Angst

Angst ist Teil des menschlichen Lebens – und in höchstem Maße ambivalent: Sie kann erfahren werden als momentane oder länger anhaltende Lähmung, als Gefühl sozialer Enge und persönlicher Bedrängnis oder als gezielt eingesetztes politisches Machtinstrument; sie kann aber auch lebensförderlich sein. Theologische Perspektiven nehmen die Angst als Existenzial auf und verarbeiten sie im Zusammenspiel mit Gegenbegriffen wie Mut, Hoffnung und Vertrauen oder weisen auf das erlösende Potenzial des christlichen Glaubens und der mit ihm verbundenen Praxis hin.

Inhaltsverzeichnis

    Anmerkung der Redaktion
    Dieser Artikel wurde im Wissenschaftlich-Religionspädagogischen Lexikon (WiReLex) erstveröffentlicht und für die Zweitpublikation angepasst: Fischer, Mia-Maria/Gojny, Tanja, Art. Angst, in: WiReLex, 2022 (https://doi.org/10.23768/wirelex.Angst.201022).

    1. Angst – Phänomen und Begriff

    Angst gehört zum Menschen. Sie spielt – in unterschiedlicher Intensität – in jeder normalen Entwicklung ab der Geburt eine Rolle; dabei ändern sich die diese Emotion auslösenden Reize.1Vgl. Essau, Cecilia A., Angst bei Kindern und Jugendlichen, München 2014. Soziologische Studien zeigen, dass (nichtpathologische) Ängste nicht nur anthropologisch und psychologisch begründet sind, sondern auch durch weitere Faktoren beeinflusst werden. So offenbart etwa die Langzeitstudie „Die Ängste der Deutschen“ nicht nur die aktuell größten Ängste der deutschen Bevölkerung (2024: „steigende Lebenshaltungskosten“, „Überforderung des Staates durch Geflüchtete“ und „Wohnen in Deutschland unbezahlbar“ als die drei häufigsten Ängste), sondern darüber hinaus, dass das, wovor sich Menschen fürchten, u. a. auch mit dem Alter, dem Geschlecht, dem Wohnort und dem Milieu zusammenhängen kann.2Vgl. R+V-Studie 2024, Ergebnisse abrufbar unter: https://www.ruv.de/newsroom/themenspezial-die-aengste-der-deutschen, abgerufen am 19.05.2025.

    1.1. Angst als ambivalentes Phänomen

    Angst ist in höchstem Maße ambivalent: Bisweilen lähmt diese Emotion Menschen – ob für kurze Schreckmomente oder im Falle einer Angststörung über einen längeren Zeitraum. Sie kann zu Ausgrenzung, Einsamkeit und Isolation führen und sogar zu Aggression und Entsolidarisierung gegenüber anderen. Dass Angst auf physischer und psychischer Ebene wie auch im sozialen Bereich einengt, spiegelt sich in der Etymologie des Begriffs, der sich über indogermanische und althochdeutsche Zwischenstufen auf lat. angustia, angor und anxietas (Enge, Bedrängnis, Beengung) zurückführen lässt. Angst wird z. T. auch gezielt als Machtinstrument eingesetzt, um politische oder wirtschaftliche Interessen durchzusetzen.

    Gleichzeitig ist Angst ein effektives Warnsystem. Der kalte Schauder, der über den Rücken läuft, erhöhte Puls- und Atemfrequenz, ein Schweißausbruch, geschärfte Sinne – all dies sind Signale, die einen in Alarmbereitschaft versetzen und anzeigen: Achtung, hier wird es gefährlich. Angst fördert Verhaltensweisen des Menschen, die auch aus der Tierwelt bekannt sind – Schutzsuche, Flucht, Abwehrhaltungen etc. – und kann im privaten wie im gesellschaftlichen Bereich helfen, für die Zukunft vorzusorgen und das Notwendige zu tun, damit das Befürchtete nicht eintritt. Indirekt verweist dieses Gefühl damit auf die „anthropologische Vulnerabilität“.3Fuchs, Thomas, Anthropologische und phänomenologische Aspekte psychischer Erkrankungen, Heidelberg 2026, 49f. Der Mensch erfährt sich selbst als angreifbar, verletzlich und endlich. Wohldosiert kann Angst sogar positiv erlebt werden, etwa als „Kick“ beim Ausüben von Extremsportarten oder als kribbelnde Spannung beim Verfolgen von Sportevents, dem Sehen von Abenteuer- oder Horrorfilmen oder dem Lesen von Krimis.

