Gesetz

In der Theologie des Gesetzes treffen dogmatische, ethische und exegetische Fragen aufeinander. Neben der Frage nach einer ethischen Orientierung am Willen Gottes stehen hier auch die Heilsbedeutung des Gesetzes vor allem in seiner Unterscheidung und Zuordnung zum Evangelium in der Diskussion. Daneben ist aber auch immer zu fragen, wie und woran der sich im Gesetz ausdrückende Wille Gottes erkennbar ist.

Inhaltsverzeichnis

    1. Einleitung

    Kaum eine andere Gattung biblischer Texte ist in theologischen wie in gesamtgesellschaftlichen Debatten so präsent wie die biblischen Gebote des ersten wie des zweiten Testaments. Nicht nur die Zehn Gebote der Tora, sondern auch die Mahnungen Jesu in der Bergpredigt, oder die Sittenregeln des Paulus oes-gnd-iconwaiting... werden weit über Kirche und Theologie hinaus in der Gesellschaft wahrgenommen und als ethische Orientierung rezipiert.

    Weiterführende Infos WiBiLex

    Auf WiBiLex finden sich zahlreiche Artikel zu biblischen Gesetzen und Geboten:

    Gesetz/ Tora (NT)
    Dekalog/ Zehn Gebote (AT)
    Dekalog/ Zehn Gebote (NT)
    Heiligkeitsgesetz
    Eltern/ Elterngebot (AT)
    Liebe/ Liebesgebot (AT)
    Speisegebote (AT)

    Dabei war aber theologisch schon früh umstritten, was eigentlich das Wesen und auch was der Umfang und Inhalt des göttlichen Gesetzes ist. Wo liegt der orientierende und normative Grund christlicher Moral? Wo und wie lässt sich der göttliche Wille erkennen? Diese Fragen bündeln sich früh in der Frage nach dem Gesetz.

    Aber nicht nur ethisch ist das Gesetz bereits seit der Entstehung des Christentums zum Gegenstand der Debatte geworden. Auch die Frage nach seiner Heilsbedeutung war – blickt man etwa auf die paulinische Mission – bereits seit dem frühesten Christentum strittig. Kommt dem Gesetz Gottes eine eigene Rolle in der Rechtfertigung des Menschen zu? Ist das Halten des Gesetzes dem Menschen möglich, oder sogar für seine Gerechtigkeit vor Gott notwendig? Wie verhält sich das Gesetz Gottes zu seinem Evangelium in Jesus Christus?

    Dies sind nur einige Fragen, die sich an den Begriff des Gesetzes im Laufe der Theologiegeschichte angelagert haben.

    Im 20. Jahrhundert wurde vor allem die Zuordnung des Gesetzes zur Vorstellung sogenannter „Schöpfungsordnungen“ virulent. Zeigt sich der göttliche Wille vielleicht nicht nur in biblischen Geboten oder der Offenbarung in Christus, sondern auch etwa in Geschichte, Volk, „Rasse“, Familie, Beruf, Klasse oder Stand? Besonders Vertreter des konservativen Luthertums, die häufig auch dem Nationalsozialismus unkritisch gegenüberstanden, stimmten in diese Thesen ein.

    Da die Frage nach dem Gesetz Gottes also auch immer gesellschaftlich-politische Fragen berührt und nach seiner normativen Orientierung fragt, behält die Diskussion um das Gesetz bleibende theologische Bedeutung. Ein unkritischer Umgang mit einer vorschnellen Zuordnung von Gesetz und Ordnung ist dabei heute sicherlich theologisch kaum mehr zu vertreten.

    Daher soll hier die Theologie des Gesetzes in groben Zügen nachgezeichnet werden. Hierzu steht Augustin oes-gnd-iconwaiting... als Vertreter spätantiker Theologie am Anfang der Darstellung. Daran sollen sich Ausführungen zu Thomas von Aquins oes-gnd-iconwaiting..., Martin Luthers oes-gnd-iconwaiting... und Johannes Calvins oes-gnd-iconwaiting... Gesetzestheologie anschließen. Folgend soll die Kontroverse um Gesetz und Ordnung im 20. Jahrhundert entfaltet werden. Da die Debatte um das Gesetz nach dem Zweiten Weltkrieg – sicher nicht zuletzt aufgrund der Nähe zum Nationalsozialismus mancher Protagonist*innen – relativ abrupt abbrach, endet die theologiegeschichtliche Darstellung mit diesen Positionen. Ausblickend und die Debatte um eine pluralitätssensible Position erweiternd, schließt der Artikel mit einem queertheologischen Blick auf das Gesetz ab.

    2. „Klassische“ Positionen

    2.1. Spätantike: Augustinus

    Für Augustin oes-gnd-iconwaiting... zeigt sich im Gesetz der ewige und unveränderliche Wille Gottes. Augustins Theologie ist hier ganz von der antiken Philosophie der Stoa und ihrer Vorstellung einer „lex aeterna“ – eines ewigen Gesetzes – geprägt.1Vgl. Augustin, De libero arbitrio, 1,13,15. Dieses Gesetz dient so vor allem der ethischen und intellektuellen Bildung des Menschen und fordert diese ein.2Vgl. Augustin, De ordine, 2,25.

    Von hier aus versteht Augustin das Gesetz als ewigen und unveränderlichen Willen Gottes,3Vgl. Augustin, Contra faustum manichaeum, 22, 27. welcher dem Menschen als „ordo amoris“ – als Ordnung der Liebe – entgegentritt. Augustin führt die göttliche Gesetzesforderung auf das Liebesgebot zurück.4Vgl. Augustin, De doctrina christiana, 1,22. Diese Liebesordnung gründet sich auf das ordnende Handeln Gottes in der Schöpfung. Bereits bei Augustin zeigt sich, wie eng in der Theologiegeschichte die Frage des Gesetzes immer wieder mit vermeintlich erkennbaren Ordnungen und ihrer Legitimation aus dem göttlichen Willen zusammengedacht wurde.

