz Spezial (2020), 9–11. Ein Herrschaftsauftrag auf Kosten anderer lässt sich heute theologisch nicht mehr rechtfertigen.
4.2.5. Erschaffen im Bilde G*ttes (Imago Dei)
Noch ein weiterer Aspekt des Schöpfungsaktes des Menschen ist folgenreich geworden: In Vers Gen 1,27Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.Zur Bibelstelle (BigS) heißt es: „Da schuf Gott Adam, die Menschen, als g*ttliches Bild, als Bild Gottes wurden sie geschaffen, männlich und weiblich hat er, hat sie, hat Gott sie geschaffen.“ Da ist die Erschaffung des Menschen als „Bild Gottes“ – Imago Dei.10Vgl. Mühling, Markus, Menschen und Tiere – geschaffen im Bild Gottes, in: Beuttler, Ulrich et al. (Hrsg.), Geschaffen nach ihrer Art. Was unterscheidet Tiere und Menschen?, Frankfurt a. M. 2017, 129–143. Bis in die Gegenwart hinein wird versucht, anhand dieses Bibelverses für eine g*ttgewollte und einzig beabsichtigte Geschlechterbinarität zu argumentieren. Selbstverständlich gilt es als gesichertes Wissen, dass es mehr als zwei biologische Geschlechter gibt (Sex) und eine große Diversität sozialer Geschlechter (Gender). Dies steht keinesfalls in einem Widerspruch zum biblischen Urtext, in dem es lediglich heißt, dass G*tt die Menschen mit mehr als einem Geschlecht erschaffen hat. Adam ist ein neutraler Sammelbegriff für die Menschheit, abgeleitet aus adamah, der Erde, weshalb Adam der geschlechtslose oder der alle Geschlechter umfassende noch nicht näher bestimmte Erdling ist. Weder ist in Gen 1,27Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau.Zur Bibelstelle ausgesagt, dass G*tt die Menschen ausschließlich als „männlich“ und „weiblich“ geschaffen habe – so, wie auch bei der Erschaffung von Tag und Nacht, Land und Wasser, Himmel und Erde je nur die „Eckpfeiler“ benannt sind, es aber jede Menge dazwischen gibt (Dämmerung, Feuchtgebiete und Moore, die Troposphäre etc.), noch gibt es einen Anhaltspunkt, wie jene Menschen sind oder zu sein haben, die hier als „männlich“ und „weiblich“ geschaffen wurden. Weder werden primäre noch sekundäre Geschlechtsmerkmale benannt noch irgendwelche „typischen“ Eigenschaften, Charakterzüge oder sozialen Marker.
Versuche, diesen Schöpfungsakt für eine Delegitimierung geschlechtlicher Vielfalt, sexueller Orientierung, oder für eine Notwendigkeit geschlechtsspezifischer Eigenschaften oder Verhaltensweisen zu nutzen, sind vor diesem Hintergrund problematisch. Queering Theologies u. a. leisten im Namen der schöpferischen G*ttheit Widerstand gegen solche Deutungen.11Vgl. Krebs, Andreas, Gott queer gedacht, Würzburg 22023; Janssen, Claudia, Art. Gender (NT), in: WiBiLex, 2020 (https://www.die-bibel.de/ressourcen/wibilex/neues-testament/gender-nt), abgerufen am 05.04.2025; Janssen, Claudia, Art. Exegese, Feministische, in: WiBiLex, 2018 (https://www.die-bibel.de/ressourcen/wibilex/neues-testament/exegese-feministische), abgerufen am 05.04.2025. Es ist wesentlich ertragreicher danach zu fragen, was darunter zu verstehen ist, wenn man „im Bilde G*ttes“ geschaffen ist, wo es doch zugleich heißt, dass wir uns gar kein (zumindest nicht nur ein) Bild von G*tt machen sollen und G*tt sich der Schöpfung gar nicht als bildhaftes Wesen vorstellt, sondern schlicht als „Ich-bin-da“ (Ex 3,14Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: »Ich werde sein«, der hat mich zu euch gesandt.Zur Bibelstelle; BigS).12Vgl. Frettlöh, Magdalene L., Wenn Mann und Frau im Bilde Gottes sind. Über geschlechtsspezifische Gottesbilder, die Gottesbildlichkeit des Menschen und das Bilderverbot, Wuppertal 2002. G*tt stellt sich in Ex 3,14Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: »Ich werde sein«, der hat mich zu euch gesandt.Zur Bibelstelle als der*die Daseiende vor, als Beziehungswesen. Im Bilde G*ttes geschaffen zu sein, könnte etwas darüber aussagen, dass wir in unserer Existenz immer auf andere bezogen sind. Gestalt wäre dann die innere Gestaltung unseres Lebens, unsere Haltung, keinesfalls das äußere Erscheinungsbild, dies könnten wir auch gar nicht beurteilen, denn „Niemand hat Gott jemals gesehen“ (Joh 1,18aNiemand hat Gott je gesehen; der Eingeborene, der Gott ist und in des Vaters Schoß ist, der hat es verkündigt.Zur Bibelstelle, BigS).
