1. Was sind feministische Theologien?
Die deutschsprachige feministische Theologie1Der Artikel stellt eine deutliche Überabeitung und Kürzung des Textes von Sarah Jäger dar: Feministische Theologien und Gender (in internationalen Perspektiven), in: Eckholt, Margit et al. (Hrsg.), Dogmatik didaktisch. Ein Handbuch für Religionspädagog:innen, i. E. war und ist angetrieben von einem Streben nach Gerechtigkeit, dem Ziel eines erfüllten Lebens für alle und dem Erkennen von Gottes Präsenz in der aktuellen Welt. Ihre Bedeutung geht über die Rolle als Vorläuferin und Wegbereiterin von Gender-Theorien oder genderbewussten Theologien hinaus. Sie untersucht vielmehr, welche Bedeutung Geschlecht als Konstruktionselement sozialer Realität innerhalb der Theologie und der Kirche besitzt. Besonders widmet sie sich dem sozialen Geschlecht (Gender), den Geschlechterrollen sowie den gesellschaftlichen Erwartungen, die mit der Zuweisung eines Geschlechts einhergehen.
So liegt ihr Fokus auf dem je persönlichen Erfahrungshorizont von Menschen, insbesondere von Frauen*.2Das Gendersternchen (*) hinter „Frauen“ dient als Verweis auf den Konstruktionscharakter von Geschlecht und zeigt auf, dass dieser Begriff mehr meint als Biologie und alle diejenigen einschließt, die sich selbst als weiblich verstehen. Feministische Theologinnen richteten ihr Augenmerk auf Frauen* und dachten dabei zunächst binär – in Männer* und Frauen*. Seit einiger Zeit geht es feministischer Theologie aber stark um Geschlecht als eine Wissenskategorie in der Gesellschaft, die immer wieder auch durch Sprache und andere kulturelle Handlungen hergestellt, also konstruiert, wird. Gegen ihre Diskriminierung, Unterdrückung und Unsichtbarmachung werden Frauen* explizit ins Zentrum gestellt3Vgl. Pemsel-Maier, Sabine, Art. Feministische Theologie, in: WiReLex, 10.10.2017 (PDF-Dokument, http://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/100280/), abgerufen am 25.11.2025, 2. – aus feministisch-theologischer Perspektive eine Frage der Gerechtigkeit. Ziel feministischer Theologie ist es also darum, menschliche Erfahrungen sicht- und hörbar zu machen und ins Gespräch mit Mainstream-Theologie zu bringen, um so nach Befreiungsperspektiven zu suchen.
Schon in den 1980er-Jahren wurde feministische Theologie jedoch auch als „Theologie der weißen Frauen“ kritisiert, indem ihr vorgeworfen wurde, „Frausein“ und die damit verbundene Erfahrung essentialisiert und als scheinbar gemeinsame Kategorie universalisiert zu haben. Aus dieser Kritik hat sich dann beispielsweise die womanistische,4Vgl. Townes, Emilie M., Womanist Theology, in: Keller, Rosemary Skinner/Ruether, Rosemary Radford (Hrsg.), Encyclopedia of Women and Religion in North America, Bloomington 2006, 1165–1173. mujerista5Vgl. Isasi-Díaz, Ada María, Mujerista Theology. A Theology for the Twenty-First Century, Ossining 1996. etc. Theologie entwickelt. Doch auch die feministische Theologie selbst hat sich mit dieser Kritik auseinandergesetzt und gerade durch die Aufnahme der Analysekategorie Gender gezeigt, dass es ihr um die Analyse und Kritik theologisch begründeter patriarchaler Geschlechterordnungen und Geschlechtsrollen und deren Überwindung geht.
Weiterführende Infos WiReLex
Einen guten Überblick zur feministischen Theologie bietet auch der WiReLex-Artikel von Sabine Pemsel-Maier: Art. Feminische Theologie, in: WiReLex, 2025 (https://bibelwissenschaft.de/stichwort/100280/), abgerufen am 25.11.2025.