    Das göttliche Gesetz dient nach Augustin aber nicht nur als Lebensregel, sondern zeigt auch im Sinne einer Negativfolie die Sünde des Menschen auf.5Vgl. Augustin, Ad simplicianum, 1,1,2. Es dient als Grundlage für Lohn und Strafe des Menschen durch Gott.6Vgl. Augustin, De libero arbitrio, 1,31–33. Die Furcht vor dem Gesetz soll dabei auf Christus hinführen. Hier tritt das Moment der Erziehung durch das Gesetz hervor.7Vgl. Augustin, De natura et gratia, 1,1–7.

    Bei all dem ist Augustin wichtig zu betonen, dass das Gesetz ohne die Gnade Gottes nicht zu erfüllen ist. Dem Gesetz entsprechen kann der Mensch nur „sub gratia“. Für Augustin herrscht der absolute Gegensatz von Gesetz und Gnade. Im durch die Gnade geschenkten Glauben wirkt das Gesetz als innerlich motivierende Grundhaltung des Menschen.8Vgl. Augustin, Expositio quarumdam propositionum ex epistula ad Romanos, 54.

    2.2. Mittelalter und frühe Neuzeit

    2.2.1. Thomas von Aquin

    Als mittelalterlicher Theologe und Leser Aristoteles oes-gnd-iconwaiting... ist für Thomas von Aquin oes-gnd-iconwaiting... vor allem die enge Verbindung von göttlichem, natürlichen und menschlichem Gesetz entscheidend. Diese begründet für ihn die Bedeutung des Naturrechts als überpositive Norm.9Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologica, Prima Pars Secundae Partis, Quaestio 94.

    Thomas differenziert also zwischen einer „lex aeterna“ – dem ewigen göttlichen Gesetz, einer „lex naturae“– dem in die Natur eingeschriebenen Schöpferwillen Gottes, der für den Menschen durch seine Vernunft erkennbar ist, und der durch den Menschen im Staat gesetzten „lex humana“. Diese Reihe bleibt für Thomas immer in einer auf die „lex aeterna“ zurückweisenden Abhängigkeit bestehen. Die verschiedenen Facetten des Gesetzes begründen sich gegenseitig, sind in kritischer Absicht aufeinander bezogen und verweisen gemeinsam auf den Willen Gottes.10Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologica, Prima Pars Secundae Partis, Quaestio 95. Theologisch bedeutsam ist dabei, dass Thomas den ewigen Willen Gottes nicht nur in dem in die Natur eingeschriebenen Naturrecht erblickt, sondern auch in den biblischen Texten. Allerdings stehen auch diese in einer klaren Hierarchie. Während das erste Testament Thomas als die „lex veta“ – als das alte Gesetz – gilt, deutet er das zweite Testament als neues, als das alte überbietende und ablösende Gesetz – als die „lex nova“.11Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologica, Prima Pars Secundae Partis, Quaestio 91 ad.) 5. Thomas deutet das erste Testament als vorschreibendes und gebietendes altes Gesetz, das zweite Testament aber als Ausweis der helfenden Gnade Gottes.12Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologica, Prima Pars Secundae Partis, Quaestio 91 ad.) 5. Die hier dahinterliegende Abwertung des ersten, des jüdischen Testaments muss heute kritisch betrachtet werden.

    2.2.2. Martin Luther

    Anders als Thomas differenziert Martin Luther oes-gnd-iconwaiting... nicht verschiedene Gesetze, sondern unterscheidet verschiedene „Gebrauchsweisen“ oder Funktionen des einen Gesetzes. Luther entwickelt hierzu die Lehre von den „usus legis“. Diese prägte die gesamte Beschäftigung mit der Frage des Gesetzes bis in die Moderne und ist bis heute zentral. Hier wird also nach den Wirkungen des Gesetzes auf den Menschen gefragt, den das Gesetz als Wort Gottes trifft. Umstritten ist dabei in der Forschung die Frage, ob Luther zwei oder drei Gebrauchsweisen des Gesetzes lehrt.13Vgl. Schubert, Anselm, „Den Glauben aus den Werken zeigen“. Zum Verhältnis von Rechtfertigung und guten Werken bei Luther und Hubmaier, in: Dziewas, Ralf (Hrsg.), Gerechtigkeit und gute Werke. Die Bedeutung diakonischen Handelns für die Glaubwürdigkeit der Glaubenden, Neunkirchen-Vluyn 2010, 52–67.

    Bei Luther fordert das Gesetz den Menschen und spricht ihn als Handelnden an.

    Weiterführende Infos WiReLex

    „Das Verhältnis von Gesetz und Evangelium wirft in erster Linie systematisch-theologische Fragen auf, doch hat dessen Bestimmung erhebliche Folgewirkungen für die Praxis und Theorie religiöser Bildung in Schule und Gemeinde. Entscheidend ist, was genau unter Gesetz verstanden werden soll und ob bzw. in welchem Sinn sich die Rede vom Gesetz von der Rede vom Evangelium als überlieferter Frohbotschaft Jesu Christi unterscheidet. Hier stellt sich insbesondere die Frage, ob Gesetz im Evangelium eingeschlossen ist oder durch dieses überboten wird. Gegenüber den klassisch-theologischen Debatten hat das Thema in jüngster Zeit dadurch an Virulenz und Brisanz gewonnen, dass es nicht mehr losgelöst von einer neuen Verhältnisbestimmung von jüdischer und christlicher Überlieferung sowie deren jeweiliger religiöser Praxis diskutiert werden kann.“ Boschki, Reinhold/Schlag, Thomas, Art. Gesetz und Evangelium – Evangelium und Tora, in: WiReLex (https://bibelwissenschaft.de/stichwort/100171/), abgerufen am 27.01.2025.