4.2.6. Das Nahrungsgebot
Neben der ko-kreatürlichen (Schöpfungskollektiv) Erschaffung des Menschen (Adam) als Ebenbild des bezogenen G*ttes (Imago Dei), dem Auftrag des Herrschens (Dominium terrae) und des Fruchtbar-Seins, folgt noch ein bemerkenswertes Nahrungsgebot an den Menschen und die Tiere: Sie alle sollen sich von den „Samen aussäenden Gewächsen […] sowie jede[m] Baum, an dem Samen aussäende Baumfrüchte sind“ (Gen 1,29Und Gott sprach: Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise.Zur Bibelstelle; BigS), ernähren. Mensch wie Tier werden hier – in einer Welt, die G*tt als „(sehr) gut“ würdigt und bestätigt – als Veganer*innen gedacht.
Dies ist insofern bemerkenswert, als dass die Autoren dieses Textes (im 1. Jahrtausend v. Chr.) mit großer Wahrscheinlichkeit auch Tiere und tierliche Produkte aßen. Den Verzehr von Fleisch deklarieren sie allerdings als nach-paradiesisches Phänomen, nach dem großen Bruch des Menschen mit G*tt, dem sog. Sündenfall13Vgl. Kiefer, Jörn, Art. Sünde / Sünder (AT), in: WiBiLex, 2017 (https://www.die-bibel.de/ressourcen/wibilex/altes-testament/suende-suender-at), abgerufen am 05.04.2025; Willmes, Bernd, Art. Sündenfall, in: WiBiLex, 2008 (https://www.die-bibel.de/ressourcen/wibilex/altes-testament/suendenfall), abgerufen am 05.04.2025. in Gen 2f., nach der Vertreibung aus dem Garten Eden,14Vgl. Riede, Peter, Art. Garten, in: WiBiLex, 2011 (https://www.die-bibel.de/ressourcen/wibilex/altes-testament/garten), abgerufen am 05.04.2025; Pfeiffer, Henrik, Art. Paradies / Paradieserzählung, in: WiBiLex, 2006 (https://www.die-bibel.de/ressourcen/wibilex/altes-testament/paradies-paradieserzaehlung), abgerufen am 05.04.2025. nach der Sintflut.15Vgl. Baumgart, Norbert Clemens, Art. Sintflut / Sintfluterzählung, in: WiBiLex, 2005 (https://www.die-bibel.de/ressourcen/wibilex/altes-testament/sintflut-sintfluterzaehlung), abgerufen am 05.04.2025. Erst dann wird dem sündig gewordenen Menschen der Fleischverzehr (mit Einschränkung) erlaubt: „Alles, was sich regt und in dem Leben ist, das soll euch als Speise dienen. Wie das grüne Gewächs übergebe ich das alles an euch. Doch Fleisch mit seiner Lebenskraft, seinem Blut, sollt ihr nicht essen.“ (Gen 9,3–4[3] Alles, was sich regt und lebt, das sei eure Speise; wie das grüne Kraut habe ich’s euch alles gegeben. [4] Allein das Fleisch mit seinem Leben, seinem Blut, esst nicht!Zur Bibelstelle; BigS). Ganz offenbar hatten die Autoren der ersten Schöpfungserzählung (also bereits vor dreitausend Jahren) die Vorstellung, dass das Essen von Tieren in einer ursprünglich heilen und guten Welt nicht der Fall war und so von G*tt weder intendiert noch gewollt gewesen sein kann.
