Wirtschaft

Die „Wirtschaft“ ist seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts zur dominanten Bestimmungsgröße des alltäglichen Lebens geworden. Grundlegend ist die Frage, wie wirtschaftliches Handeln koordiniert und ordnungspolitisch gestaltet werden soll. Im Prozess der Ökonomisierung aller wirtschaftlichen und zunehmend auch nicht-wirtschaftlichen Lebensbereiche kommt dem Geld tendenziell die Bedeutung der alles bestimmenden Wirklichkeit zu. Die ethische Herausforderung besteht darin, Geld und Wirtschaft in einen Horizont der „Lebensdienlichkeit“ einzubetten.

Inhaltsverzeichnis

    1. Die Entstehung moderner Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft

    1.1. Einleitung

    „Die Wirtschaft ist das Schicksal.“1Rathenau, Walther, Rede auf der Tagung des Reichsverbandes der deutschen Industrie. Gehalten in München am 28. September 1921, in: Ders., Gesammelte Reden, Berlin 1924, 264. Diese Formulierung Walther Rathenaus oes-gnd-iconwaiting... im Jahr 1921, die ein Bonmot Napoleons oes-gnd-iconwaiting..., die Politik wäre nunmehr zum Schicksal geworden,2„Was […] will man jetzt mit dem Schicksal, die ‚Politik’ ist das Schicksal.“ Goethe, Johann W., Unterredung mit Napoleon, in: Ders., Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens 14 (Münchner Ausgabe), hrsg. v. Karl Richter et al., München/Wien 1986, 576–580, 579. variierend aufnahm, beschreibt die zentrale Bedeutung wirtschaftlichen Lebens unter den Bedingungen moderner Gesellschaften. Als „schicksalhaft“ wurde in der vormodernen Welt der Lebensrhythmus der Natur empfunden. Die große Mehrheit der Menschen lebte in agrarischen Verhältnissen von der Land- und Viehwirtschaft, ergänzt durch das zumeist im Zunftwesen organisierte Handwerk. Die traditionalen, patriarchalisch verfassten Sozialbeziehungen mit strikten Abhängigkeitsverhältnissen wurden als unveränderlich wahrgenommen. Eine durch harte Arbeit geprägte Lebensführung sollte für ein elementares Auskommen sorgen. Demgegenüber wurden Krankheiten, der Tod von Ernährer*innen oder katastrophale Veränderungen der Natur, oft in Verbindung mit Wetterphänomenen und Ungezieferplagen, die dramatische Ernteausfälle oder Viehsterben verursachten, als Schicksalsschläge erfahren, gegenüber denen sich die Menschen weithin als ausgeliefert empfanden. Auch wenn sich in modernen Gesellschaften viele Menschen gegenüber wirtschaftlichen Entwicklungen hilflos erleben, ist – so auch Rathenau – die Veränderbarkeit wirtschaftlichen Handelns zu betonen. Menschen sind auf unterschiedlichen Ebenen für die Entwicklung der Wirtschaft verantwortlich und daraufhin anzusprechen.  