    Für Luther steht dabei der theologische, bzw. aufdeckende Gebrauch („usus theologicus“ bzw. „usus elenchticus“) im Mittelpunkt.14Vgl. Luther, Martin, Galatervorlesung 1530, in: Weimarer Ausgabe 40, 479. Hier wirkt das Gesetz als Mittel zur Erkenntnis der Sünde. Der Mensch erkennt am Gesetz und daran, dass er es gerade nicht erfüllen kann, dass er sich gegen Gottes Willen versündigt. Diese Erkenntnis treibt den Menschen dann hin zum Evangelium Gottes, in dem er heilsame Rechtfertigung erfährt. Von hier aus formuliert Luther seine klassisch gewordene Unterscheidung von „Gesetz und Evangelium“. Nach Luther gibt Gott sein Wort als Gesetz und Evangelium.15Vgl. Luther, Martin, Von der Freiheit eines Christenmenschen, Weimarer Ausgabe 7, 23–24.

    Der andere bei Luther eindeutig nachweisbare Gebrauch ist der politische („usus politicus“). Hier dient das göttliche Gesetz zur Aufrechterhaltung der von Gott gesetzten Ordnung. Wie bei Thomas wird das Naturrecht so zur Erkenntnisquelle des Willen Gottes für die menschliche Gemeinschaft. Das Gesetz bewahrt die bürgerliche Gerechtigkeit, ordnet den Staat und schützt den Einzelnen. Es ist allerdings immer das konservativ-bewahrende Gesetz der bestehenden (Stände-)Ordnung.16Vgl. Luther, Martin, Predigt über das 5. Buch Mose, Weimarer Ausgabe 28, 677–678.

    Strittig innerhalb der Lutherinterpretation ist allerdings der sogenannte „tertius usus legis“ – der dritte Gebrauch des Gesetzes. Nach dieser Funktion des Gesetzes ist es für den Glauben ebenso unentbehrlich wie das Evangelium. Zwar bringt das Gesetz den Menschen nie zu seiner Erfüllung, dies vermag nur die Gnade, es enthält aber auch für die Glaubenden den Ausdruck des göttlichen Liebeswillens. Prägnant wurden die zentralen Überzeugungen der Wittenberger Reformation durch Philipp Melanchthon oes-gnd-iconwaiting... in seinen Loci Communes zusammengefasst. Hier formuliert Melanchthon pointierter als Luther die Lehre von der bleibenden Bedeutung des Gesetzes. Er vertritt klar einen dreifachen Gebrauch und lehrt auch dem Wortlaut nach einen Gesetzesgebrauch für die „Wiedergeborenen“.17Vgl. Melanchthon, Philipp, Loci praecipui theologici nunc denuo cura et diligentia summa recogniti multisque in locis copiose illustrati 1559, De Lege divina. Mit der Rede vom „tertius usus“ fragt Melanchthon nach der bleibenden Bedeutung des Gesetzes für die Glaubenden.18Vgl. Melanchthon, Loci 1559, De usu legis. Vgl. hierzu auch Luther, Martin, Kirchenpostille, in: Weimarer Ausgabe 10, 456–457.

    2.2.3. Johannes Calvin

    Während der „tertius usus legis“ innerhalb der Lutherinterpretation strittig bleibt, lehrt Johannes Calvin oes-gnd-iconwaiting... explizit einen „triplex usus“ also einen „dreifachen Gebrauch“ des einen Gesetzes Gottes. Dies hat seinen Grund vor allem darin, dass Calvin das Gesetz viel stärker als Luther als Ausdruck und Inhalt des bleibenden Bundes zwischen Gott und den Menschen versteht.19Vgl. Calvin, Johannes, Unterricht in der christlichen Religion. Institutio christianae religionis, hrsg. v. Weber, Otto/Freudenberg, Matthias, Göttingen 2008, II, 10,1–2, 226–227. Das Gesetz hat seinen Sinn als Bundesgesetz Gottes und beruht explizit auf der Gnade Gottes.20Vgl. Calvin, Unterricht, II, 7,1–2, 183–185. Calvin versteht das erste wie das zweite Testament als unterschiedliche Ausgestaltungen des einen Bundes Gottes und daher das Gesetz insgesamt als Richtschnur für das christliche Leben. Der dritte, bleibende Gebrauch des Gesetzes steht im Zentrum. Das Gesetz ist die gute Weisung Gottes für ein vor Gott verantwortetes Leben der Christ*innen.21Vgl. Calvin, Unterricht, II, 7,13–14 und II, 8,1, 190–191 u. 193–194. Es dient als bleibende Mahnung und Weisung auf dem Weg der Heiligung.

    Wie bei Luther dient aber das Gesetz bei Calvin auch als Sündenspiegel. Es kommt dem Menschen als „usus elenchticus“ entgegen. Das Gesetz dient dazu, unsere Unfähigkeit es zu erfüllen, zu enthüllen.22Vgl. Calvin, Unterricht, I, 7,5 u. III, 2,27, 43 u. 309–310. Im Gesetz erkennt der Mensch auch nach Calvin seine Sünde gegen den Gott, der ihm in seinem Bundesgesetz entgegenkommt.

    Als Naturgesetz ist es im Sinne seines politischen Gebrauchs Zügel für die gefallene Menschheit und Schutz der politischen Gemeinschaft. Das Gesetz Gottes ist so gleichzeitig Sittlichkeitsgesetz und Schöpfungsordnung. In der politischen Funktion des Gesetzes erkennt Calvin eine Übereinstimmung von Gesetz und Ordnung der Natur.23Vgl. Calvin, Unterricht, I, 6,1, u. I, 14,20, 38 u. 94. Dabei deutet Calvin das Gesetz explizit in Anschluss an die jüdische Tora.24Vgl. Calvin, Unterricht, II, 10,226–238.

    2.3. Theologie des 20. Jahrhunderts

    2.3.1. Karl Barth

    In der Theologie des 20. Jahrhunderts hat wohl kein Theologe das Thema des Gesetzes so maßgeblich in die Mitte der Diskussion geführt wie Karl Barth oes-gnd-iconwaiting.... Für ihn war zentral das Gesetz als gleichberechtigten Teil des einen Wortes Gottes zu verstehen.25Vgl. Barth, Karl, Evangelium und Gesetz, in: Kratzert, Lucius/Zocher, Peter (Hrsg.), Vorträge und kleinere Arbeiten 1935–1937, Zürich 2021, 172–220, 188. Das Gesetz ist für Barth nur christologisch, nie als zweite Offenbarungsquelle neben dem Evangelium zu verstehen, wie dies etwa in der Schöpfungsordnungstheologie (Althaus oes-gnd-iconwaiting..., Elert oes-gnd-iconwaiting..., Brunner oes-gnd-iconwaiting...) geschehen war.