2. Die Geschichte der Frauen*bewegung als Ausgangspunkt feministischer Theologien
In der gesellschaftlichen und politischen Frauenbewegung lassen sich drei bedeutende Wellen identifizieren. Die erste Welle, die ihren Anfang im 19. und 20. Jahrhundert fand, richtete ihren Fokus auf das Frauen*wahlrecht – das in Deutschland 1918 gesichert wurde – sowie auf die Erweiterung von Möglichkeiten für Frauen in der Erwerbstätigkeit, den Zugang zu Bildung und die Diskussion über neue gesellschaftliche Werte. Bereits in dieser Periode entstanden erste theologische Ansätze, insbesondere im Hinblick auf die weibliche Bildung und die Forderung, Frauen den Zugang zum Pfarrberuf zu ermöglichen.
Die zweite Welle der Frauenbewegung, die in den 1960er Jahren aufkam, war stark von Themen der Emanzipation und Selbstbestimmung geprägt. An diesen Punkten knüpften die vorgestellten theologischen Konzepte an. Fragen nach Recht und Gerechtigkeit rückten in den Mittelpunkt. Für die feministische Theologie im deutschsprachigen Raum waren die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil entstandenen Laienbewegungen im Katholizismus sowie die Aktivitäten der globalen ökumenischen Bewegung von erheblicher Bedeutung.
In den 2000er Jahren bildete sich eine dritte Welle der Frauenbewegung heraus, die postfeministische und dekonstruierende Ansätze verfolgte. Dabei wurde Geschlecht als soziales Konstrukt hinterfragt und auf fortbestehende Formen von Sexismus aufmerksam gemacht. Die Theorien Judith Butlers ![]()
spielten hierbei eine wesentliche Rolle.
Die Entwicklungen der zweiten und dritten Welle spiegeln sich deutlich in der feministischen Theologie wider, wobei die Übergänge zur queeren Theologie fließend sind.6Weiteres wichtiges Paradigma ist die theologische Männlichkeitsforschung: sie hinterfragt traditionelle Konzepte von Männlichkeit und zeigt, wie diese zur Unterdrückung von Frauen* beitragen. Ziel ist es, biblische Texte sowie theologische Traditionen neu zu interpretieren, eine Theologie zu entwickeln, die auf Gleichheit, Partner*innenschaft und Respekt basiert und Männer* zu ermutigen, sowohl ihre Privilegien als auch durch das Patriarchat erfahrene Nachteile zu reflektieren und aktiv zur Förderung der Geschlechtergerechtigkeit beizutragen. Siehe hierzu Fischer, Martin/Heß, Ruth, Systematisch theologische Männerforschung als Beitrag zur Gleichstellung der Geschlechter, in: Walz, Heike/Plüss, David (Hrsg.), Theologie und Geschlecht. Dialoge querbeet, Zürich/Berlin 2008, 158–190; Krondorfer, Björn, Die Religion entdeckt den „Mann“. Kritische Männerforschung in Religion, in: Schlangenbrut 115 (2011), 35–37.
Weiterführende Infos
Zur Geschichte der Frauen*bewegung vgl. das Dossier der Bundeszentrale für politische Bildung: https://www.bpb.de/themen/gender-diversitaet/frauenbewegung/, abgerufen am 25.11.2025.
3. Zentrale dogmatische Fragen in der Perspektive feministischer Theologien
3.1 Gott
Die Darstellung Gottes in der Bibel ist stark verwoben mit den politischen, sozialen und religiösen Kontexten, in denen die biblischen Texte verfasst wurden. Viele biblische Geschichten verankern Gott in einem „mythischen“ Weltbild, in dem das menschliche Leben im Kontext der Natur als abhängig von mächtigen übernatürlichen Wesen wahrgenommen wird, die aktiv in die Weltgeschehnisse eingreifen können. Innerhalb dieses Rahmens sind patriarchale Gottesbilder sowohl in den biblischen Texten als auch in der Kirchengeschichte zu finden. Ein Beispiel hierfür ist die Bezeichnung Gottes als HERR. Solche Darstellungen reflektieren die dominierenden soziokulturellen Normen der Zeit und eröffnen gleichzeitig Räume für kritische Reflexion und Theologie, die nach alternativen, befreienden Gottesvorstellungen suchen.