    1.2. Erinnerungen an das biblische Wirtschaftsethos

    In den biblischen Schriften spiegeln sich die Erfahrungen vormoderner Gesellschaften wider, wenngleich mit bemerkenswerten Akzentuierungen. Einerseits wurden Naturkatastrophen, wie z. B. Dürreperioden (vgl. 1Kön 18,41–46[41] Und Elia sprach zu Ahab: Zieh hinauf, iss und trink; denn es rauscht, als wollte es sehr regnen. [42] Und als Ahab hinaufzog, um zu essen und zu trinken, ging Elia auf den Gipfel des Karmel und bückte sich zur Erde und hielt sein Haupt zwischen seine Knie [43] und sprach zu seinem Diener: Geh hinauf und schaue zum Meer hin! Er ging hinauf und schaute und sprach: Es ist nichts da. Elia sprach: Geh wieder hinauf! So geschah es siebenmal. [44] Und beim siebenten Mal sprach er: Siehe, es steigt eine kleine Wolke auf aus dem Meer wie eines Mannes Hand. Elia sprach: Geh hinauf und sage Ahab: Spann an und fahre hinab, damit dich der Regen nicht aufhält! [45] Und ehe man sich’s versah, wurde der Himmel schwarz von Wolken und Wind, und es kam ein großer Regen. Ahab aber fuhr hinab nach Jesreel. [46] Und die Hand des Herrn kam über Elia, und er gürtete seine Lenden und lief vor Ahab hin, bis er kam nach Jesreel.Zur Bibelstelle, Joel 1,8–12[8] Heule wie eine Jungfrau, die Trauer anlegt um ihres Bräutigams willen! [9] Denn Speisopfer und Trankopfer sind vom Hause des Herrn weggenommen, und die Priester, des Herrn Diener, trauern. [10] Das Feld ist verwüstet und der Acker ausgedörrt; das Getreide ist verdorben, der Wein steht jämmerlich und das Öl kläglich. [11] Steht beschämt, ihr Ackerleute, heult, ihr Weingärtner, um den Weizen und um die Gerste, weil aus der Ernte auf dem Felde nichts werden kann! [12] Der Weinstock steht jämmerlich und der Feigenbaum kläglich, auch die Granatbäume, Palmbäume und Apfelbäume, ja, alle Bäume auf dem Felde sind verdorrt. So ist die Freude der Menschen zum Jammer geworden.Zur Bibelstelle; Sach 10,1f.[1] Bittet den Herrn, dass es regne zur Zeit des Spätregens. Der Herr, der die Wolken macht und Regengüsse, der gibt ihnen genug für jedes Gewächs auf dem Felde. [2] Weil die Götzen Lüge redeten und die Wahrsager Trug schauten, nichtige Träume erzählen und ihr Trösten nichts ist, darum sind sie weitergezogen wie eine Herde und verschmachten, weil kein Hirte da ist.Zur Bibelstelle u. a.) oder Heuschreckenplagen (Joel 1,4–7[4] Was die Raupen übrig ließen, das fraßen die Heuschrecken, und was die Heuschrecken übrig ließen, das fraßen die Larven, und was die Larven übrig ließen, das fraß das Geschmeiß.[5] Wacht auf, ihr Trunkenen, und weint, und heult, alle Weinsäufer, um den Most; denn er ist euch vor eurem Munde weggenommen! [6] Denn es zog herauf gegen mein Land ein Volk, mächtig und ohne Zahl; das hatte Zähne wie die Löwen und Backenzähne wie die Löwinnen. [7] Es verwüstete meinen Weinstock und fraß meinen Feigenbaum kahl, schälte ihn ab und warf ihn hin, dass seine Zweige weiß dastehen.Zur Bibelstelle u. a.), oft als Konsequenz kultischer oder ethischer Verfehlungen, speziell der Eliten, verstanden. Andererseits hat das theologisch begründete Sozialethos zu einem solidarischen Unterstützungssystem für in Armut geratene Bevölkerungsgruppen geführt,3Vgl. Crüsemann, Frank, Die Tora. Theologie und Sozialgeschichte des alttestamentlichen Gesetzes, München 1992; Kessler, Rainer, Der Weg zum Leben. Ethik des Alten Testaments, Gütersloh 2017 das den sprichwörtlich Armen dieser Zeiten, Witwen und Waisen, zu einem auskömmlichen Leben verhelfen sollte (vgl. Dtn 14,22–29[22] Du sollst Jahr für Jahr den Zehnten abgeben von allem Ertrag deiner Saat, der aus dem Acker kommt, [23] und sollst davon essen vor dem Herrn, deinem Gott, an der Stätte, die er erwählt, dass sein Name daselbst wohne, nämlich vom Zehnten deines Getreides, deines Weins, deines Öls und von der Erstgeburt deiner Rinder und deiner Schafe, auf dass du fürchten lernst den Herrn, deinen Gott, allezeit.[24] Wenn aber der Weg zu weit ist für dich, dass du’s nicht hintragen kannst, weil die Stätte dir zu fern ist, die der Herr, dein Gott, erwählen wird, dass er seinen Namen daselbst wohnen lasse, wenn der Herr, dein Gott, dich gesegnet hat, [25] so mache es zu Geld und nimm das Geld in deine Hand und geh an die Stätte, die der Herr, dein Gott, erwählen wird, [26] und gib das Geld für alles, woran dein Herz Lust hat, es sei für Rinder, Schafe, Wein, Bier oder für alles, was dein Herz wünscht, und iss dort vor dem Herrn, deinem Gott, und sei fröhlich, du und dein Haus [27] und der Levit, der in deiner Stadt lebt; den sollst du nicht leer ausgehen lassen, denn er hat weder Anteil noch Erbe mit dir.[28] Alle drei Jahre sollst du aussondern den ganzen Zehnten vom Ertrag dieses Jahres und sollst ihn hinterlegen in deiner Stadt. [29] Dann soll kommen der Levit, der weder Anteil noch Erbe mit dir hat, und der Fremdling und die Waise und die Witwe, die in deiner Stadt leben, und sollen essen und sich sättigen, auf dass dich der Herr, dein Gott, segne in allen Werken deiner Hand, die du tust.Zur Bibelstelle u. a.). Zudem sind mit der prophetischen Sozialkritik, etwa bei Amos, Jesaja, Micha oder Habakuk, Mechanismen der Ausbeutung und damit der Zusammenhang von akkumuliertem Reichtum auf der einen und Armutsprozessen auf der anderen Seite thematisiert worden. Damit ist die Frage nach Gerechtigkeit im wirtschaftlichen Handeln aufgeworfen und wurde durch entsprechende Regelungen zur Verhinderung ausbeuterischer Strukturen – so die Intention des biblischen Zinsverbots (vgl. Ex 22,24Wenn du Geld verleihst an einen aus meinem Volk, an einen Armen neben dir, so sollst du an ihm nicht wie ein Wucherer handeln; ihr sollt keinerlei Zinsen von ihm nehmen.Zur Bibelstelle) – sowie zur sozialen und ökonomischen Reintegration von in Armut geratenen Menschen – exemplarisch sind die Freilassung von Sklaven (vgl. Ex 21,1–11[1] Dies sind die Rechtsordnungen, die du ihnen vorlegen sollst:Rechte hebräischer Sklaven[2] Wenn du einen hebräischen Sklaven kaufst, so soll er dir sechs Jahre dienen; im siebenten Jahr aber soll er freigelassen werden ohne Lösegeld. [3] Ist er ohne Frau gekommen, so soll er auch ohne Frau gehen; ist er aber mit seiner Frau gekommen, so soll sie mit ihm gehen. [4] Hat ihm aber sein Herr eine Frau gegeben und hat sie ihm Söhne oder Töchter geboren, so sollen Frau und Kinder seinem Herrn gehören, er aber soll ohne Frau gehen. [5] Spricht aber der Sklave: Ich habe meinen Herrn lieb und meine Frau und Kind, ich will nicht frei werden, [6] so bringe ihn sein Herr vor Gott und stelle ihn an die Tür oder den Pfosten und durchbohre mit einem Pfriemen sein Ohr, und er sei sein Sklave für immer.[7] Verkauft jemand seine Tochter als Sklavin, so darf sie nicht freigelassen werden wie die Sklaven. [8] Gefällt sie aber ihrem Herrn nicht, nachdem er sie für sich bestimmt hat, so soll er sie auslösen lassen. Er hat aber nicht Macht, sie unter ein fremdes Volk zu verkaufen, nachdem er sie verschmäht hat. [9] Hat er sie aber für seinen Sohn bestimmt, so soll er nach dem Recht der Töchter an ihr tun. [10] Nimmt er sich aber noch eine andere, so soll er der ersten an Nahrung, Kleidung und ehelichem Recht nichts abbrechen. [11] Erfüllt er an ihr diese drei Pflichten nicht, so soll sie umsonst freigelassen werden, ohne Lösegeld.Zur Bibelstelle) und der Schuldenerlass (vgl. Dtn 15,1–3[1] Alle sieben Jahre sollst du ein Erlassjahr halten. [2] So aber soll’s zugehen mit dem Erlassjahr: Wenn einer seinem Nächsten etwas geborgt hat, der soll’s ihm erlassen und soll’s nicht eintreiben von seinem Nächsten oder von seinem Bruder; denn man hat ein Erlassjahr ausgerufen dem Herrn. [3] Von einem Ausländer darfst du es eintreiben; aber was du deinem Bruder geborgt hast, sollst du ihm erlassen.Zur Bibelstelle) zu nennen – zu beantworten versucht. In den christianisierten Kulturen Europas waren diese Impulse nur bedingt von Bedeutung, allerdings gelang es den Kirchen, die biblisch begründete Armen-Unterstützung durch diakonisch-caritative Maßnahmen fortzuführen und nachhaltig zu institutionalisieren.