    Für ihn ist die klare christologische Orientierung des Gesetzes entscheidend.26Vgl. Barth, Evangelium, 185. Während die Theologie des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, aber auch die des 19. Jahrhunderts, das Gesetz vor allem als konservatives Moment verstand, entfaltet es innerhalb Barths Theologie vor allem eine kritische Funktion. Es richtet sich gegen gesellschaftliche Zustände, die der Mensch selbst nicht mehr zu beherrschen weiß – so etwa die Auswüchse eines entfesselten Kapitalismus.27Vgl. Barth, Karl, Das christliche Leben. Die Kirchliche Dogmatik IV, 4. Fragmente aus dem Nachlaß Vorlesungen 1959–1961, 363–399. Das Gesetz besitzt so einen „usus politicus“, der aber anders als in der (neu)lutherischen Theologie nicht restaurativ bzw. konservativ die bestehende Ordnung erhält, sondern gerade zu dieser Ordnung im Widerspruch steht.

    Das Gesetz deutet Barth als den in göttlicher Gnadenwahl und Bundesschluss grundgelegte Anspruch an das ganze menschliche Leben und alle Teile menschlichen Zusammenlebens. Für ihn kann es keinen Bereich geben, der nicht unter dem Gesetz und dessen kritischen Urteil steht.28Vgl. Weinrich, Michael, Bund, in: Beintker, Michael (Hrsg.), Barth Handbuch, Tübingen 2016, 318–319. So etwa auch in der zweiten These der Barmer Theologischen Erklärung: „Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben; durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen. Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären, Bereiche, in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn bedürften.“ Barmer Theologische Erklärung (https://www.ekd.de/Barmer-Theologische-Erklarung-Thesen-11296.htm), abgerufen am 15.01.2025. Durch diese Begründung des Gesetzes ist eine Unabhängigkeit des Gesetzes von Christus und dem Evangelium ausgeschlossen. Hierin liegt ein Hauptstreitpunkt zwischen Barth mit der neulutherischen Theologie, aber beispielsweise auch mit Emil Brunner oes-gnd-iconwaiting... begründet.

    Wie Erwählungshandeln und Bundesschluss so ist auch das Gesetz für Barth zuerst ein Ereignis der Liebe Gottes. Barth formuliert einen durchweg positiven Gesetzesbegriff. Dies zeigt sich bereits in Barths programmatischem Vortrag „Evangelium und Gesetz“ von 1935, in dem er die traditionell lutherische Reihenfolge „Gesetz und Evangelium“ umkehrt. Wie das Evangelium deutet Barth hier auch das Gesetz als Ausdruck und Akt göttlicher Gnade.29Vgl. Barth, Evangelium,179. Daher ist das Gesetz für Barth vor allem Verheißung der Gottesgemeinschaft. Von dieser her kann in Entsprechung dazu die Gemeinschaft zwischen Menschen gestaltet werden.

    Aufgrund seiner Deutung des Gesetzes als Akt der Gnade Gottes distanziert sich Barth nicht nur von einer Vorordnung des verurteilenden Gesetzes vor das befreiende Evangelium, sondern deutet das Gesetz auch situativ, individuell und konkret. Es kann nicht auf überzeitlich geltende Normen oder Wertvorstellungen reduziert werden, sondern wird von Gott gegenüber dem konkreten Menschen in der konkreten Situation gesagt. Es ist – dem Offenbarungsverständnis Barths entsprechend – das in der konkreten Situation ergehende Wort Gottes an und für den Menschen. Das Gesetz fordert daher den „Gehorsam des freien Menschen gegen den freien Gott“.30Barth, Karl, Die Kirchliche Dogmatik. Die Lehre von Gott (KD II/2), Zürich 1948, 623. Die Bindung an das Gesetz eröffnet für den Menschen Freiheit und fordert Verantwortungsübernahme. Das Gesetz Gottes ist allerdings nicht in jeder Situation und gegenüber jedem Menschen völlig anders und neu. Es ist viel mehr durch seine Grundlegung in Erwählung und Bundesschluss inhaltlich bestimmt. Das Gesetz muss sich immer auf Christus beziehen, um wirklich als Gesetz Gottes in der Situation vernehmbar zu sein. Der sich im Christusgeschehen konkretisierende Bund Gottes füllt das Gesetz inhaltlich.

    2.3.2 Paul Althaus

    Im scharfen Kontrast zur Theologie Barths  ist für Paul Althaus oes-gnd-iconwaiting... das Gesetz eng mit der sogenannten „Ur-Offenbarung“ verbunden. In dieser von der Heilsoffenbarung in Christus unabhängigen Offenbarung Gottes, erfährt der Mensch nicht nur vom Sein Gottes, sondern auch dessen konkreten Willen. Dieser drückt sich für Althaus in „Schöpfungsordnungen“  wie Familie, Stand, Volk, aber auch „Rasse“ aus. Diese Ordnungen sind dabei völkisch konnotiert.31Vgl. Althaus, Paul, Theologie der Ordnungen, Gütersloh, 1934, 10. Der Einzelne erfährt die „Ur-Offenbarung“ durch die geschichtliche Wirklichkeit seines Volkes.32Vgl. Althaus, Paul, Die christliche Wahrheit Bd. 1, Gütersloh 1947, 50.

    Charakteristisch für Althaus als Vertreter des Neuluthertums ist die Verknüpfung von Schöpfungsordnungstheologie und „Ur-Offenbarung“. Die Lehre von der „Ur-Offenbarung“ ist für Althaus für die Vermittlung „allgemein-menschlicher“ Erfahrung und christlicher Heilsverkündigung notwendig. Hierfür deutet er Natur und Geschichte als Raum der Offenbarung Gottes. In der Geschichte lasse sich so dann auch eine „sittliche Ordnung“ finden.33Vgl. Althaus, Wahrheit, 80.