    1.2. Versuch einer Begriffsklärung

    Es gibt immer wieder Versuche, den Begriff der Angst präzise von anderen Begriffen des entsprechenden Wortfeldes abzugrenzen. So gibt es eine breite Tradition der Unterscheidung zwischen Angst und Furcht. In dieser wird die Angst verstanden als ein ungerichtetes, frei flutendes Gefühl und die Furcht als eine Emotion, die auf bestimmte Gegenstände oder Sachverhalte bezogen ist.4Vgl. Demmerling, Christoph/Landwehr, Hilge, Philosophie der Gefühle. Von Achtung bis Zorn, Weimar 2007, 63. In der Alltagssprache werden diese Begriffe allerdings meist synonym verwendet und auch im wissenschaftlichen Diskurs gibt es keinen Konsens bezüglich einer eindeutigen Abgrenzung.5Vgl. Häfner, Heinz, Art. Angst/Furcht, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie 1 (1971), 310–314.

    Einen solchen herzustellen, dürfte auch insofern schwerfallen, als das Phänomen Angst aus vielfältigen wissenschaftlichen Perspektiven – in sehr unterschiedlicher Intensität – beleuchtet und erforscht wird. Zu nennen sind hier zum einen die Humanwissenschaften, z. B. Kognitionsforschung und Neurowissenschaft, die von der psychologischen (und dann psychotherapeutisch orientierten) Angstforschung aufgegriffen werden, und die Biologie, die die körperlichen und biochemischen Abläufe sowie Reaktionsmuster der Angst untersucht. Zum anderen war die Angst schon immer Gegenstand der Auseinandersetzung in Philosophie und Theologie, im Lauf der Zeit in veränderter Gestalt. Aber auch in der kulturwissenschaftlichen und religionswissenschaftlichen Forschung spielt Angst seit einiger Zeit eine größere Rolle, immer in Dialog, zum Teil auch in Abgrenzung zu den Humanwissenschaften.6Vgl. Koch, Lars, Einleitung. Angst als Gegenstand kulturwissenschaftlicher Forschung, in: Koch, Lars (Hrsg.), Angst. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2013, 1–4, 1.  Angst „als basales gesellschaftliches Phänomen“ wurde trotz des sogenannten emotional turns in der Soziologie lange Zeit wenig erforscht,7Vgl. Ahrens, Jörn, Soziologie der Angst, in: Koch, Lars (Hrsg.), Angst. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2013, 63–70. findet aber inzwischen deutlich mehr Aufmerksamkeit.8 Vgl. z. B. Martin, Susanne/Linpinsel, Thomas (Hrsg.), Angst in Kultur und Politik der Gegenwart. Beiträge zu einer Gesellschaftswissenschaft der Angst, Wiesbaden 2020.

    Gerade in der Theologie wird die Angst oft in Beziehung zu unterschiedlichen Gegenbegriffen thematisiert. Schon biblische Texte weisen auf die Spannung zwischen Angst und dem Vertrauen und Hoffen auf Gottes Hilfe und Unterstützung hin. Paul Tillich oes-gnd-iconwaiting... identifiziert den Mut als begriffliches Gegenüber zur Angst, der sich allen Widrigkeiten zum Trotz im Mut zum Sein als von Gott angenommen versteht (siehe Punkt 2.) und den Weg zum Glauben eröffnet. Das erlösende Potenzial des christlichen Glaubens wird in der Betonung von Zuversicht und Hoffnung auf Gott angesichts von ängstigenden Situationen deutlich.