    1.3. Auf dem Weg in die Industriegesellschaft

    Seit der amerikanischen und der französischen Revolution im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts veränderten sich die gesellschaftlichen Verhältnisse, politisches und wirtschaftliches Handeln wurde nicht mehr „wie eine zweite Natur einfach hingenommen.“4Krockow, Christian Graf von, Politik und menschliche Natur. Dämme gegen die Selbstzerstörung, Stuttgart 1987, 40. Zunächst hat das Politische immer weitere Lebensbereiche zu bestimmen begonnen. Leidenschaftliche Diskussionen, ob die gesellschaftlichen und speziell wirtschaftlichen Verhältnisse bewahrt, reformiert oder grundlegend verändert werden sollten, prägten die Öffentlichkeit. Große Teile der Bevölkerung wurden seit dem 19. Jahrhundert politisiert und durch politische und soziale Ideologien, durch verschiedene Formen des Nationalismus sowie durch sozialreformerische oder -revolutionäre Bewegungen, mobilisiert. Die Politik wurde auf diese Weise mehr und mehr zum „Schicksal“.

    Indem Walther Rathenau oes-gnd-iconwaiting... die „Wirtschaft“ als „Schicksal“ bezeichnete, hat er für den Bereich wirtschaftlichen Handelns den beherrschenden Einfluss auf die alltägliche Lebenswelt diagnostiziert, wie er in der Neuzeit zunächst dem politischen Handeln zugemessen wurde. Die auf Lohnarbeitsverhältnissen beruhende Industriegesellschaft mit der Anwendung wissenschaftlich-technischer Errungenschaften veränderte in kurzer Zeit die Lebensbedingungen der Bevölkerung grundlegend. Nunmehr sind es Konjunkturschwankungen, Preisentwicklungen und insbesondere tiefgreifende ökonomische Umstrukturierungen mit den Folgen des Arbeitsplatzwechsels, der Herausbildung neuer Arbeitsverhältnisse oder Massenarbeitslosigkeit, welche über das ökonomische und soziale Wohl der meisten Menschen wesentlich entscheiden.

    1.4. Die Dominanz der „kapitalistischen Betriebsform“

    Um diese seit dem Ende des 19. Jahrhunderts dominant werdende Wirtschaftsentwicklung zu kennzeichnen, bedarf es nach Ernst Troeltsch oes-gnd-iconwaiting... „nur eines Wortes, […] (es) ist der Kapitalismus, und zwar der Kapitalismus nicht bloß als Industrie und Geldgeschäft, sondern als Handwerk und Landwirtschaft gleicherweise ergreifende kapitalistische Betriebsform überhaupt.“5Troeltsch, Ernst, Das Wesen des modernen Geistes (1907), in: ders, Gesammelte Schriften, Tübingen 1925, 308. Diese Betriebsform strebt eine optimale Verwertung des investierten Kapitals an, indem möglichst erfolgreich für den Markt produziert wird. Das dieses Verwertungsinteresse zum Ausdruck bringende Kalkül setzt sich in allen Bereichen der Gesellschaft durch und überwindet überkommene Traditionen. Es führt zu einer „ungeheure(n) Rationalisierung des Lebens“, indem eine „beständige Berechnung des Ertrages“, die konsequente Anwendung der „rationell-wissenschaftliche(n) Methode der Technik, […] die rationelle Kunst der Arbeitsteilung, die Berechenbarkeit jedes Wertes in bestimmten Tauschwerten“ sowie letztlich „die Konstruktion des ganzen Daseins aus wirtschaftlichen Gesetzen“6Troeltsch, Wesen, 309. gefördert werden.

    2. Marktwirtschaft oder Zentralverwaltungswirtschaft: Alternativmodelle zur Koordination wirtschaftlichen Handelns

    2.1. Der Markt und die Tauschgerechtigkeit

    Der Austausch der über den eigenen Bedarf hinaus oder arbeitsteilig produzierten Güter erfolgte seit der Antike über Märkte, von denen aus sich dynamische Formen des Tauschhandels entwickelten, die von der lokalen Versorgung ausgehend weit entfernte Regionen und zuvor nicht verfügbare Güter in das Angebot einbezogen. Die Frage nach Regeln des Tausches bezeichnet eine Grundfrage der Sozialphilosophie. Aristoteles oes-gnd-iconwaiting... konzeptualisierte in diesem Sinn die iustitia commutativa, die von dem Gedanken eines arithmetischen Austauschverhältnisses bestimmt ist, wonach alle am Tausch Beteiligten gemäß einer quantitativen Leistungsäquivalenz das ihnen Zustehende erhalten sollten. Faktisch waren Marktpreise jedoch wesentlich von den Machtressourcen der jeweiligen Tauschparter*innen bestimmt, wobei insbesondere einem Überangebot von Arbeitskräften ein geringeres Angebot an den zum Überleben notwendigen Gütern gegenüberstand, so dass massenhafte Armut die meisten Epochen der Geschichte bestimmte. Neben den als „schicksalhaft“ erfahrenen Erntekrisen wurde zunehmend das Verhalten der Akteure auf Märkten und damit die Frage nach „gerechten Löhnen“ und „gerechten Preisen“ zum Gegenstand ethischer Überlegungen, prägnant in der scholastischen Theologie. 

    2.2. Reformatorische Impulse für eine Ethik des Marktes

    Auch Martin Luther oes-gnd-iconwaiting... beschäftigte sich intensiv mit Preisbildungsprozessen auf Märkten und kritisierte die seinerzeit geltende Grundregel unter Kaufleuten, eine Ware so teuer wie möglich zu verkaufen, als wider das Gebot der Nächstenliebe. Er empfahl christlichen Kaufleuten stattdessen, sich an den marktüblichen Preisen zu orientieren und diese auch dann, wenn ein höherer Preis zu erzielen wäre, zu akzeptieren. Bei seltenen oder innovativen Gütern sollten Kaufleute die ihnen entstandenen Kosten, eine dem Stand angemessene Lebensführung sowie Arbeitszeiten und Geschäftsrisiken kalkulieren, um einen angemessenen Preis zu ermitteln. Scharf verurteilte Luther jede Form von Monopolpreisen als frevelhaften Versuch, dauerhafte Gewinne abzusichern, obwohl es gegen Gottes Wille wäre, sich Erträge oder andere zeitliche Güter „ohne Gefahr und Unsicherheit“7Luther, Martin, Von Kaufhandlung und Wucher (1524) (WA 15), 312. zu sichern. Insbesondere das Aufkaufen aller Güter, um Monopolpreise zu erzielen, sollte die Obrigkeit unterbinden, christliche Kaufleute sollten sich daran nicht beteiligen: „Es gibt keinen anderen Rat als den: Lass es! Anders geht es nicht.“8Luther, Kaufhandlung, 312.

