1. Einführung
In der christlichen Theologie bezieht sich der Begriff „Hölle“ auf die Unterwelt im allgemeinen Sinne, das Reich der Toten oder einen postmortalen Ort der Läuterung und/oder der Bestrafung. Die Hölle wird im Apostolischen Glaubensbekenntnis im Sinne der Unterwelt erwähnt, aus der Christus errettet. In der westlichen Theologie hingegen wird sie im Allgemeinen als Ort der ewigen Bestrafung verstanden. Im Kern geht es bei der Lehre von der Hölle um die Frage der Gerechtigkeit für Täter und Opfer. Damit zusammenhängende Fragen sind das Ausmaß der Sühne, die Rolle des Teufels und das Verhältnis zwischen Gottes Liebe, Verhältnismäßigkeit und Strafe.
2. Biblische Grundlagen
Die Bibel bietet die Grundlage für das christliche Verständnis der Hölle, wenngleich ihre Darstellungen vielfältig und facettenreich sind. Das Alte Testament führt den Scheol ein (vgl. Hiob 10,21–22[21] ehe denn ich hingehe – und komme nicht zurück – ins Land der Finsternis und des Dunkels, [22] ins Land, wo es stockfinster ist und dunkel ohne alle Ordnung, und wenn’s hell wird, so ist es immer noch Finsternis.Zur Bibelstelle), einen Begriff, der oft mit „das Grab“ oder „das Reich der Toten“ übersetzt wird. Im Gegensatz zu späteren christlichen Vorstellungen ist der Scheol ein moralisch neutraler Ort, an dem sich sowohl die Gerechten als auch die Bösen aufhalten.
In der zwischentestamentarischen Zeit wurde die jüdische Eschatologie komplexer. In dieser Zeit entstanden Konzepte wie Gehenna, ein Begriff, der sich vom Tal Hinnom ableitet, wo einst dem kanaanäischen Gott Molech Kinderopfer dargebracht wurden (2. Könige 23,10Er machte auch unrein das Tofet im Tal Ben-Hinnom, damit niemand seinen Sohn oder seine Tochter dem Moloch durchs Feuer gehen ließ.Zur Bibelstelle). Zur Zeit des Neuen Testaments wurde Gehenna mit einer endgültigen und möglicherweise ewigen Bestrafung in Verbindung gebracht, insbesondere im Matthäusevangelium (Matthäus 5,22Ich aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig; wer aber zu seinem Bruder sagt: Du Nichtsnutz!, der ist des Hohen Rats schuldig; wer aber sagt: Du Narr!, der ist des höllischen Feuers schuldig.Zur Bibelstelle.29Wenn dich aber dein rechtes Auge verführt, so reiß es aus und wirf’s von dir. Es ist besser für dich, dass eins deiner Glieder verderbe und nicht der ganze Leib in die Hölle geworfen werde.Zur Bibelstelle; 10,28Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet viel mehr den, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle.Zur Bibelstelle; 23,15Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr Land und Meer durchzieht, damit ihr einen Proselyten gewinnt; und wenn er’s geworden ist, macht ihr aus ihm ein Kind der Hölle, doppelt so schlimm wie ihr.Zur Bibelstelle.33Ihr Schlangen, ihr Otterngezücht! Wie wollt ihr der höllischen Verdammnis entrinnen?Zur Bibelstelle).