    1.3. Begriff der Angst in der Bibel

    Angst und Furcht sowie ihre Gegenbegriffe spielen in den Texten des Alten und Neuen Testaments eine bedeutende Rolle. Fuhs oes-gnd-iconwaiting... identifiziert bis zu dreißig Begriffe, die entweder für sich oder im Kontext von irach [hebr. fürchten, sich ängstigen, verehren] stehen und damit zum Wortfeld „Angst“, „Furcht“, „Schrecken“ gehören.9Vgl. Fuhs, Hans, Art. יָרֵא jāre’, in: Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament 3 (1982), 869–893, 872–874; Becker, Joachim, Gottesfurcht im Alten Testament, Rom 1965, 1–18. Die vielfältigen Wortfelder und die Fülle an sinnverwandten Vokabeln machen die Prominenz der Emotion Angst in den Texten deutlich, wobei die Thematik im Alten Testament stärker vertreten ist als im Neuen Testament.10Vgl. Romaniuk, Kasimir/Lanczkowski, Günter/Schnurr, Günther, Art. Furcht, in: TRE 11 (1983), 755–766, 756.

    In beiden Testamenten variieren dabei nicht nur die Bedeutungen der einzelnen Lexeme stark, sondern auch ihre Verwendungskontexte. Im Folgenden werden einige genannt: Angst im Verhältnis zum Glauben (z. B. 1Joh 4,17Darin ist die Liebe bei uns vollendet, auf dass wir die Freiheit haben, zu reden am Tag des Gerichts; denn wie er ist, so sind auch wir in dieser Welt.Zur Bibelstelle), die Todesangst bzw. Angst vor dem Tod (z. B. Jes 38,17Siehe, um Trost war mir sehr bange.Du aber hast dich meiner Seele herzlich angenommen,dass sie nicht verdürbe;denn du wirfst alle meine Sünden hinter dich zurück.Zur Bibelstelle; Ijob 3,25Denn was ich gefürchtet habe, ist über mich gekommen, und wovor mir graute, hat mich getroffen.Zur Bibelstelle; 21,6Wenn ich daran denke, so erschrecke ich, und Zittern ergreift meinen Leib.Zur Bibelstelle; 22,10Darum bist du von Fallstricken umgeben, und Entsetzen hat dich plötzlich erschreckt.Zur Bibelstelle), die wiederum anders gelagerte Gottesfurcht (z. B. Ex 28,17Und du sollst sie besetzen mit vier Reihen von Steinen. Die erste Reihe sei ein Sarder, ein Topas und ein Smaragd,Zur Bibelstelle; 2Sam 7,23Und wo ist ein Volk auf Erden wie dein Volk Israel, um dessentwillen Gott hingegangen ist, es zu erlösen, dass es sein Volk sei, und ihm einen Namen zu machen und für euch so große und furchtbare Dinge zu tun, Völker und ihre Götter zu vertreiben vor deinem Volk, das du dir aus Ägypten erlöst hast?Zur Bibelstelle; Ps 66,3Sprecht zu Gott: Wie wunderbar sind deine Werke!Deine Feinde müssen sich beugen vor deiner großen Macht.Zur Bibelstelle; Ijob 3,25f.[25] Denn was ich gefürchtet habe, ist über mich gekommen, und wovor mir graute, hat mich getroffen. [26] Ich hatte keinen Frieden, keine Rast, keine Ruhe, da kam schon wieder ein Ungemach!Zur Bibelstelle; Apg 10,2–22[2] Der war fromm und gottesfürchtig mit seinem ganzen Haus und gab dem Volk viele Almosen und betete immer zu Gott. [3] Der hatte eine Erscheinung um die neunte Stunde am Tage und sah deutlich einen Engel Gottes bei sich eintreten; der sprach zu ihm: Kornelius! [4] Er aber sah ihn an, erschrak und fragte: Herr, was ist? Der sprach zu ihm: Deine Gebete und deine Almosen sind gekommen vor Gott, dass er ihrer gedenkt. [5] Und nun sende Männer nach Joppe und lass holen Simon mit dem Beinamen Petrus. [6] Der ist zu Gast bei einem Gerber Simon, dessen Haus am Meer liegt. [7] Und als der Engel, der mit ihm redete, hinweggegangen war, rief Kornelius zwei seiner Knechte und einen frommen Soldaten von denen, die ihm dienten, [8] und erzählte ihnen alles und sandte sie nach Joppe.[9] Am nächsten Tag, als diese auf dem Wege waren und in die Nähe der Stadt kamen, stieg Petrus auf das Dach, zu beten um die sechste Stunde. [10] Und als er hungrig wurde, wollte er essen. Während sie ihm aber etwas zubereiteten, kam eine Verzückung über ihn, [11] und er sah den Himmel aufgetan und ein Gefäß herabkommen wie ein großes leinenes Tuch, an vier Zipfeln niedergelassen auf die Erde. [12] Darin waren allerlei vierfüßige und kriechende Tiere der Erde und Vögel des Himmels. [13] Und es geschah eine Stimme zu ihm: Steh auf, Petrus, schlachte und iss! [14] Petrus aber sprach: O nein, Herr; denn ich habe noch nie etwas Gemeines und Unreines gegessen. [15] Und die Stimme sprach zum zweiten Mal zu ihm: Was Gott rein gemacht hat, das nenne du nicht unrein. [16] Und das geschah dreimal; und alsbald wurde das Gefäß wieder hinaufgenommen gen Himmel.[17] Als aber Petrus noch ratlos war, was die Erscheinung bedeute, die er gesehen hatte, siehe, da fragten die Männer, von Kornelius gesandt, nach dem Haus Simons und standen schon an der Tür, [18] riefen und fragten, ob Simon mit dem Beinamen Petrus hier zu Gast wäre. [19] Während aber Petrus nachsann über die Erscheinung, sprach der Geist zu ihm: Siehe, drei Männer suchen dich; [20] so steh auf, steig hinab und geh mit ihnen und zweifle nicht, denn ich habe sie gesandt.