Zwar leben wir in postparadiesischen Zeiten, aber wir haben die Zeugnisse von Menschen, die sich eine gute und gerechte Welt vorstellten und Eden vielleicht nicht nur als Vergangenes, sondern als künftiges Ziel verstanden wissen wollten. Schöpfungstheologie zu betreiben, bedeutet deshalb sowohl nach dem Ursprung zu fragen als auch nach dem Ziel: Eden erzählt uns etwas vom Eschaton,16Vgl. Koenen, Klaus, Art. Eschatologie (AT), in: WiBiLex, 2007 (https://www.die-bibel.de/ressourcen/wibilex/altes-testament/eschatologie-at), abgerufen am 05.04.2025. von den letzten Dingen, vom Reich G*ttes, das wir Christ*innen bereits als mitten unter uns verstehen (Lk 17,21man wird auch nicht sagen: Siehe, hier!, oder: Da! Denn sehet, das Reich Gottes ist mitten unter euch.Zur Bibelstelle).
4.2.7. Höhepunkt der Schöpfung: der Sabbat
Den Abschluss des Schöpfungsgeschehens nach der ersten Erzählung im Buch Genesis bildet der siebte Tag, der Sabbat.17Vgl. Körting, Corinna, Art. Sabbat (AT), in: WiBiLex, 2008 (https://www.die-bibel.de/ressourcen/wibilex/altes-testament/sabbat-at), abgerufen am 05.04.2025. Er ist der Höhepunkt des Schöpfungsgeschehens. An diesem Tag ruhte G*tt und ließ die gesamte Schöpfung, die G*tt in all ihrer*seiner Fülle am Ende des sechsten Tages als „sehr gut“ beschrieb, wirken. Kein einzelnes Werk wird in der Gesamtschau hervorgehoben; vielmehr ist es die gesamte Schöpfung, die G*tt segnete und heiligte (Gen 2,3Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte.Zur Bibelstelle).
4.2.8. Sich von den biblischen Schöpfungserzählungen anfragen lassen
Obgleich immer die Gefahr einer Überinterpretation oder einer einseitigen Interpretation besteht, hat bereits diese Schöpfungserzählung das Potenzial uns zu irritieren und zu hinterfragen – hinsichtlich unseres Handelns und Wirkens, hinsichtlich unserer Art und Weise, unseren Platz im Gesamt des Schöpfungswerkes zu suchen oder zu behaupten: So lässt sich z. B. hinsichtlich des an die Menschen ergangenen Herrschaftsauftrags im Verhältnis zum zuvor an alle anderen ergangenen Auftrag, selbst schöpferisch tätig zu werden, fruchtbar zu sein und sich zu vermehren, fragen: Wie steht das sechste und erstmals vom Menschen verursachte Massensterben auf unserem Planeten zum g*ttlichen Auftrag „seid fruchtbar, vermehret euch“? Was bedeutet es, wenn G*tt den Sabbat als Höhepunkt der Woche heiligt und diesen Tag zur Betrachtung der letzten Tage anlegt, ohne weiter zu produzieren? Wie kann es verstanden werden, dass der Mensch als jüngstes Wesen in ein bereits bestehendes Lebensnetz (vgl. Art. Tiere/ Mitwelt) hinein erschaffen wird (und damit bereits über sich selbst aussagt, dass er keine Kenntnis davon hat, wie alles vor ihm erschaffen wurde, denn da gab es ihn noch gar nicht), G*tt die Gesamtheit des Lebens würdigt, und wir unseren Wert als ungleich höher als jenen unserer Mitgeschöpfe begreifen? Diese Fragen können ein lebendiger theologischer, pastoraler und auch persönlicher Anstoß zum Nachdenken werden.