    2.3. Zur Kritik der Lohnarbeit und des Marktprinzips

    Für die ökonomische Klassik und für Karl Marx oes-gnd-iconwaiting... wurde die bereits bei Luther oes-gnd-iconwaiting... zu findende Beobachtung wegweisend, als Maßstab für die Austauschprozesse auf Märkten das durchschnittliche Quantum der für die Produktion der Waren benötigten Arbeitszeit heranzuziehen. Hier findet sich ein abstraktes Verständnis von Arbeit, das gegenüber bestimmten Formen der Arbeit, wie der agrarischen Produktion oder dem industriellen Prozess, gleichgültig ist und alle Formen von Arbeit einheitlich ökonomisch bewertet. Arbeit in dem ökonomischen Sinn als marktvermittelte Erwerbsarbeit meint zweckgerichtete, dem Prinzip der Arbeitsteilung unterworfene Tätigkeit, die sich in wirtschaftlichen Zusammenhängen als leistungseffizient zu erweisen hat.

    Dementsprechend wurde in ökonomischen Werken seit dem 19. Jahrhundert sowie in politischen Programmen „Arbeit“ als „Quelle allen Reichtums und aller Kultur“91. Paragraph des Gothaer Programms der SPD (1875), in: Fenske, Hans (Hrsg.), Im Bismarckschen Reich 1871–1890. Darmstadt 1978, 141–142, 141. bezeichnet, was bereits Marx mit dem Verweis auf die ebenso zentrale Rolle der Natur als Quelle menschlicher Wohlfahrt problematisierte. Vor allem kritisierte Marx die Situation der Arbeiter im Frühkapitalismus als Ausbeutungsverhältnis, da diese nur leben, soweit sie ihr Arbeitsvermögen „stückweise verkaufen müssen, (sie) sind eine Ware wie jeder andere Handelsartikel.“10Marx, Karl/Engels, Friedrich, Das kommunistische Manifest (MEW 4), 468. Gegenüber dieser Unterwerfung der menschlichen Arbeit unter die Bedingungen des Marktgeschehens, das zyklische Krisen und damit Verelendungsprozesse hervorriefe, plädierte er dafür, den „Stoffwechsel mit der Natur rationell (zu) regeln“,11Marx, Karl, Das Kapital, 3. Bd. (MEW 25), 828., d. h. durch das Allokationsprinzip von Plänen zu organisieren. Dieser Impuls wurde in der sozialistischen Bewegung dominant und in der Sowjetunion sowie in den von ihr beherrschten oder beeinflussten Ländern zum Grundprinzip wirtschaftlichen Handelns. Vor diesem Hintergrund spielte der Gegensatz der beiden ordnungspolitischen Systeme der Markt- und der Zentralverwaltungswirtschaft in den wirtschaftspolitischen Debatten des 20. Jahrhunderts eine zentrale Rolle.

    2.4. Zur ethischen Bewertung der Grundsysteme der Markt- und der Zentralverwaltungswirtschaft

    Eine maßgebliche sozialethische Beurteilung dieser Ordnungssysteme hat der Zürcher Theologe Arthur Rich oes-gnd-iconwaiting... erarbeitet. Er hat aufgezeigt, dass aus Gründen des Sachgemäßen wie des Menschengerechten12Vgl. zu diesen beiden Grundpfeilern der Wirtschaftsethik: Rich, Arthur, Wirtschaftsethik. Grundlegung in theologischer Perspektive, Gütersloh 31987, 201ff. eine Relativierung beider Grundsysteme notwendig ist, da sie in ihren reinen Formen gegen Erfordernisse des Sachgemäßen wie vor allem gegen Kriterien des Menschengerechten verstoßen. Da eine Synthese beider Systeme unmöglich ist, besteht die ethische Alternative zwischen einer regulierten Marktwirtschaft und einer durch Marktelemente relativierten Zentralverwaltungswirtschaft. Da letztere „nicht wirklich relativierbar“13Rich, Arthur, Wirtschaftsethik 2. Marktwirtschaft, Planwirtschaft, Weltwirtschaft aus sozialethischer Sicht, Gütersloh 1990, 258. ist und sich im Blick auf die ökonomische Effizienz als unterlegen erwiesen hat, sprach sich Rich für regulierte Formen der Marktwirtschaft aus. Regulierungen sind notwendig, weil erstens stets Informationsasymmetrien von Marktteilnehmenden bestehen, welche zu Verzerrungen führen, und weil zweitens das Marktgeschehen gravierende soziale Verwerfungen hervorruft. Als positiv bewertetes Beispiel einer regulierten Marktwirtschaft nannte Rich die soziale Marktwirtschaft, die wirtschaftliche Instabilitäten ausgleicht und insbesondere Korrekturen bei der Einkommensverteilung vornimmt. Dies ist notwendig, weil die Verteilung im Rahmen der Wettbewerbsordnung nach einem rein sachlichen Mechanismus, d. h. „sozial blind“,14Müller-Armack, Alfred, Wirtschaftspolitik in der sozialen Marktwirtschaft, in: Boarman, Patrick M. (Hrsg.), Der Christ und die soziale Marktwirtschaft, Stuttgart/Köln 1955, 85. geschieht und auf besondere Lebenslagen keine Rücksicht nimmt. Dieses Modell ist nach Rich durch Kriterien der Mitweltgerechtigkeit und der Partizipation weiterzuentwickeln, da insbesondere ökologische Schäden und wirtschaftliche Machtkonzentrationen im Rahmen der sozialen Marktwirtschaft bisher nicht ausreichend begrenzt bzw. ausgeschlossen werden konnten.15Vgl. Rich, Wirtschaftsethik 2, 343f.

    2.5. „Schöpferische Zerstörung“ als Kern marktwirtschaftlicher Dynamik 

    Die entscheidenden ökonomischen Vorteile der durch Märkte vermittelten Koordination wirtschaftlichen Handelns sind hohe Effizienz und schnelle Anpassungen an veränderte Umweltbedingungen. Dezentrale Entscheidungsprozesse reagieren besser auf Veränderungen als eine Planwirtschaft und sorgen für eine Optimierung von Aufwand und Ertrag der Produktion. Die damit verbundene Produktivitätsentwicklung mit der „Konkurrenz der neuen Ware, der neuen Technik, der neuen Versorgungsquelle, des neuen Organisationstyps“16Schumpeter, Joseph A., Kapitalismus, Sozialismus, Demokratie, Bern 21950, 140. hat zu einer Hebung des allgemeinen Wohlstands durch eine Verbilligung von Gütern und Dienstleistungen sowie zu einer beträchtlichen Verkürzung der Arbeitszeiten geführt. Auf der anderen Seite hat diese Dynamik stets zu wirtschaftlichen Strukturbrüchen und damit zu Zerstörungen bisheriger, nunmehr veralteter Produktions- und auch Lebensstrukturen geführt mit beträchtlichen sozialen Folgekosten. Der Ökonom Schumpeter oes-gnd-iconwaiting... hat die Ambivalenz des marktwirtschaftlichen Prinzips prägnant als einen „Prozeß schöpferischer Zerstörung“17Schumpeter, Kapitalismus, 134. beschrieben.