[21] Da stieg Petrus hinab zu den Männern und sprach: Siehe, ich bin’s, den ihr sucht; aus welchem Grund seid ihr hier? [22] Sie aber sprachen: Der Hauptmann Kornelius, ein gerechter und gottesfürchtiger Mann mit gutem Ruf bei dem ganzen Volk der Juden, hat einen Befehl empfangen von einem heiligen Engel, dass er dich sollte holen lassen in sein Haus und hören, was du zu sagen hast.Zur Bibelstelle; 13,16Da stand Paulus auf und winkte mit der Hand und sprach: Ihr Männer von Israel und ihr Gottesfürchtigen, hört zu!Zur Bibelstelle.50Aber die Juden hetzten die gottesfürchtigen vornehmen Frauen und die Oberen der Stadt auf und stifteten eine Verfolgung an gegen Paulus und Barnabas und vertrieben sie aus ihrem Gebiet.Zur Bibelstelle; 17,17Und er redete zu den Juden und den Gottesfürchtigen in der Synagoge und täglich auf dem Markt zu denen, die sich einfanden.Zur Bibelstelle; 18,8Krispus aber, der Vorsteher der Synagoge, glaubte an den Herrn mit seinem ganzen Hause, und auch viele Korinther, die zuhörten, glaubten und ließen sich taufen.Zur Bibelstelle), die Furcht der Jünger angesichts verschiedener Wunder Jesu (z. B. Mt 8,23–27[23] Und er stieg in das Boot und seine Jünger folgten ihm. [24] Und siehe, da geschah ein großes Beben im Meer, sodass das Boot von den Wellen bedeckt wurde. Er aber schlief. [25] Und sie traten zu ihm, weckten ihn auf und sprachen: Herr, hilf, wir verderben! [26] Da sagt er zu ihnen: Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam?, und stand auf und bedrohte den Wind und das Meer; und es ward eine große Stille.[27] Die Menschen aber verwunderten sich und sprachen: Was ist das für ein Mann, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind?Zur Bibelstelle; Mt 14,22–33[22] Und alsbald drängte Jesus die Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm ans andere Ufer zu fahren, bis er das Volk gehen ließe. [23] Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er auf einen Berg, um für sich zu sein und zu beten. Und am Abend war er dort allein. [24] Das Boot aber war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen.[25] Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer. [26] Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und riefen: Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht. [27] Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht![28] Petrus aber antwortete ihm und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. [29] Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. [30] Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, rette mich! [31] Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?[32] Und sie stiegen in das Boot und der Wind legte sich. [33] Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!Zur Bibelstelle; Lk 5,1–11[1] Es begab sich aber, als sich die Menge zu ihm drängte, zu hören das Wort Gottes, da stand er am See Genezareth. [2] Und er sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze. [3] Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus.[4] Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus! [5] Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort hin will ich die Netze auswerfen. [6] Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische und ihre Netze begannen zu reißen. [7] Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und ihnen ziehen helfen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, sodass sie fast sanken. [8] Da Simon Petrus das sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch. [9] Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die mit ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten, [10] ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen. [11] Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach.Zur Bibelstelle; Lk 7,11–17[11] Und es begab sich danach, dass er in eine Stadt mit Namen Nain ging; und seine Jünger gingen mit ihm und eine große Menge. [12] Als er aber nahe an das Stadttor kam, siehe, da trug man einen Toten heraus, der der einzige Sohn seiner Mutter war, und sie war eine Witwe; und eine große Menge aus der Stadt ging mit ihr. [13] Und da sie der Herr sah, jammerte sie ihn, und er sprach zu ihr: Weine nicht! [14] Und trat hinzu und berührte den Sarg, und die Träger blieben stehen. Und er sprach: Jüngling, ich sage dir, steh auf! [15] Und der Tote richtete sich auf und fing an zu reden, und Jesus gab ihn seiner Mutter. [16] Und Furcht ergriff sie alle, und sie priesen Gott und sprachen: Es ist ein großer Prophet unter uns aufgestanden, und: Gott hat sein Volk besucht. [17] Und diese Kunde von ihm erscholl im ganzen jüdischen Land und in allen umliegenden Ländern.Zur Bibelstelle).