Die Bibel enthält in ihrem Ersten und Zweiten Testament eine umfangreiche Anzahl von Namen und Beschreibungen für Gott. Zum Beispiel wird Gott als die Ewige, der Name oder der Heilige Israels bezeichnet. Zudem werden neutrale Bezeichnungen wie Fels oder Burg verwendet, um Gottes Schutz und Fürsorge hervorzuheben. Andere sprachliche Darstellungen und Geschichten zeigen Gott als ein Wesen der Gemeinschaft und Freude, insbesondere in Verbindung mit Festen oder Hochzeiten. In den biblischen Gleichnissen nutzen die verwendeten Bilder Alltagsszenen der Zeitgenoss*innen Jesu, um göttliche Eigenschaften anschaulich und verständlich zu vermitteln, wie dies beim fürsorglichen Schäfer oder gerechten Arbeitgeber der Fall ist.
Weiterführende Infos WiBiLex
Eine Auseinandersetzung mit feministischer Bibelauslegung findet sich hier: Strube, Soja Angelika, Art. Bibelauslegung, feministisch, in: WiBiLex, 2019 (https://www.die-bibel.de/ressourcen/wirelex/4-inhalte-i-bibeldidaktik/bibelauslegung-feministische), abgerufen am 25.11.2025.
Wann immer Menschen von Gott sprechen, schaffen sie damit auch Bilder und Vorstellungen von Gott, die sich wiederum auf die Sicht von sich selbst und der Welt zurückwirken. Feministische Theologie macht deutlich: Frauen*, Männer*, alle Menschen sollen sich in Gottesbildern wiederfinden können, dies kann etwa durch eine Stärkung nicht-patriarchaler Gottesbilder, beispielsweise im Gottesdienst, und den Versuchen alternativer Sprachformen: beispielsweise Gott/in7Vgl. Ruether, Rosemary R., Feminist Interpretation. A Method of Correlation, in: Russell, Letty M. (Hrsg.), Feminist Interpretation of the Bible, Philadelphia 1985, 111–124. geschehen.
„Wenn Gott männlich ist, ist das Männliche Gott“8Daly, Mary, Jenseits von Gottvater, Sohn und Co. Aufbruch zu einer Philosophie der Frauenbefreiung, München 1980, 33. – so formulierte die frühe feministische Theologin Mary Daly ![]()
und machte damit deutlich, wie eng Gottes- und Menschenbilder sowie Gottes- und Selbstbilder zusammenhängen. Aus einer vielfältigen Rede von Gott erwachsen Perspektiven der Befreiung. Gott müsse also weder Vater noch Herr sein. Vielleicht sei es eher der Name für ein Gegenüber, ein Außerhalb, eine Leerstelle, ein Jenseits.
3.2 Jesus Christus
Die Inkarnation Gottes in der männlichen Gestalt des Menschen Jesus Christus stellt insbesondere für Theologinnen der zweiten feministischen Welle eine erhebliche Herausforderung dar. Eine zentrale Frage lautet: Kann ein männlicher Erlöser tatsächlich auch Frauen erlösen? Feministische Theolog*innen kritisieren insbesondere eine „Christologie von oben“, da diese einen Dualismus zwischen Gott und Mensch aufrechterhalte, der zu einer Abwertung des Menschen führe und damit auch patriarchale Machtverhältnisse stabilisiere und rechtfertige.
Diese Kritik greift auch die Opfer- und Sühnechristologie auf, etwa durch die Arbeiten von Dorothee Sölle ![]()
und anderen. Sie argumentiert, dass das Christus-Symbol in seiner patriarchalen Interpretation patriarchale Machtstrukturen unterstützt und legitimiert. Sölle schlägt einen befreiungstheologischen Perspektivenwechsel vor, der bereits in den Anfängen der feministischen Theologie verankert ist. Dieser Wechsel bewegt sich weg vom Konzept des „Leidens für“ hin zum „Leiden mit“ und transformiert das Verständnis von „Sünder sein“ zu „Sein derjenigen, gegen die gesündigt wird“. Damit sind auch Veränderungen in der Anthropologie verbunden.
Weiterführende Infos
Zur Person und Theologie Dorothee Sölles gehen Paul Martin und Christoph Maier gemeinsam mit „Eule“ Redakteur Philipp Greifenstein in einer Reihe von Gesprächen der Bedeutung von Dorothee Sölle nach: https://ev-akademie-wittenberg.de/aktivitaeten/dorothee-soelle/, abgerufen am 25.11.2025.