    3. Geld: Vom Tausch- und Wertaufbewahrungsmittel zur alles bestimmenden gesellschaftlichen Wirklichkeit?

    3.1. Was gilt? Funktionen von „Geld“

    Geld ist das, was gilt. Ob der Beginn des Geldgebrauches in Schuldbriefen oder in Tauschakten zu verorten ist, bleibt umstritten.18Vgl. Graeber, David, Schulden. Die ersten 5000 Jahre, Stuttgart 2012; Martin, Felix, Die wahre Geschichte des Geldes, München 2014. „Geld“ muss in Tauschakten sowie bei der Übertragung von Schulden oder Werteinheiten gelten. Es hat gegenüber anderen Formen des Besitzes den Vorzug, dass es mobil einsetzbar und in der Regel – Ausnahmen sind Zeiten hoher Inflation – vor dem Verderben geschützt ist. Deshalb ist durch den Geldverkehr die Grenze des Verderbs bei der Aneignung von Gütern durch Arbeit aufgehoben, denn jeder Überschuss an Produkten kann gegen Gold und Silber getauscht werden.19Vgl. Locke, John, Über die Regierung, Stuttgart 1974, 39. Diese Vorteile in Verbindung mit einer hohen Mobilität und Konvertibilität sind für alle auf Arbeitsteilung und dem Tausch auf Märkten beruhenden Gesellschaften ein grundlegendes Erfordernis.20Vgl. Smith, Adam, Der Reichtum der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, München 1974, 22f.

    Kennzeichnend für heutige Geldtheorien ist eine funktionale Betrachtung: „Alles, was Geldfunktionen ausübt, ist Geld.“21Issing, Otmar, Einführung in die Geldtheorie, München 71990, 1. In diesem Sinn ist „Geld als ein Medium definiert, das gleichermaßen der Tauschabwicklung wie der Wertaufbewahrung dient und das im Zusammenhang mit diesen konkreten Dispositionen auch die Rolle des abstrakten Wertmaßstabs übernimmt.“22Kath, Dieter, Geld und Kredit, in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik 1, München 1984, 176. Damit wird die Vergleichbarkeit der zum Tausch angebotenen Güter und Leistungen durch die Funktion des Geldes als Rechen- und Bewertungseinheit ermöglicht. Grundsätzlich könnte jedes beliebige Gut diese Rolle übernehmen, es ist jedoch am zweckmäßigsten, das Gut zu wählen, dessen Qualitätsmerkmale eindeutig definiert sind und das weitgehend verlässlich ist. So kommt dem allgemeinen Tauschmittel auch die Funktion als Recheneinheit zu. Dieser Gebrauch des Geldes begründet die Preisbildung, es bildet die entscheidende Grundlage für alle Formen der Wirtschaftsrechnung.23Vgl. Issing, Einführung, 2. und ermöglicht es, unterschiedliche Güter mit einem ökonomischen Wert zu belegen. Wesentlich für die Preisfunktion des Geldes ist es, dass auf diese Weise die Knappheit bzw. die Verfügbarkeit von Gütern signalisiert werden kann.

    3.2. Die theologische Perspektive: Gott und Geld als Alternative?

    Theologisch wird in Anknüpfung an die Jesusworte vom Mammon (vgl. Mt 6,24Niemand kann zwei Herren dienen: Entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird an dem einen hängen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.Zur Bibelstelle; Lk 16,9Und ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit, wenn er zu Ende geht, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten.Zur Bibelstelle) eine Alternative von Gott und Geld postuliert. Diese ist darin begründet, dass Geld aufgrund seiner vielfältigen Funktionen leicht von einem Mittel zu einem Endzweck umschlägt.24Vgl. Simmel, Georg, Zur Psychologie des Geldes, in: ders., Aufsätze 1887–1890 (GA 2), Frankfurt a. M. 1989, 52. Speziell als Wertaufbewahrungsmittel kann Geld ein „Gefühl von Ruhe und Sicherheit vermitteln, […] welches der Fromme in seinem Gott findet; in beiden Fällen ist es die Erhebung über das Einzelne, die wir in dem ersehnten Objekt finden […].“25Simmel, Psychologie, S. 64f. Diese psychologische Deutung, die sich in Luthers oes-gnd-iconwaiting... Auslegung zum ersten Gebot im Großen Katechismus, in der er Geld und Gut als „Widerspiel“26Luther, Martin, Der große Katechismus. Zum ersten Gebot, in: Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen 21952, 561. zum Vertrauen auf Gott aufzeigt, ähnlich finden lässt, lässt sich zudem soziologisch plausibilisieren, da dem Geld in modernen Wirtschaftsgesellschaften faktisch ein „omnipräsenter und omnipotenter, also ‚göttlicher‘ Charakter“27Wagner, Falk, Geld oder Gott? Zur Geldbestimmtheit der kulturellen und religiösen Lebenswelt, Stuttgart 1984, 135. zukommt. Die Universalität des modernen Geldumgangs, die den Bereich der Wirtschaft zunehmend übersteigt, führt zu der Konsequenz, dass alle Dinge auf einen Geldausdruck reduziert werden können. Von der Funktionsweise des Geldes her ist dessen Bewertungs-, Zahlungs- und Verwertungsmechanismus grenzenlos. Nach Falk Wagner oes-gnd-iconwaiting... folgt daraus, dass nicht-ökonomische Bereiche der Gesellschaft „zum Zwecke ihrer Kommunikabilität […] auf ihre Tauschbarkeit“28Wagner, Geld, 71. – und damit auf eine dem Geld entsprechende Logik – reduziert sind. Diese These lässt sich in der Gegenwart durch eine weitgehende Ökonomisierung vieler Gesellschaftsbereiche, etwa der Sozialwirtschaft, erhärten. Demgegenüber ist aus Sicht der evangelischen Sozialethik eine Gesellschaftspolitik notwendig, die eine Einbettung der ökonomischen Tauschlogik und damit des Geldes „jenseits von Angebot und Nachfrage“29Vgl. Röpke, Wilhelm, Jenseits von Angebot und Nachfrage, Zürich/Stuttgart 1958. durch eine zivilgesellschaftliche Sozialkultur garantiert und in diesem Sinn die Perspektive einer Einbettung wirtschaftlichen Handelns in die demokratische Ordnung eröffnet.30Vgl. dazu aktuell: Kuch, Hannes, Wirtschaft, Demokratie und liberaler Sozialismus, Frankfurt a. M./New York 2023.  