    Eine klare begriffliche Trennung zwischen den Begriffen „Angst“ und „Furcht“ ist schwer auszumachen – teilweise werden beide synonym, teilweise aber auch differenziert gebraucht.11Vgl. Romaniuk et al., Furcht, 756f. In welcher Weise die Verwendung der Begriffe in verschiedene Kontexte eingebettet ist, kann nur eine exegetische Untersuchung der einzelnen Stellen herausarbeiten.12Vgl. z. B. für das Alte Testament: Kipfer, Sara, Angst, Furcht und Schrecken. Eine kognitiv-linguistische Untersuchung einer Emotion im Biblischen Hebräisch, in: Journal of Northwest Semitic Languages 42 (2016), 15–79; Gemünden, Petra von, Affekte in den synoptischen Evangelien. Die Bedeutung der literarischen Gattung für die Darstellung von Zorn, Begierde, Furcht/Angst und Neid, in: Gemünden, Petra von et al. (Hrsg.), Jesus. Gestalt und Gestaltungen, Göttingen 2013, 255–284.

    Weiterführende Infos WiBiLex

    Unter dem Stichwort „Furcht“ wendet sich Sara Kipfer dem Phänomenbereich aus alttestamentlicher Perspektive zu und stellt u. a. fest, „dass Angst beziehungsweise Furcht die überaus dominierende Emotion in den alttestamentlichen Texten ist. Nicht nur die häufige Nennung und Benennung mit einem sehr breiten Vokabular, sondern auch der Stellenwert, der ihr inhaltlich zukommt, belegt dies“. Alle Informationen finden sich unter: Kipfer, Sara, Art. Furcht (AT), in: WiBiLex (https://bibelwissenschaft.de/stichwort/18774/), zugegriffen am 19.05.2025.