Im Neuen Testament werden auch Hades und Abyss als Begriffe für die Unterwelt verwendet. Der Hades, ein Begriff, der auch in der griechischen Mythologie vorkommt, dient als vorübergehender Aufbewahrungsort für die Toten oder als Ort der Bestrafung, nicht unähnlich der Gehenna (Lukas 16,23Als er nun in der Hölle war, hob er seine Augen auf in seiner Qual und sah Abraham von ferne und Lazarus in seinem Schoß.Zur Bibelstelle). An anderer Stelle, in Matthäus 12,40Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein.Zur Bibelstelle, wird das „Herz der Erde“ mit Jona’s Aufenthalt im Fisch in Verbindung gebracht, der den Tod und die Auferstehung Christi vorwegnimmt. In der Offenbarung wird die eschatologische Symbolik weiter ausgebaut, indem die Hölle als „Feuersee“ dargestellt wird, in dem Satan, der Tod und die Bösen letztendlich bestraft oder – was wahrscheinlicher ist – vernichtet werden (Offenbarung 20,10–15[10] Und der Teufel, der sie verführte, wurde geworfen in den Pfuhl von Feuer und Schwefel, wo auch das Tier und der falsche Prophet waren; und sie werden gequält werden Tag und Nacht, von Ewigkeit zu Ewigkeit. [11] Und ich sah einen großen, weißen Thron und den, der darauf saß; vor seinem Angesicht flohen die Erde und der Himmel, und es wurde keine Stätte für sie gefunden. [12] Und ich sah die Toten, Groß und Klein, stehen vor dem Thron, und Bücher wurden aufgetan. Und ein andres Buch wurde aufgetan, welches ist das Buch des Lebens. Und die Toten wurden gerichtet nach dem, was in den Büchern geschrieben steht, nach ihren Werken. [13] Und das Meer gab die Toten heraus, die darin waren, und der Tod und die Hölle gaben die Toten heraus, die darin waren; und sie wurden gerichtet, ein jeder nach seinen Werken. [14] Und der Tod und die Hölle wurden geworfen in den feurigen Pfuhl. Das ist der zweite Tod: der feurige Pfuhl. [15] Und wenn jemand nicht gefunden wurde geschrieben in dem Buch des Lebens, der wurde geworfen in den feurigen Pfuhl.Zur Bibelstelle).
Weiterführende Infos WiBiLex
Eine bibelkundliche Vertiefung zum Thema findet sich hier: Alkier, Stefan, Art. Hölle, in: WiBiLex (https://bibelwissenschaft.de/stichwort/52058/), abgerufen am 08.05.2025.
3. Lehrentwicklung
3.1. Patristik
In der Patristik entstanden wichtige theologische Interpretationen der Hölle: Frühe Theologen wie Irenäus und Tertullian
bestätigten die Existenz der Hölle als ein Reich der göttlichen Vergeltung.1Vgl. Irenäus, Adversus haereses IV.28.2; V.27.3; Tertullian, Apologeticum, Kap. 47; Tertullian, De anima, Kap. 58; Tertullian, De resurrectione carnis, Kap. 35. Vor allem Tertullian beschrieb die Hölle in anschaulichen Worten und betonte die körperlichen Qualen, die den Unbußfertigen erwarten. Seine Schriften spiegeln eine zunehmende Betonung der moralischen und strafenden Aspekte der Hölle wider und stehen im Einklang mit den Bedenken der frühen Kirche in Bezug auf Sünde und Erlösung.
Dagegen schlug Origenes die Apokatastasis oder die universelle Wiederherstellung (vgl. Art. Allversöhnung) vor: Er vertrat die Ansicht, dass die Hölle einen reinigenden Zweck erfüllt und letztlich alle Geschöpfe mit Gott versöhnt.2Vgl. Origenes, De principiis, I.6.2–3. Obwohl diese Ansicht Gottes Barmherzigkeit und wiederherstellende Gerechtigkeit hervorhob, stieß sie auf starken Widerstand und wurde auf dem Zweiten Konzil von Konstantinopel im Jahr 553 n. Chr. verurteilt. Die von Augustinus
vertretene Lehre von der ewigen Bestrafung wurde zur vorherrschenden Position im westlichen Christentum. Augustinus betrachtete die Hölle als die ultimative Manifestation der göttlichen Gerechtigkeit, die denjenigen vorbehalten ist, die Gottes Gnade vorsätzlich ablehnen.3Vgl. Augustinus, De civitate Dei, Buch 21, Kap. 9–10, 17, 23; Augustinus, Enchiridion. De fide, spe et caritate, Kap. 29, 113. Seine einflussreichen Schriften bildeten den Rahmen für einen Großteil der Theologie des Mittelalters und der Reformationszeit zu diesem Thema.
3.1.1. Die Höllenfahrt
Ein bedeutendes theologisches Motiv ist der Abstieg Christi in die Hölle, eine Lehre, die im Apostolischen Glaubensbekenntnis verankert ist: „Er stieg in die Hölle hinab“.
Weiterführende Infos WiBiLex
„Der Begriff der Höllen-, Hades- oder Niederfahrt Christi (resp. Höllenabstieg, lat. Descensus ad Inferos/ad Infera) verweist auf die bildhaft-symbolische Ausgestaltung des temporären Verweilens Jesu im Tode zwischen seinem Sterben am Kreuz und der Auferstehung ‚am dritten Tag‘ (Lk 24,7; Apg 10,40; 1Kor 15,4) im Sinne eines Heilsgeschehens für die verstorbenen Gerechten.“ Häner, Tobias, Art. Höllenfahrt Jesu Christi, in: WiBiLex (https://bibelwissenschaft.de/stichwort/46908/), abgerufen am 08.05.2025.