    3.3. Geld als „Kapital“

    Darüber hinaus ist Geld als „Kapital“ dadurch gekennzeichnet, dass es ein gesellschaftliches und wirtschaftliches Machtverhältnis konstituiert mit weitreichenden sozialen und öffentlichen Bezügen. Geld als „Kapital“ ermöglicht es, eine Infrastruktur aufzubauen, Rohmaterialien und insbesondere „Arbeit vorschussweise auszugeben“,31Jevons, Winston St., The Theory of Political Economy, Harmondsworth 1970, 43 (Übersetzung durch den Autor). um durch Produktions- oder Dienstleistungsprozesse über die getätigten Investitionen hinaus einen Gewinn zu generieren. Dazu sind Arbeitnehmer*innen ein wesentlicher Schlüssel, die bei hoher Qualifikation oder hoher Nachfrage nach Arbeitskräften sich durch gewerkschaftlichen Zusammenschluss einen guten Anteil an Gewinnen als Löhne erkämpfen können, in Fällen geringer Nachfrage oder bei Un- und Angelernten sind die Löhne prekär. 

    Ein Unternehmen lässt sich in dieser Perspektive als „Umwandlungsprozess von Geld in Güter und von Gütern in Geld“32Gutenberg, Erich, Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie, Berlin/Wien 1929, 43. beschreiben mit dem Ziel eines maximalen Gewinns. Aufgrund der Konkurrenzsituation auf Märkten führt dies zu einer beständigen technologischen und organisatorischen Rationalisierung, so dass die Wirtschaftsstruktur „unaufhörlich von innen heraus revolutioniert“ wird, wobei innovative Schübe „in unsteten Stößen auf(treten), die voneinander durch Spannen verhältnismäßiger Ruhe getrennt sind. Der Prozeß als ganzer verläuft jedoch ununterbrochen.“33Schumpeter, Kapitalismus, 213. Auf soziale oder ökologische Belange wird dabei häufig wenig Rücksicht genommen, sofern diese Anliegen nicht durch gesetzliche Vorgaben der Rahmenordnungen34Vgl. Homann, Karl/Suchanek, Andreas, Ökonomik. Eine Einführung, Tübingen 22005, 236–239. in das unternehmerische Handeln implementiert worden sind. Das Konzept der „Corporate Social Responsibility“ (CSR), von der EU gefördert, ist ein Versuch, die unternehmerische Verantwortung zur Geltung zu bringen.35Vgl. Sun, William, How to Govern Corporations So They Serve the Public Good. A Theory of Corporate Governance Emergence, New York 2010. Vgl. auch: Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive. Eine Denkschrift des Rates der EKD, Gütersloh 2008.

    4. Auf dem Weg in die digitale Wirtschaft 4.0?

    4.1. Die Problematik konzentrierter ökonomischer Macht der Digitalwirtschaft

    Das Marktgeschehen führt in der Regel zu einer Verfestigung markdominanter Positionen, eröffnet zugleich immer wieder durch dessen Dynamik neuen Akteuren die Möglichkeit, sich durch neue Produkte oder Techniken am Markt zu etablieren. Das Ausscheiden schwächerer Anbieter und ein mit der Kapitalakkumulation einhergehender Konzentrationsprozess sind typisch für kapitalistische Gesellschaften und hat zu Anti-Trust-Gesetzen in den USA seit dem Ende des 19. Jh.s und zur Einrichtung von Monopolkommissionen in der Bundesrepublik Mitte der 1950er Jahre und seit den 2000er Jahren auf EU-Ebene geführt. Diese Problematik hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten durch große Digital-Unternehmen deutlich verschärft.  

    Eine wesentliche Ursache der Monopolbildungen im Bereich von Digital-Unternehmen liegt in direkten Netzwerk- und indirekten Feedbackeffekten. Dort, wo die meisten Kontaktmöglichkeiten gegeben sind oder wo man ein möglichst breites Angebot bzw. eine große Nachfragekapazität findet, lässt sich ein hoher Nutzen erzielen. Marktführer erhalten vermehrt Zulauf, konkurrierende Anbieter fallen in eine Nische oder verschwinden vom Markt. Vor diesem Hintergrund ist zu erklären, dass z. B. Google bei Suchanfragen in Europa einen Marktanteil von 90% hält.

    Für die Bewertung solcher Monopolstrukturen, die anders gelagert sind als zu Luthers oes-gnd-iconwaiting... Zeiten, ist die Frage entscheidend, ob und wie Marktführer ihre Machtposition auszunutzen, etwa Daten der Nutzer*innen für Werbezwecke einsetzen oder Produkte aus dem Spektrum des eigenen Unternehmens bevorzugen. Vor diesem Hintergrund ist die jüngst eingeführte Plattformregulierung auf EU-Ebene sinnvoll, um missbräuchliches Verhalten von marktbeherrschenden Plattformen durch Geldbußen ggf. zu bestrafen. Hinzu kommt das gesellschaftspolitisch sensible Phänomen, dass einige große Digital-Unternehmen durch ihre Kommunikationsstrategien zunehmend Einfluss auf die politische Willensbildung nehmen. Daher ist die Kritik von Unternehmensmonopolen aufgrund deren Machtballungen im Zeitalter von Digital-Unternehmen dringender denn je zuvor.