Die christliche Tradition trägt in ihrer Vorstellung von der Exklusivität des Heils durch Jesus Christus potenzielle Risiken von Sexismus und Rassismus in sich. Feministische Theologie antwortet darauf mit einer Neuinterpretation des Glaubens an Jesus, die Befreiungsperspektiven für alle Menschen betont. Dabei ist es wichtig, sich der Einbindung Jesu in seinen jüdischen Kontext bewusst zu sein. Dies bedeutet, dass bei der Hervorhebung der geschlechtergerechten Ansätze Jesu Christi die Gefahr eines christlichen Antijudaismus besteht, wenn das Patriarchale unkritisch mit dem Jüdischen gleichgesetzt wird. Diese Perspektive erfordert ein sorgfältiges und differenziertes Verständnis des historischen und kulturellen Kontextes, um solche Vereinfachungen zu vermeiden. Jede Form der Christologie ist immer kontextgebunden und muss für den je eigenen lebensweltlichen Zusammenhang aktualisiert werden. Fruchtbare Ansätze für solche Christologie jenseits machtbezogener Instrumentalisierungen haben insbesondere postkoloniale Theolog*innen entwickelt, wie Musa W. Dube ![]()
.9Vgl. Dube, Musa W., Other Ways of Reading. African Women and the Bible, Atlanta 2001.
3.3 Gnade und Vergebung
In der traditionellen Theologie wurde das Kreuz oft als Ort des Leidens und des Opfers dargestellt, während feministische Kritiken häufig gegen die Interpretation des Kreuzes als patriarchalische Aufwertung des Leidens argumentiert haben. Es geht feministischer Theologie darum, Sünde und Gnade aus der Sicht der Opfer in den Blick zu bekommen, den Fokus auf Täter*innen der Sünde und Opfern der Sünde gleichsam umzukehren.
Frühe feministische Theologinnen kritisierten insbesondere die christliche Lehre von der Sünde, weil sie sich auf die sexuelle „Reinheit“ der Frau* konzentrierte und die Ausgrenzung und Unterdrückung von Frauen* ermöglichte. Andere haben die Frage aufgeworfen, ob die gesamte theologische Kategorie der Sünde aufgegeben werden sollte zugunsten anderer Möglichkeiten, über das menschliche Dilemma zu sprechen. So argumentiert Rachel Baard ![]()
, dass das christliche Deutungsmuster der menschlichen Sünde – der tragische Makel im Kern der menschlichen Erfahrung – zugleich eines der besten Werkzeuge ist, um die Übel des Sexismus, des Patriarchats und der traditionellen Sündenlehre selbst zu verstehen.10Vgl. Baard, Sophia Rachel, Sexism and Sin-Talk. Feminist Conversations on the Human Condition, Louisville 2019. Sie liefert damit eine neue Rhetorik der Sündenrede, eine, die die vielfältigen Erfahrungen aller Menschen berücksichtigt.
4. Aktuelle theologische Relevanz
Das alles sind wichtige Anliegen, trotzdem wird immer wieder der Vorwurf erhoben, dass feministische Theologie (nur) Frauen* im Blick habe, sich an Weiblichkeitskonzeptionen abarbeite, in der Zweigeschlechtlichkeit verhaftet bleibe und so neue Theorien der Geschlechterforschung mit ihrer Dekonstruktion von Geschlecht nicht genug rezipiere. In der feministischen Theologie stehen vielmehr das eigenständige Nachdenken und die Entwicklung einer individuellen theologischen Stimme im Mittelpunkt. Diese Bewegung zielt auf Selbstermächtigung ab und hinterfragt traditionelle theologische Lehren im Hinblick auf die befreienden Potenziale der Liebe Gottes. Dabei ist das theologische Nachdenken nicht von der eigenen Einbettung in konkrete Kontexte und den bestehenden (Unrechts-)Strukturen einer unvollkommenen Welt zu trennen. Beides, so die Überzeugung, muss in der theologischen Arbeit berücksichtigt werden. In der heutigen Zeit spielen feministische und queere Theologien eine bedeutende Rolle als Dialogpartner*innen. Feministische Theologien haben an vielen Stellen Institutionalisierungsprozesse erlebt, dies gilt auch für den kirchlichen Zusammenhang.
Weiterführende Infos
Der Podcast Theoversity stellt Menschen mit diversitätssensiblen-wissenschaftlichen Entwürfen vor, die neue Fragen an das Heute stellen und einen christlichen Beitrag für eine gerechtere Welt leisten:
https://www.theoversity.com/podcast/, abgerufen am 25.11.2025.