4.3. Schöpfungserzählungen in Genesis 2,4b–3,24
Viele Schöpfungsmotive und Narrative der zweiten Schöpfungserzählung (Gen 2,4b–3,24) sind nun schon bekannt: Auch hier ist bereits von einer Materie/Energie die Rede, von einem Quell, der aus der Erde stieg (Gen 2,6aber ein Strom stieg aus der Erde empor und tränkte alles Land.Zur Bibelstelle). Auch in dieser Erzählung werden Pflanzen angelegt, sogar ein Garten (Gen 2,8Und Gott der Herr pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte.Zur Bibelstelle). Anders als in der ersten Schöpfungserzählung steht allerdings nicht die Erschaffung der geordneten Welt (Kosmogenese) im Mittelpunkt, sondern die Erschaffung des Menschen (Anthropogenese). Bezüglich der ersten Schöpfungserzählung wurde deutlich, dass der Mensch das letztgeschaffene Wesen ist, das alles Lebensnotwendige bereits bei seiner Entstehung vorfindet. Auch in der zweiten Schöpfungserzählung erhält der neu entstandene Mensch ein Startkapital, zu dem er selbst nichts beigetragen hat: einen Garten in Eden, in den er platziert wird, „ihn zu bearbeiten und zu beaufsichtigen“ (Gen 2,15Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.Zur Bibelstelle).
4.3.1. Schöpfung aus dem Nichts oder aus der Tiefe
Ob die Welt aus dem Nichts geschaffen wurde oder aus bestehendem Material, ist eine unabgeschlossene Diskussion. Das biblische Zeugnis legt den Gedanken einer Schöpfung aus der Tiefe (creatio ex profundis/tehom) nahe.18Vgl. Keller, Catherine, Über das Geheimnis. Gott erkennen im Werden der Welt, Freiburg i. Br. 2013, 96f. Traditionsgeschichtlich wird betont, dass die Welt aus dem Nichts (creatio ex nihilo) entstanden sei; Hauptbezugspunkt hierfür ist die Bibelstelle 2Makk 7,28Ich bitte dich, mein Kind, sieh Himmel und Erde an und betrachte alles, was darin ist, und erkenne: Dies hat Gott alles aus nichts gemacht, und wir Menschen sind auch so gemacht.Zur Bibelstelle. Da sich die Frage nach dem konkreten Ursprung des Kosmos und des Lebens zwar in der Evolutionsbiologie19Vgl. Millstein, Roberta L., Art. Evolution, in: Stanford Encyclopedia of Philosophy, 23.09.2021 (https://plato.stanford.edu/entries/evolution/), abgerufen am 05.04.2025. und Astrophysik vortrefflich diskutieren lässt, aber vielleicht auch dort nicht letztlich beantwortet werden kann, muss nach ihrem theologischen Aussagegehalt geforscht werden. Dies wird vor diesem Hintergrund eher als eine Aussage aus dem Bereich der G*tteslehre/Eigenschaften G*ttes verstanden denn als eine schöpfungstheologische Aussage. Evolutions- und Urknalltheorien sollten deshalb auch nicht als Alternative zu einer theologischen Deutung der (Entstehung) der Welt verstanden werden (v. v.), sondern als sich gegenseitig aus je unterschiedlichen Perspektiven (naturwissenschaftlich, physikalisch, biologisch, theologisch) ergänzende. Die Evolutionstheorie wird (mittlerweile) von allen wissenschaftsbasierten christlichen Theologien anerkannt und nicht als Konkurrenz zu einer theologischen Deutung der Welt verstanden.
4.3.2. Wie aus Erde Menschen wurden (Anthropogenese)
Der Modus des Schaffens wird in der zweiten Schöpfungserzählung mit Worten des handwerklichen Herstellens beschrieben. Das Material, aus dem das Menschenwesen (adam) erschaffen wird, ist die Erde (adamah): „Da bildete Adonaj, also Gott, das Menschenwesen, aus Erde vom Acker und blies in seine Nase Lebensatem. Da wurde der Mensch atmendes Leben.“ (Gen 2,6baber ein Strom stieg aus der Erde empor und tränkte alles Land.Zur Bibelstelle; BigS). Der Mensch ist also aus organischem Material und wird einst auch wieder zu einem solchen, so heißt es in Gen 3,19bIm Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde wirst, davon du genommen bist. Denn Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück.Zur Bibelstelle (BigS): „Erde bist du, und zur Erde kehrst du zurück.“ Der Mensch ist – wie alle anderen Mitgeschöpfe – kompostierbar.