    4.2. Ambivalenzen der Digitalisierung wirtschaftlichen Handelns

    Erste Konturen einer transformierten Wirtschaftswelt im Horizont der digitalen Vernetzung zeichnen sich ab: Werkstücke werden in digital gesteuerten Produktionsabläufen weitgehend autonom hergestellt, Verteilungsnetze sind vom vollautomatisierten Lager bis zur sensorgesteuerten Bestellung von Waren etwa „durch“ Kühlschränke vernetzt, GPS-gesteuerte Landwirtschaftsmaschinen pflügen, säen und ernten autonom die Felder, selbstfahrende Wagen transportieren in Krankenhäusern Essen und Sterilisationsgeräte, Roboter wirken bei Operationen mit, selbstlenkende Automobile oder Drohnen sind für die Auslieferung von im Internet bestellten Waren oder für die Sicherstellung der Mobilität zuständig. Die Entwicklung geht in die Richtung des „internet of everything“, weil der „Cyberspace“ und die „Welt der Dinge“ zunehmend miteinander vernetzt werden. Dies verändert nicht zuletzt die Arbeitsabläufe: Arbeitsorte und die dortige Präsenz von Menschen werden tendenziell unwichtiger, Projektarbeit zu einem möglichen Zukunftsmodell mit neuen Herausforderungen im Blick auf die Solidarität und Interessenvertretung der Beschäftigten.36Vgl. Solidarität und Selbstbestimmung in der Arbeitswelt. Eine Denkschrift des Rates der EKD zu Arbeit, Sozialpartnerschaft und Gewerkschaften, Gütersloh 2015. Konsument*innen gewinnen neue Handlungsmacht durch ein hohes Maß an Informationsgewinnung (Qualitäts- und Preisvergleiche u. a.), zugleich „bezahlen“ sie mit ihren Daten und können gezielt für Marketingstrategien angesprochen werden. Auch die ökologischen Auswirkungen sind nicht eindeutig zu bestimmen, einer Verringerung des Ressourceneinsatzes steht ein teilweise extrem hoher Energiebedarf gegenüber.37Vgl. zu diesen Ambivalenzen: Jähnichen, Traugott/Wiemeyer, Joachim, Wirtschaftsethik 4.0. Der digitale Wandel als wirtschaftsethische Herausforderung, Stuttgart 2020. In weltwirtschaftlicher Perspektive sind für Länder des globalen Südens durch Bildungsoffensiven, wie u. a. in Indien, und die schnelle Bereitstellung einer digitalen Infrastruktur, wie u. a. in Ruanda, beachtliche nach- und aufholende Effekte zu verzeichnen, zugleich kann von einem „digitalen Neokolonialismus“ aufgrund der sozial-ökologischen Kosten des Ressourcenhungers des globalen Nordens sowie der Abhängigkeiten des Südens von den Kabel- und Satellitenprojekten des Nordens sowie dessen Verfügens über Daten, Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten als neue Formen kolonialen Herrschaftswissens gesprochen werden.38Vgl. Dachwitz, Ingo/Hilbig, Sven, Digitaler Kolonialismus. Wie Tech-Konzerne und Großmächte die Welt unter sich aufteilen, München 2025. Insofern sind die Herausforderungen der digitalen Transformation durch politische Regelsysteme zu stärken und zugleich die problematischen Auswirkungen insbesondere der Machtkonzentrationen bei wenigen „digitalen Tech-Unternehmen“ durch Plattformregulierungen, wie in der EU, zu begrenzen.

    5. Fazit: „Lebensdienlichkeit“39Diesen Begriff hat Arthur Rich geprägt, vgl. Rich, Wirtschaftsethik 2, 22f. u. ö. als Zweck wirtschaftlichen Handelns

    Wirtschaftliches Handeln hat dienende Aufgaben, es ist Mittel und kein Selbstzweck. Der grundlegende Zweck ist die Bereitstellung von Gütern, um Lebensbedürfnisse – die elementaren ebenso wie basale Voraussetzungen sowie Gestaltungen sozialer und kultureller Dienstleistungen – von Menschen zu befriedigen  Daher muss wirtschaftliches Handeln effizient sein, wie es durch die Marktallokation mit Wettbewerbsstrukturen ermöglicht wird. Effizienz ist eine zentrale, aber nicht die alleinige Bedingung wirtschaftlichen Handelns. Menschen sollen nicht nur von den Produkten wirtschaftlichen Handelns leben können, sondern sie müssen auch in den Produktions- und Dienstleistungsprozessen menschlich leben. Daher bleibt die Humanisierung wirtschaftlicher Abläufe eine ständige Aufgabe. Zugleich ist ein hohes Maß an Beschäftigung zu sichern, da in modernen Gesellschaften Menschen durch Erwerbsarbeit ihren Lebensunterhalt erwerben, am gesellschaftlichen Leistungsprozess teilnehmen und soziale Anerkennung erwerben. Da der Markt sozial „blind“ ist, muss die Tauschgerechtigkeit durch Kriterien der Verteilungsgerechtigkeit zur Sicherung elementarer Lebensbedürfnisse von Benachteiligten ergänzt werden, wie es in der jüdischen und in der christlichen Tradition breit verankert ist.

    Die wohl zentrale Herausforderung wirtschaftlichen Handelns besteht gegenwärtig darin, die Dimension der Mitgeschöpflichkeit zu integrieren. Die Ausbeutung der natürlichen Lebensgrundlagen wurde lange Zeit ignoriert, trotz vieler Appelle seit mehr als 100 Jahren. Sowohl der Ressourcenverbrauch wie auch die Emissionen von Schadstoffen, insbesondere von CO2, zerstören das ökologische Gleichgewicht und reduzieren die Artenvielfalt dramatisch. Die UN-Agenda zur Orientierung an Nachhaltigkeitszielen bis 2030 (Sustainable Development Goals) und entsprechende Politikprogramme haben daran bisher wenig geändert. Eine sich insbesondere in Preisen ausdrückende Berücksichtigung ökologischer Anliegen ist notwendig, um eine Transformation zu einer nachhaltigen und damit zukunftsfähigen Form wirtschaftlichen Handelns zu ermöglichen. Dabei sind die sozialen Auswirkungen ebenso zu berücksichtigen wie die Sicherung der Effizienz.        

    „Die Wirtschaft ist das Schicksal.“ Diese Aussage gilt nach mehr als 100 Jahren im Blick auf die Auswirkungen wirtschaftlichen Handelns nunmehr nicht nur für die menschlichen Lebensbedingungen, sondern für die Schöpfung insgesamt. Allerdings ist „Schicksal“ kein unentrinnbares Verhängnis. Wie in den biblischen Erinnerungen angelegt, ist der Mensch – als Ebenbild Gottes dessen Mandatar in der Welt – zur Verantwortung gerufen. Dazu gehört wesentlich, die Lebensdienlichkeit wirtschaftlichen Handelns durch die Zivilgesellschaft und politische Prozesse zu sichern sowie dies im Einklang mit der Sicherung der Integrität der natürlichen Lebensgrundlagen zu gestalten.

    Weiterführende Literatur

    Grotefeld, Stefan, Verantwortung von Unternehmen. Überlegungen in theologisch-ethischer Absicht, Zürich TVZ 2015.

    Jähnichen, Traugott, Art. Wirtschaftsethik, in: Handbuch der Evangelischen Ethik, München 2015, 331–400.

    Jähnichen, Traugott/Wiemeyer, Joachim, Wirtschaftsethik 4.0. Der digitale Wandel als wirtschaftsethische Herausforderung, Stuttgart 2020.