    Diese Ordnungen deutet Althaus als Wille des Schöpfers. Sie sind dabei aber selbst unter die Macht der Sünde gestellt, da sie der menschlichen Gestaltung unterliegen. Daher unterscheidet Althaus das von Gott in der Schöpfung gesetzte Wesen und die vom Menschen übernommene Gestaltung der Ordnungen.34Vgl. Althaus, Paul, Grundriss der Ethik, Gütersloh 1947, 12–15.

    Aufgrund seiner geschichtlichen Offenbarungslehre unterscheidet Althaus aber nicht nur das Gesetz, das sich in den Schöpfungsordnungen ausdrückt, vom Evangelium, sondern findet in seinem Aufsatz „Gebot und Gesetz“ eine dreifache Unterscheidung: Er differenziert das ursprünglich von Gott gegebene Gebot vom Gesetz, zu dem das Gebot im Moment des menschlichen Sündenfalls wurde. Für ihn heißt es daher anstatt „Gesetz und Evangelium“: „Gebot, Gesetz und Evangelium“. Unter Gebot versteht er dabei Gottes Willen als Akt göttlicher Liebe.

    Das Gebot ist Liebes- und Schöpferhandeln. Erst durch die Sünde wird das Gebot zum Gesetz und erhält hier seine Gestalt als konkretes Verbot. Gebot und Gesetz unterscheiden sich für Althaus nur in ihrer Gestalt, nicht in ihrem Inhalt. Das Gebot ist völlig positiv, das Gesetz negativ.35Vgl. Althaus, Paul, Gebot und Gesetz, in: Kinder, Ernst/Haendler, Klaus (Hrsg.), Gesetz und Evangelium, Darmstadt 1968, 201–238, 206–209. Christus ist aber das Ende des Gesetzes. Durch ihn wird das Gesetz wieder zum Gebot: „Der Christ ist frei vom Gesetz aber nicht vom Gebot“.36Althaus, Gebot, 222. Trotz des Endes des Gesetzes bleibt daher auch der Christenmensch auf die orientierende Funktion der „Schöpfungsordnung“ als geschichtlicher Ausdruck des göttlichen Willens verwiesen.37Dies drückt sich auch im von Althaus mitverfassten „Ansbacher Ratschlag“ aus, der als Gegenentwurf zur Barmer Theologischen Erklärung publiziert wurde. Dort heißt es „Es bindet jeden an den Stand, in den er von Gott berufen ist, und verpflichtet uns auf die natürlichen Ordnungen, denen wir unterworfen sind, wie Familie, Volk, Rasse (d. h. Blutzusammenhang).“

    2.3.3. Dietrich Bonhoeffer

    In gewisser Weise lässt sich die Gesetzestheologie Dietrich Bonhoeffers oes-gnd-iconwaiting... als Position zwischen Barth und Althaus beschreiben. Zwar kennt auch Bonhoeffer von Gott gegebene und durch den Menschen gestaltbare Ordnungen, die er auf das göttliche Gesetz zurückführt, allerdings sind diese nicht wie bei Althaus von Christus und der Heilsoffenbarung des Evangeliums unabhängig.38Vgl. Bonhoeffer, Dietrich, Ethik (DBW VI), Gütersloh 1992, 392–398. Bonhoeffer nennt daher diese Ordnungen auch nicht „Schöpfungsordnungen“, sondern „Mandate“.39Vgl. Bonhoeffer, Ethik, 393.

    So versteht Bonhoeffer wie Barth das Gesetz als schöpferisches Wort Gottes.40Vgl. Bonhoeffer, Dietrich, Schöpfung und Fall (DBW III), Gütersloh 1989, 41. Der einzige Maßstab bleibt für ihn daher der Dekalog, nicht etwa ein natürliches Gesetz. „Nicht jeder menschliche Trieb kann sich als natürliches Gesetz ausgeben.“41Bonhoeffer, Dietrich, Theologisches Gutachten zum Primus Usus Legis, in: Glenthøj, Jørgen/Kabitz, Ulrich/Krötke, Wolf (Hrsg.), Konspiration und Haft 1940–1945 (DBW XVI), Gütersloh 1996, 600–619, 607. Für Bonhoeffer kann es keine Erkenntnis des Gesetzes aus Natur, Geschichte, oder Gesellschaft geben.42Vgl. Green, Clifford J., Ethik (DBW VI), in: Tietz, Christiane (Hrsg.), Bonhoeffer Handbuch, Tübingen 2021, 264–274, 270. Die Bindung des Gesetzes an das Wort Gottes und das Evangelium bleiben notwendig. So hat auch die Predigt des Gesetzes ihren Ursprung und ihr Ziel im Evangelium Jesu Christi.43Vgl. Bonhoeffer, Gutachten, 612. Das Gesetz fordert dabei die „Wegbereitung der Christuswirklichkeit“.44Vgl. Bonhoeffer, Ethik, 153.

    Auch im Gesetz tritt dem Menschen die konkrete Christusoffenbarung gegenüber und bestimmt darin den göttlichen Auftrag an den Menschen.45Vgl. Bonhoeffer, Ethik, 392. Allein am in der Christusoffenbarung gegebenen Gesetz hängen die Mandate, die vom Menschen zu gestalten sind.

    Bonhoeffer findet also allein im in Christus offenbarten Gesetz und nicht etwa in geschichtlichen Mächten seine ethische Orientierung.46Vgl. Bonhoeffer, Ethik, 392. Die Nachfolge Jesu Christi erfordert für ihn das Tun des Gesetzes.47Vgl. Bonhoeffer, Dietrich, Nachfolge (DBW IV), Gütersloh 1989, 119.

    Die Mandate bilden für Bonhoeffer vier verschiedene, aber in Christus geeinte Gestalten des Gesetzes. In den Mandaten wird das konkrete Gesetz gehört und gelebt.48Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, 119. Sie sind Ausdruck des einen Gesetzes Jesu Christi.