Frühchristliche Texte interpretierten dies als triumphale Verkündigung an die Geister im Gefängnis. Das Nikodemus-Evangelium, ein apokrypher Text aus dem vierten Jahrhundert, schildert anschaulich, wie Christus die Gerechten aus dem Hades befreit, eine Szene, die in der ostorthodoxen Ikonographie oft als „Höllenfahrt“ dargestellt wird.
Westliche Interpretationen des Abstiegs waren ähnlich einflussreich, neigten aber zu allegorischen Lesarten. Mittelalterliche Mysterienspiele beispielsweise dramatisierten den Sieg Christi über Tod und Satan und stellten die Hölle als ein besiegtes Reich dar. Dieses Thema unterstrich die erlösende Kraft der Auferstehung und gab den Gläubigen Hoffnung, während es gleichzeitig die Realität des göttlichen Gerichts bekräftigte.
3.2. Mittelalter
Im Mittelalter wurden die theologischen Überlegungen zur Hölle immer detaillierter. Thomas von Aquin vertrat in seiner Summa Theologiae die Auffassung, dass die Qualen der Hölle sowohl physischer als auch geistiger Natur sind und durch die Trennung von Gott und das Fehlen der seligen Vision (poena damni) sowie durch die direkte Bestrafung für die Sünden (poena sensus) verursacht werden.4Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologiae, Supplementum, Q. 97, Art. 2. Aquin befasste sich auch mit der Gerechtigkeit der ewigen Bestrafung, indem er behauptete, dass endliche menschliche Handlungen unendliche Folgen haben können, wenn sie sich gegen einen unendlichen Gott richten.
Kulturelle Darstellungen der Hölle erlebten in dieser Zeit eine Blütezeit und spiegelten sowohl die theologische Orthodoxie als auch die populäre Fantasie wider. Die Göttliche Komödie von Dante Alighieri (um 1320) ist eine der dauerhaftesten Darstellungen der Hölle, die als eine Reihe konzentrischer Kreise dargestellt wird, die jeweils bestimmten Sünden entsprechen. Dantes Werk ist zwar nicht lehrhaft, hat aber die westliche Vorstellung von der Hölle als einem Ort akribischer moralischer Ordnung und poetischer Gerechtigkeit tiefgreifend geprägt.5Vgl. Alighieri, Dante, Inferno, passim.




3.3. Moderne
Die Reformation stellte die traditionellen Darstellungen der Hölle in Frage, lehnte viele mittelalterliche Ausschmückungen ab und bekräftigte gleichzeitig ihre biblische Grundlage. Martin Luther betonte die Hölle als letzte Konsequenz der Sünde, prangerte aber auch ihre Ausbeutung durch Praktiken wie den Ablasshandel an.6Vgl. Luther, Martin, Ein Sermon von Ablass und Gnade (1518), WA 1, 239–246.
In der Reformationszeit findet sich auch eine Abkehr von den dramatischen Darstellungen der Hölle, die das mittelalterliche christliche Denken prägten. Die protestantische Theologie räumte der Autorität der Heiligen Schrift Vorrang ein, was zu einem zurückhaltenderen und textbasierten Ansatz in der Eschatologie führte. Dennoch blieb die Furcht vor der Hölle ein wirkungsvolles Element protestantischer Predigten, insbesondere in den puritanischen Traditionen, wo sie zur Reue und Bekehrung anregte.
3.3.1. Moderne Kritik und alternative Denkansätze
Seit der Aufklärung wurde die Lehre von der Hölle zunehmend in Frage gestellt. Philosophen wie David Hume und Immanuel Kant
stellten die Moral der ewigen Strafe in Frage und meinten (unter anderem), dass sie mit dem göttlichen Wohlwollen unvereinbar sei.7Vgl. Hume, David, Dialogues Concerning Natural Religion. Part XII (https://www.earlymoderntexts.com/assets/pdfs/hume1779.pdf), abgerufen am 08.05.2025, 57; Kant, Immanuel, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, II.3. Auch aus theologischer Sicht kamen Bedenken auf: Kritiker fragten, warum ein allmächtiger und liebender Gott ewiges Leiden zulassen würde (vgl. Art. Theodizee).