Zunächst erschafft G*tt ein (geschlechtsloses) Menschenwesen, Adam, welches mit der Aufgabe versehen wurde, einen Garten zu pflegen. Dabei erhielt dieser Mensch nur ein Gebot, eine Grenze: Von einem einzigen Baum, „dem Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“ solle er nicht essen, sonst sei er zum „Tode verurteilt“ (Gen 2,17aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen; denn an dem Tage, da du von ihm isst, musst du des Todes sterben.Zur Bibelstelle; BigS). G*ttliche Grenzen zu überschreiten, so macht G*tt hier deutlich, würde also etwas Lebensfeindliches in dieses ursprünglich so lebensfreundliche Miteinander einbringen. Um der Einsamkeit dieses Menschen Abhilfe zu schaffen, schuf G*tt die Tiere (aus demselben Material wie den Menschen, aus Ackererde), unter denen Adam jedoch „keine Hilfe [fand, J. E.], die so etwas wie ein Gegenüber wäre“ (Gen 2,20Und der Mensch gab einem jeden Vieh und Vogel unter dem Himmel und Tier auf dem Felde seinen Namen; aber für den Menschen wurde keine Hilfe gefunden, die ihm entsprach.Zur Bibelstelle; BigS). Und so wurde ein zweiter Mensch geschaffen. Während der Schöpfungsmodus des ersten Menschenwesens das Formen aus Erde war, wurde der zweite Mensch aus der Seite des ersten geschaffen (Gen 2,22Und Gott der Herr baute eine Frau aus der Rippe, die er von dem Menschen nahm, und brachte sie zu ihm.Zur Bibelstelle). Auch hierbei handelt es sich um ein Motiv, das bereits aus antiken Schöpfungsmythen bekannt ist. Interessant ist, dass es heißt, G*tt habe Adam zuvor in einen Tiefschlaf gelegt (Gen 2,21Da ließ Gott der Herr einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen, und er schlief ein. Und er nahm eine seiner Rippen und schloss die Stelle mit Fleisch.Zur Bibelstelle). Als dieser dann wieder aufwachte, fand er den zweiten Menschen vor.
Wie in Gen 1, wo die Autoren die Erschaffung des Menschen an das Ende der Schöpfungsgeschichte stellen, so sorgen die Autoren auch hier dafür, dass das erste Menschenwesen kein Wissen um das genaue Wie des g*ttlichen Schaffens haben kann, da dieses zuvor in einen Tiefschlaf gelegt wurde. Dem Text ist also eine radikale epistemologische Demut (eine Demut in Bezug auf die Möglichkeiten der Erkenntnis) in Bezug auf das Schöpfungsgeschehen inhärent. Mehr noch, sogar die Seite, die herausgenommen wurde, wurde anschließend wieder mit Fleisch verschlossen, bevor der zweite Mensch geformt wurde, d. h. alle Spuren wurden beseitigt (vgl. Gen 2,23–25[23] Da sprach der Mensch: Die ist nun Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch; man wird sie Männin nennen, weil sie vom Manne genommen ist. [24] Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und sie werden sein ein Fleisch. [25] Und sie waren beide nackt, der Mensch und seine Frau, und schämten sich nicht.Zur Bibelstelle).
4.3.3. Wie aus Adam „Frau“ und „Mann“ wurden
In diesem Schöpfungsakt wurden aus dem geschlechtslosen Erdling Adam im Moment der Entstehung des zweiten Menschenwesens zwei geschlechtliche Menschen. Interessant ist hierbei, dass die Bezeichnung des neuen Menschen als Ischscha, Frau, nicht von G*tt selbst, sondern vom „Rest des Menschenwesens“ (Gen 2,23Da sprach der Mensch: Die ist nun Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch; man wird sie Männin nennen, weil sie vom Manne genommen ist.Zur Bibelstelle) stammt, der damit zum Isch, Mann, wird. Beide sind aus demselben Material, „Dieses mal ist es Knochen von meinem Knochen und Fleisch von meinem Fleisch!“, sagt der Isch (Gen 2,24Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und sie werden sein ein Fleisch.Zur Bibelstelle; BigS). Wie in der ersten Schöpfungserzählung, so werden auch hier Isch und Ischscha keine Eigenschaften zugeschrieben, außer, dass sich die beiden verbinden werden und dass sie nackt, aber schamlos sind (Gen 2,25Und sie waren beide nackt, der Mensch und seine Frau, und schämten sich nicht.Zur Bibelstelle).