    Bonhoeffer benennt „Kirche“, „Ehe und Familie“, „Kultur“ und „Obrigkeit“ als Mandate Gottes.49Vgl. Bonhoeffer, Ethik, 394. Diese Mandate sind zwar streng an Christus gebunden und an seinem Evangelium ausgerichtet, sie bilden aber keinen tiefgreifenden Neuansatz gegenüber der konservativen Schöpfungsordnungstheologie.50Vgl. Bonhoeffer, Ethik, 394. Zwar will Bonhoeffer keine positivistische Heiligung des Bestehenden betreiben, allerdings sind für ihn die Mandate durch ein klares „Oben und Unten“ charakterisiert. Durch sie ist die Gesellschaft hierarchisch strukturiert und diese Hierarchie göttlich legitimiert.

    2.3.4. Emil Brunner

    Während mit Bonhoeffer eine lutherische Theologie des Gesetzes vorliegt, die das Gesetz klar an die Christusoffenbarung bindet und eine „natürliche“ Gesetzeserkenntnis verneint, tritt mit Emil Brunner oes-gnd-iconwaiting... eine reformierte Theologie auf den Plan, die eindeutig einem Denken in Schöpfungsordnungen verpflichtet ist.51Vgl. Rohls, Jan, Protestantische Theologie der Neuzeit. Das 20. Jahrhundert, Tübingen 2018, 259. So nimmt Brunner wie Althaus eine in den Ordnungen der Wirklichkeit und des Seienden erkennbare „Ur-Offenbarung“ an.

    Für Brunner zeigt sich das Gesetz gerade auch in den Ordnungen der Wirklichkeit und fordert deren Anerkennung.52Vgl. Rohls, Theologie, 259.

    So sind die Schöpfungsordnungen das zentrale Thema der Gesetzestheologie Brunners. Dies zeigt sich nicht zuletzt schon am Titel seines für das Thema zentralen Werkes „Das Gebot und die Ordnungen“.53Vgl. Brunner, Emil, Das Gebot und die Ordnungen, Zürich 1939. Von hier aus entfaltet Brunner seine Sozialethik. Diese begründet er nicht christologisch, sondern durch das Gesetz und die Ordnungen. Er deutet den Menschen als durch das „Weltgesetz“ in die Ordnungen hineingestellt. Das Gebot fordert vom Menschen ein „Hineingestelltsein und Sicheinordnen“.54Brunner, Gebot, 111.

    Allerdings ist Brunners Gesetzestheologie zumindest in ihrer Frühzeit nicht in gleicherweise konservativ, wie die Althaus‘. In „Das Gebot und die Ordnungen“ begegnet Gott dem Menschen als Schöpfer und Erlöser. Während Gott als Schöpfer die Unterordnung unter die Ordnungen gebietet, steht das Wort des Erlösers als scharfes „Nein“ gegen die Welt.55Vgl. Brunner, Gebot, 112. Von dieser Dialektik von Schöpfung und Erlösung aus versteht Brunner seine Ethik des Gesetzes als „grundkonservativ“ und ebenso „revolutionär“. Im Gesetz drücken sich für ihn Widerstand und Einordnung aus.

    Diese Spannung lässt Brunner allerdings in seinem zweiten Hauptwerk „Gerechtigkeit“ fallen. Hier gebietet das Gesetz die Eingliederung in ein bestimmtes Gefüge der Welt.56Vgl. Brunner, Emil, Gerechtigkeit, Zürich 42002, 61–62.

    3. Bleibende Fragen

    Nicht nur die immer wieder neu und auch kritisch einsetzende Rückfrage der exegetischen Wissenschaften – etwa in der sogenannten „New perspective on Paul“  – erfordern es immer wieder, auch kritisch den tradierten Begriff des Gesetzes systematisch-theologisch zu bearbeiten und ihn zu einer zeitgemäßen Deutung zu führen.

    Dabei bleibt der Begriff des Gesetzes nicht unumstritten. So notiert etwa Ulrich Körtner oes-gnd-iconwaiting...: „Der theologische Begriff des Gesetzes ist heute also deshalb problematisch, weil die Pluralität der Wirklichkeit seine Normativität für das theologische Wirklichkeitsverständnis auf ethischem, wie auf fundamentaltheologischem Gebiet in Frage stellt“.57Körtner, Ulrich H. J., Dogmatik, Leipzig 2020, 193. Körtner fordert daher ein, theologisch zwischen dem Gesetz Gottes und dessen Urteilsspruch über den Menschen zu unterscheiden.

    Aber nicht nur innertheologisch ist der Begriff des Gesetzes immer wieder Gegenstand der Diskussion. Ausgehend von Paulus fragten in den vergangenen Jahrzehnten auch vermehrt Philosoph*innen nach der Bedeutung des Gesetzes; so etwa Alain Badiou oes-gnd-iconwaiting..., Giorgio Agamben oes-gnd-iconwaiting..., oder Slavoj Žižek oes-gnd-iconwaiting....58Vgl. Finkelde, Dominik, Politische Eschatologie nach Paulus, Wien 2007. Von diesen Positionen aus ergeben sich für die Theologie des Gesetzes wohl mindestens drei zentrale Anfragen: Hat das Gesetz eine kollektive, eine gesellschaftliche und politische Dimension? Zeigt es nicht nur dem Einzelnen, sondern auch einer Gesellschaft ihre sündige Struktur, ihre Verfehlung gegen das Wort Gottes auf? Damit zusammenhängend wäre zu fragen, inwiefern das Gesetz Gottes auch eine utopische Funktion erfüllen kann? Findet sich im Gesetz Gottes eine Hoffnung auf eine Gesellschaft jenseits totalitärer, vermachteter und unfreier Strukturen? Zuletzt wäre zu fragen, ob es sich beim Gesetz Gottes um eine feste überzeitliche Größe handelt, oder ob nicht viel mehr mit dem Ereignis von Kreuz und Auferstehung sich auch tiefgreifend etwas am Gesetz ändert.