    Kuch, Hannes, Wirtschaft, Demokratie und liberaler Sozialismus, Frankfurt a. M./New York 2023.

    Luetge, Christoph (Hrsg.), Handbook of the Philosophical Foundations of Business Ethics, Wiesbaden 2013.

    Luetge, Christoph/Uhl, Matthias, Wirtschaftsethik (Vahlens Handbücher der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften), München 2018.

    Sautter, Hermann, Verantwortlich wirtschaften. Die Ethik gesamtwirtschaftlicher Regelwerke und des unternehmerischen Handelns, Marburg 2017.

     

     

     

    Einzelnachweise

    • 1
      Rathenau, Walther, Rede auf der Tagung des Reichsverbandes der deutschen Industrie. Gehalten in München am 28. September 1921, in: Ders., Gesammelte Reden, Berlin 1924, 264.
    • 2
      „Was […] will man jetzt mit dem Schicksal, die ‚Politik’ ist das Schicksal.“ Goethe, Johann W., Unterredung mit Napoleon, in: Ders., Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens 14 (Münchner Ausgabe), hrsg. v. Karl Richter et al., München/Wien 1986, 576–580, 579.
    • 3
      Vgl. Crüsemann, Frank, Die Tora. Theologie und Sozialgeschichte des alttestamentlichen Gesetzes, München 1992; Kessler, Rainer, Der Weg zum Leben. Ethik des Alten Testaments, Gütersloh 2017
    • 4
      Krockow, Christian Graf von, Politik und menschliche Natur. Dämme gegen die Selbstzerstörung, Stuttgart 1987, 40.
    • 5
      Troeltsch, Ernst, Das Wesen des modernen Geistes (1907), in: ders, Gesammelte Schriften, Tübingen 1925, 308.
    • 6
      Troeltsch, Wesen, 309.
    • 7
      Luther, Martin, Von Kaufhandlung und Wucher (1524) (WA 15), 312.
    • 8
      Luther, Kaufhandlung, 312.
    • 9
      1. Paragraph des Gothaer Programms der SPD (1875), in: Fenske, Hans (Hrsg.), Im Bismarckschen Reich 1871–1890. Darmstadt 1978, 141–142, 141.
    • 10
      Marx, Karl/Engels, Friedrich, Das kommunistische Manifest (MEW 4), 468.
    • 11
      Marx, Karl, Das Kapital, 3. Bd. (MEW 25), 828.
    • 12
      Vgl. zu diesen beiden Grundpfeilern der Wirtschaftsethik: Rich, Arthur, Wirtschaftsethik. Grundlegung in theologischer Perspektive, Gütersloh 31987, 201ff.
    • 13
      Rich, Arthur, Wirtschaftsethik 2. Marktwirtschaft, Planwirtschaft, Weltwirtschaft aus sozialethischer Sicht, Gütersloh 1990, 258.
    • 14
      Müller-Armack, Alfred, Wirtschaftspolitik in der sozialen Marktwirtschaft, in: Boarman, Patrick M. (Hrsg.), Der Christ und die soziale Marktwirtschaft, Stuttgart/Köln 1955, 85.
    • 15
      Vgl. Rich, Wirtschaftsethik 2, 343f.
    • 16
      Schumpeter, Joseph A., Kapitalismus, Sozialismus, Demokratie, Bern 21950, 140.
    • 17
      Schumpeter, Kapitalismus, 134.
    • 18
      Vgl. Graeber, David, Schulden. Die ersten 5000 Jahre, Stuttgart 2012; Martin, Felix, Die wahre Geschichte des Geldes, München 2014.
    • 19
      Vgl. Locke, John, Über die Regierung, Stuttgart 1974, 39.
    • 20
      Vgl. Smith, Adam, Der Reichtum der Nationen. Eine Untersuchung seiner Natur und seiner Ursachen, München 1974, 22f.
    • 21
      Issing, Otmar, Einführung in die Geldtheorie, München 71990, 1.
    • 22
      Kath, Dieter, Geld und Kredit, in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik 1, München 1984, 176.
    • 23
      Vgl. Issing, Einführung, 2.
    • 24
      Vgl. Simmel, Georg, Zur Psychologie des Geldes, in: ders., Aufsätze 1887–1890 (GA 2), Frankfurt a. M. 1989, 52.
    • 25
      Simmel, Psychologie, S. 64f.
    • 26
      Luther, Martin, Der große Katechismus. Zum ersten Gebot, in: Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Göttingen 21952, 561.
    • 27
      Wagner, Falk, Geld oder Gott? Zur Geldbestimmtheit der kulturellen und religiösen Lebenswelt, Stuttgart 1984, 135.
    • 28
      Wagner, Geld, 71.
    • 29
      Vgl. Röpke, Wilhelm, Jenseits von Angebot und Nachfrage, Zürich/Stuttgart 1958.
    • 30
      Vgl. dazu aktuell: Kuch, Hannes, Wirtschaft, Demokratie und liberaler Sozialismus, Frankfurt a. M./New York 2023.
    • 31
      Jevons, Winston St., The Theory of Political Economy, Harmondsworth 1970, 43 (Übersetzung durch den Autor).
    • 32
      Gutenberg, Erich, Die Unternehmung als Gegenstand betriebswirtschaftlicher Theorie, Berlin/Wien 1929, 43.
    • 33
      Schumpeter, Kapitalismus, 213.
    • 34
      Vgl. Homann, Karl/Suchanek, Andreas, Ökonomik. Eine Einführung, Tübingen 22005, 236–239.
    • 35
      Vgl. Sun, William, How to Govern Corporations So They Serve the Public Good. A Theory of Corporate Governance Emergence, New York 2010. Vgl. auch: Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive. Eine Denkschrift des Rates der EKD, Gütersloh 2008.
    • 36
      Vgl. Solidarität und Selbstbestimmung in der Arbeitswelt. Eine Denkschrift des Rates der EKD zu Arbeit, Sozialpartnerschaft und Gewerkschaften, Gütersloh 2015.
    • 37
      Vgl. zu diesen Ambivalenzen: Jähnichen, Traugott/Wiemeyer, Joachim, Wirtschaftsethik 4.0. Der digitale Wandel als wirtschaftsethische Herausforderung, Stuttgart 2020.
    • 38
      Vgl. Dachwitz, Ingo/Hilbig, Sven, Digitaler Kolonialismus. Wie Tech-Konzerne und Großmächte die Welt unter sich aufteilen, München 2025.
    • 39
      Diesen Begriff hat Arthur Rich geprägt, vgl. Rich, Wirtschaftsethik 2, 22f. u. ö.
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