Diese Kritik gab den Anstoß für alternative theologische Modelle. Der Annihilationismus oder die bedingte Unsterblichkeit geht davon aus, dass die Bösen letztlich vernichtet werden, anstatt ewigen Qualen ausgesetzt zu sein. Diese Sichtweise, die durch biblische Texte wie Matthäus 10,28Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet viel mehr den, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle.Zur Bibelstelle gestützt wird, stellt die traditionelle Vorstellung von der Hölle als ewige bewusste Bestrafung in Frage.
Eine andere Alternative bietet der Universalismus, der sich einen Gott vorstellt, dessen Barmherzigkeit letztlich über das Gericht triumphiert. Der Kirchenvater Gregor von Nyssa wird oft als Verfechter dieser Position angeführt.8Vgl. Gregor von Nyssa, De anima et ressurectione (Gregorii Nysseni Opera 3.3), 102; vgl. auch Ludlow, Morwenna, Universal Salvation. Eschatology in the Thought of Gregory of Nyssa and Karl Rahner, Oxford 2000.
Der Universalismus ist zwar nach wie vor umstritten, doch spiegelt er eine breitere Verlagerung hin zur Betonung der Liebe Gottes und der wiederherstellenden Gerechtigkeit wider.
Die „Verteidigung des freien Willens“, die von C. S. Lewis formuliert wurde, betrachtet die Hölle als einen Zustand, der von Menschen gewählt wird, die Gott ablehnen.9Vgl. Lewis, C. S., The Great Divorce, London 1945. Diese Sichtweise stimmt mit libertären Darstellungen des freien Willens überein und behauptet, dass Gott die menschliche Autonomie respektiert, selbst wenn sie zur ewigen Trennung führt. In dieser Sichtweise geht es in der Hölle weniger um göttliche Vergeltung als vielmehr um die selbst auferlegten Konsequenzen menschlicher Entscheidungen.
4. Systematisch-theologische Positionen
Die theologische Bedeutung der Hölle geht über Debatten über ihr Wesen oder ihre Dauer hinaus. Sie dient als Linse, durch die christliche Theologien tiefgreifende Fragen über Gerechtigkeit, Freiheit und das Wesen Gottes erkunden. Traditionelle Positionen argumentieren, dass die Hölle die Schwere der Sünde und die Notwendigkeit der göttlichen Gerechtigkeit unterstreicht,10Vgl. Walls, Jerry L., Hell. The Logic of Damnation, Notre Dame 1992. während Kritiker ihre Implikationen für Gottes Charakter und die menschliche Würde hervorheben.11Vgl. Fudge, Edward William, The Fire That Consumes. A Biblical and Historical Study of the Doctrine of Final Punishment, Cambridge 32012.
Weiterführende Infos SAET
Für weiterführende Information in englischer Sprache zur Bedeutung der Hölle, der Hölle als Ort der Toten und der Strafe sowie zu Überlegungen bezüglich der Höllenabbildungen:
Brown, David, Art. Hell, in: St Andrews Encyclopaedia of Theology, 15.06.2023 (https://www.saet.ac.uk/Christianity/Hell), abgerufen am 08.05.2025.
Die Hölle überschneidet sich auch mit weiteren eschatologischen Themen, einschließlich der Hoffnung auf die Auferstehung und die endgültige Wiederherstellung der Schöpfung (vgl. Art. Allversöhnung/ Allerlösung). Ob sie nun als dauerhaftes Reich, als vorübergehender Zustand oder als Symbol für existenzielle Entfremdung vorgestellt wird, die Hölle fordert die Gläubigen heraus, sich mit den endgültigen Konsequenzen menschlicher Handlungen und göttlicher Absichten auseinanderzusetzen.
5. Fazit
Die Hölle bleibt in der christlichen Theologie ein wichtiges und umstrittenes Konzept. Die Entwicklung – vom schattenhaften Scheol der hebräischen Bibel zum feurigen Gehenna neutestamentlicher Warnungen, von Augustinus’ ewiger Bestrafung bis zu modernen Debatten über Annihilationismus und Universalismus – spiegelt das dynamische Zusammenspiel von Schrift, Lehre und kultureller Vorstellung wider. Als Lehre regt sie weiterhin zu tiefgreifenden theologischen Überlegungen an und dient als Zeugnis für die Geheimnisse der göttlichen Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und des menschlichen Schicksals.