    4. From before the Law to queer Grace

    Dass die Theologie des Gesetzes auch heute noch theologisch produktiv wirken und dazu auch pluralitätssensible, progressive und an gegenwärtige Diskurse anschlussfähige Theologie freisetzen kann, zeigt jüngst Hanna Reichel oes-gnd-iconwaiting....

    Reichel nutzt in „After Method. Queer Grace, Conceptual Design and the Possibility of Theology” die klassische Lehre vom „triplex usus legis” um nach der Möglichkeit einer „guten“ oder viel mehr „besseren“ Theologie zu fragen.59Vgl. Reichel, Hanna, After Method. Queer Grace, Conceptual Design and the Possibility of Theology, Louisville 2023. Hierzu dient etwa der „usus elenchticus“ – der aufdeckende Gebrauch – dazu, Fehlentwicklungen innerhalb der Theologie aufzuzeigen. Diese findet Reichel überall dort, wo Menschen durch theologische Lehren und Denkstrukturen ausgeschlossen oder diskriminiert werden.

    Das Gesetz wird hier also zum Kriterium einer diskriminierungsfreien, progressiven und im besten Sinne queeren Theologie jenseits patriarchaler, eurozentrischer oder heteronormativer Macht- und Diskursnormen. Dabei bleibt aber immer klar, dass das Gesetz nie durch den Menschen selbst erfüllt werden und daher auch nie „gute“ Theologie möglich sein kann.60Vgl. Reichel, Method, 25–45. Theologie bleibt immer menschlicher, scheiternder Versuch der Rede von Gott, der nur zu einem „Besseren“ streben kann.

    In dieser emanzipativen und queeren Perspektive wird die Gesetzestheologie nicht nur zum kritischen Moment gegenüber gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, diskriminierenden Praktiken und Machtverhältnissen, sondern ruft die Theologie selbst dazu auf, diesen kritischen Maßstab an sich anzulegen, selbst bessere, einem queer interpretierten Gesetz besser entsprechende Theologie zu werden.61Vgl. Reichel, Method, 241–252.

    Literaturangaben

    Axt-Piscalar, Christine/Ohlemacher, Andreas (Hrsg.), Die lutherischen Duale. Gesetz und Evangelium, Glaube und Werke, Alter und Neuer Bund, Verheißung und Erfüllung, Leipzig 2021.

    Demut, André, Evangelium und Gesetz. Eine systematisch-theologische Reflexion zu Karl Barths Predigtwerk, Berlin 2008.

    Hasselhoff, Görge K./Maurer, Ernstpeter, (Hrsg.), Tertius usus legis. Theologische Dimensionen von Gesetz, Würzburg 2021.

    Haudel, Matthias, Das Verhältnis von Gesetz und Evangelium als innerprotestantische und interkonfessionelle Herausforderung, in: Kerygma und Dogma 53 (2007), 230–249.

    Kinder, Ernst/Haendler, Klaus (Hrsg.), Gesetz und Evangelium. Beiträge zur gegenwärtigen theologischen Diskussion, Darmstadt 1968.

    Klappert, Bertold, Promissio und Bund. Gesetz und Evangelium bei Luther und Barth, Göttingen 1976.

    Nagel, Rasmus, Universale Singularität. Ein Vorschlag zur Denkform christlicher Theologie im Gespräch mit Ernesto Laclau, Alain Badiou und Slavoj Žižek, Tübingen, 2021.

    Peters, Albrecht, Gesetz und Evangelium, Gütersloh 1981.

    Reichel, Hanna, After Method. Queer Grace, Conceptual Design and the Possibility of Theology, Louisville 2023.

    Scherf, David, Gesetz und Evangelium im Nachkriegsprotestantismus. Eine Untersuchung am Beispiel von Ernst Wolf, Helmut Thielicke und Carl Heinz Ratschow, Tübingen 2019.