4.4. Schöpfungserzählungen: Ursprungsmythen mit Störungsbewusstsein
In Bezug auf die Entstehung des Menschen als letztem Wesen in der ersten Schöpfungserzählung, dem Mitwelt-Bezug desselben sowie der in die Schöpfungserzählungen eingezogenen demütigen Beschreibung des Menschen wurde bereits deutlich: Schöpfungserzählungen sind Ursprungsmythen, d. h. ihre Funktion ist es, von einem bestimmten Standpunkt und Lebenskontext ausgehend (in diesem Fall dem 1. Jahrtausend v. Chr.) eine Erzählung des Ursprungs darzulegen, die sowohl erklärt, wie es dazu kam, dass die Welt so ist, wie sie zu diesem Zeitpunkt wahrgenommen und empfunden wird, als auch zu erklären, wie dies alles mit der Glaubensgewissheit an eine gute und mächtige Schöpferg*ttheit zusammengedacht werden kann. Es ist insofern relevant, dass die g*ttlich inspirierten, aber dennoch menschlichen Autoren in beiden Erzählungen dafür sorgen, dass sie bei der Entstehung der Arten nicht anwesend oder nicht bei vollem Bewusstsein waren. Es ist zudem interessant, dass bspw. erwähnt wird, dass den Menschen nur Pflanzliches zur Nahrung gegeben wird und auch, dass sich die nackten Menschen nicht schämten (Gen 2,25Und sie waren beide nackt, der Mensch und seine Frau, und schämten sich nicht.Zur Bibelstelle). Wäre all dies selbstverständlich, wäre es nicht erwähnt worden.
Rückwirkend lässt sich also verstehen, dass bereits den Autoren dieser Texte bewusst gewesen sein muss, dass die Welt, wie sie sie erlebten, eine gestörte Welt ist und dass eine gute G*ttheit diese gute, gesegnete und geheiligte Welt ursprünglich anders intendiert hatte.20Vgl. auch die sog. entstehungsgeschichtlich aber späteren „Fluchsprüche“ in Gen 3,14–19[14] Da sprach Gott der Herr zu der Schlange: Weil du das getan hast, seist du verflucht vor allem Vieh und allen Tieren auf dem Felde. Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Staub fressen dein Leben lang. [15] Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau und zwischen deinem Samen und ihrem Samen; er wird dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen.[16] Und zur Frau sprach er: Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und dein Verlangen soll nach deinem Mann sein, aber er soll dein Herr sein.[17] Und zum Mann sprach er: Weil du gehorcht hast der Stimme deiner Frau und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen –, verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. [18] Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen. [19] Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde wirst, davon du genommen bist. Denn Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück.Zur Bibelstelle: Vgl. Schönemann, Hubertus, Art. Fluch, Fluchspruch (AT), in: WiBiLex, 2013 (https://www.die-bibel.de/ressourcen/wibilex/altes-testament/fluch-fluchspruch-at), abgerufen am 05.04.2025. Damit ist aber zugleich auch ein Horizont aufgespannt, der uns eine Vorstellung davon gibt, wie ein g*ttgewolltes, sündenfreies Miteinander sein könnte, und wofür es sich als Christ*in einzusetzen gilt – und zwar bereits im Hier und Jetzt. Schöpfungstheologien sind somit verknüpft mit theologischen Ethiken, politischen Theologien und Befreiungstheologien.21Vgl. Collinet, Benedikt, Art. Befreiungstheologie, in: WiBiLex, 2024 (https://www.die-bibel.de/ressourcen/wibilex/neues-testament/befreiungstheologie), abgerufen am 05.04.2025. Es sind Theologien der Gerechtigkeit.