    Einzelnachweise

    • 1
      Vgl. Augustin, De libero arbitrio, 1,13,15.
    • 2
      Vgl. Augustin, De ordine, 2,25.
    • 3
      Vgl. Augustin, Contra faustum manichaeum, 22, 27.
    • 4
      Vgl. Augustin, De doctrina christiana, 1,22.
    • 5
      Vgl. Augustin, Ad simplicianum, 1,1,2.
    • 6
      Vgl. Augustin, De libero arbitrio, 1,31–33.
    • 7
      Vgl. Augustin, De natura et gratia, 1,1–7.
    • 8
      Vgl. Augustin, Expositio quarumdam propositionum ex epistula ad Romanos, 54.
    • 9
      Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologica, Prima Pars Secundae Partis, Quaestio 94.
    • 10
      Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologica, Prima Pars Secundae Partis, Quaestio 95.
    • 11
      Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologica, Prima Pars Secundae Partis, Quaestio 91 ad.) 5.
    • 12
      Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologica, Prima Pars Secundae Partis, Quaestio 91 ad.) 5.
    • 13
      Vgl. Schubert, Anselm, „Den Glauben aus den Werken zeigen“. Zum Verhältnis von Rechtfertigung und guten Werken bei Luther und Hubmaier, in: Dziewas, Ralf (Hrsg.), Gerechtigkeit und gute Werke. Die Bedeutung diakonischen Handelns für die Glaubwürdigkeit der Glaubenden, Neunkirchen-Vluyn 2010, 52–67.
    • 14
      Vgl. Luther, Martin, Galatervorlesung 1530, in: Weimarer Ausgabe 40, 479.
    • 15
      Vgl. Luther, Martin, Von der Freiheit eines Christenmenschen, Weimarer Ausgabe 7, 23–24.
    • 16
      Vgl. Luther, Martin, Predigt über das 5. Buch Mose, Weimarer Ausgabe 28, 677–678.
    • 17
      Vgl. Melanchthon, Philipp, Loci praecipui theologici nunc denuo cura et diligentia summa recogniti multisque in locis copiose illustrati 1559, De Lege divina.
    • 18
      Vgl. Melanchthon, Loci 1559, De usu legis. Vgl. hierzu auch Luther, Martin, Kirchenpostille, in: Weimarer Ausgabe 10, 456–457.
    • 19
      Vgl. Calvin, Johannes, Unterricht in der christlichen Religion. Institutio christianae religionis, hrsg. v. Weber, Otto/Freudenberg, Matthias, Göttingen 2008, II, 10,1–2, 226–227.
    • 20
      Vgl. Calvin, Unterricht, II, 7,1–2, 183–185.
    • 21
      Vgl. Calvin, Unterricht, II, 7,13–14 und II, 8,1, 190–191 u. 193–194.
    • 22
      Vgl. Calvin, Unterricht, I, 7,5 u. III, 2,27, 43 u. 309–310.
    • 23
      Vgl. Calvin, Unterricht, I, 6,1, u. I, 14,20, 38 u. 94.
    • 24
      Vgl. Calvin, Unterricht, II, 10,226–238.
    • 25
      Vgl. Barth, Karl, Evangelium und Gesetz, in: Kratzert, Lucius/Zocher, Peter (Hrsg.), Vorträge und kleinere Arbeiten 1935–1937, Zürich 2021, 172–220, 188.
    • 26
      Vgl. Barth, Evangelium, 185.
    • 27
      Vgl. Barth, Karl, Das christliche Leben. Die Kirchliche Dogmatik IV, 4. Fragmente aus dem Nachlaß Vorlesungen 1959–1961, 363–399.
    • 28
      Vgl. Weinrich, Michael, Bund, in: Beintker, Michael (Hrsg.), Barth Handbuch, Tübingen 2016, 318–319. So etwa auch in der zweiten These der Barmer Theologischen Erklärung: „Wie Jesus Christus Gottes Zuspruch der Vergebung aller unserer Sünden ist, so und mit gleichem Ernst ist er auch Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben; durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem, dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen. Wir verwerfen die falsche Lehre, als gebe es Bereiche unseres Lebens, in denen wir nicht Jesus Christus, sondern anderen Herren zu eigen wären, Bereiche, in denen wir nicht der Rechtfertigung und Heiligung durch ihn bedürften.“ Barmer Theologische Erklärung (https://www.ekd.de/Barmer-Theologische-Erklarung-Thesen-11296.htm), abgerufen am 15.01.2025.
    • 29
      Vgl. Barth, Evangelium,179.
    • 30
      Barth, Karl, Die Kirchliche Dogmatik. Die Lehre von Gott (KD II/2), Zürich 1948, 623.
    • 31
      Vgl. Althaus, Paul, Theologie der Ordnungen, Gütersloh, 1934, 10.
    • 32
      Vgl. Althaus, Paul, Die christliche Wahrheit Bd. 1, Gütersloh 1947, 50.
    • 33
      Vgl. Althaus, Wahrheit, 80.
    • 34
      Vgl. Althaus, Paul, Grundriss der Ethik, Gütersloh 1947, 12–15.
    • 35
      Vgl. Althaus, Paul, Gebot und Gesetz, in: Kinder, Ernst/Haendler, Klaus (Hrsg.), Gesetz und Evangelium, Darmstadt 1968, 201–238, 206–209.
    • 36
      Althaus, Gebot, 222.
    • 37
      Dies drückt sich auch im von Althaus mitverfassten „Ansbacher Ratschlag“ aus, der als Gegenentwurf zur Barmer Theologischen Erklärung publiziert wurde. Dort heißt es „Es bindet jeden an den Stand, in den er von Gott berufen ist, und verpflichtet uns auf die natürlichen Ordnungen, denen wir unterworfen sind, wie Familie, Volk, Rasse (d. h. Blutzusammenhang).“
    • 38
      Vgl. Bonhoeffer, Dietrich, Ethik (DBW VI), Gütersloh 1992, 392–398.
    • 39
      Vgl. Bonhoeffer, Ethik, 393.
    • 40
      Vgl. Bonhoeffer, Dietrich, Schöpfung und Fall (DBW III), Gütersloh 1989, 41.
    • 41
      Bonhoeffer, Dietrich, Theologisches Gutachten zum Primus Usus Legis, in: Glenthøj, Jørgen/Kabitz, Ulrich/Krötke, Wolf (Hrsg.), Konspiration und Haft 1940–1945 (DBW XVI), Gütersloh 1996, 600–619, 607.
    • 42
      Vgl. Green, Clifford J., Ethik (DBW VI), in: Tietz, Christiane (Hrsg.), Bonhoeffer Handbuch, Tübingen 2021, 264–274, 270.
    • 43
      Vgl. Bonhoeffer, Gutachten, 612.
    • 44
      Vgl. Bonhoeffer, Ethik, 153.
    • 45
      Vgl. Bonhoeffer, Ethik, 392.
    • 46
      Vgl. Bonhoeffer, Ethik, 392.
    • 47
      Vgl. Bonhoeffer, Dietrich, Nachfolge (DBW IV), Gütersloh 1989, 119.
    • 48
      Vgl. Bonhoeffer, Nachfolge, 119.
    • 49
      Vgl. Bonhoeffer, Ethik, 394.
    • 50
      Vgl. Bonhoeffer, Ethik, 394.
    • 51
      Vgl. Rohls, Jan, Protestantische Theologie der Neuzeit. Das 20. Jahrhundert, Tübingen 2018, 259.
    • 52
      Vgl. Rohls, Theologie, 259.
    • 53
      Vgl. Brunner, Emil, Das Gebot und die Ordnungen, Zürich 1939.
    • 54
      Brunner, Gebot, 111.
    • 55
      Vgl. Brunner, Gebot, 112.
    • 56
      Vgl. Brunner, Emil, Gerechtigkeit, Zürich 42002, 61–62.
    • 57
      Körtner, Ulrich H. J., Dogmatik, Leipzig 2020, 193.
    • 58
      Vgl. Finkelde, Dominik, Politische Eschatologie nach Paulus, Wien 2007.
    • 59
      Vgl. Reichel, Hanna, After Method. Queer Grace, Conceptual Design and the Possibility of Theology, Louisville 2023.
    • 60
      Vgl. Reichel, Method, 25–45.
    • 61
      Vgl. Reichel, Method, 241–252.
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