    2. Angst und christliche Religion – systematisch-theologische Perspektiven

    Angst und Religion stehen in einem komplexen Wechselverhältnis zueinander: Zum einen können Phänomene sowie Aspekte der eigenen wie auch fremder Religion auf höchst unterschiedliche Weise Angst und Furcht auslösen. So verbreiten z. B. fundamentalistisch grundierte Gewalttaten Angst und Schrecken und führen dabei zum Teil auch zu Angst vor konkreten Religionen wie auch allgemein vor dem Phänomen Religion. Dies wiederum ist ein möglicher Grund dafür, dass Angehörige spezifischer Religionsgemeinschaften bisweilen Angst davor haben, ihre Religionszugehörigkeit offen zu zeigen bzw. sich überhaupt als religiös ansprechbar zu outen. Nicht nur bei Menschen früherer Generationen können religiöse Vorstellungen, wie z. B. die Vorstellung eines strafenden Gottes, auch Ängste auslösen oder zumindest fördern.

    Im Laufe der Geschichte des Christentums zeigen sich Wandlungen hinsichtlich dessen, wovor Christ*innen Angst haben. Die ersten Christenmenschen erwarteten ihr unmittelbar bevorstehendes Ende und apokalyptischen Ängste wie Hoffnungen waren Teil des Glaubenslebens. Im Mittelalter potenzierten sich die Ängste schürenden Vorstellungen von einem Endgericht Gottes, den Qualen des Fegefeuers, das auf die zu strafenden Sünder*innen wartete. Durch die beiden Weltkriege und die vielfältigen, nicht zuletzt durch Industrialisierung und Technisierung mitbeeinflussten gesellschaftlichen Umbrüche richtete sich die Angst primär auf ein befürchtetes Chaos, „das durch keinen Fortschritt in den Wissenschaften und in der Entwicklung des einzelnen Menschen auf Dauer besiegt werden kann“.13Kühne, Michael, Art. Angst, in: Evangelischer Taschenkatechismus (2001), 285–287, 286.

    In der theologischen Beschäftigung mit der Angst spielt ihr Zusammenhang mit dem Glauben eine entscheidende Rolle. Zu oft wurde die Angst als Symptom des Unglaubens und als Sünde verstanden und der Glaube als Situation völliger Angstfreiheit interpretiert.14Vgl. Körtner, Ulrich H. J., „Um Trost war mir sehr bange“. Angst und Glaube, Krankheit und Tod, in: ders., (Hrsg.), Angst. Theologische Zugänge zu einem ambivalenten Thema, Neukirchen-Vluyn 2001, 69–86, 71. Der Religion kam so die Aufgabe zu, diese wünschenswerte Angstfreiheit herzustellen bzw. Angst möglichst zu minimieren und aus dem Leben fernzuhalten. Dies ist nicht nur eine höchst unrealistische Perspektive, weil sie der Annahme widerspricht, Angst sei ein anthropologisch grundlegendes Phänomen menschlichen Lebens. Darüber hinaus reduziert sie Religion auf die Funktion einer reinen Kontingenzbewältigung, was nicht die Vielschichtigkeit von Religion widerspiegelt.15Vgl. Richter, Cornelia, Ohnmacht und Angst aushalten. Kritik der Resilienz in Theologie und Philosophie, Stuttgart 2017, 13.

    Aus der langen Geschichte einer theologischen Beschäftigung mit der Angst werden im Folgenden einige besonders wichtige und folgenreiche Positionen vorgestellt.

    Die erste systematisierte Form eines theologischen Angstverständnisses findet sich bei Augustin oes-gnd-iconwaiting... in seiner Schrift De civitate Dei. Anhand von differenzierten Bibelauslegungen kommt Augustin zu einer Unterscheidung zwischen zwei verschiedenen Arten von Furcht. Die positiv verstandene timor filialis und die negativ besetzte, weil auf göttliche Strafe bezogene timor servilis. Durch die zunehmend wachsende Gnade Gottes kann sich die letztere in die timor filialis umwandeln.16Vgl. Koch, Elke, Konzepte von Emotion und Affekt im Mittelalter, in: Kappelho, Hermann et al. (Hrsg.), Emotionen. Ein interdisziplinäres Handbuch, Berlin 2019, 13–22, 15f.; Drecoll, Volker H., Angst bei Augustin, in: Hermeneutische Blätter 26/1 (2020), 87–100.

    Diese Vorstellung einer stufenweisen Verwandlung der Angst durch die Liebe Gottes fand ihren Eingang in der theologischen Fortentwicklung im Mittelalter. Gebrochen wurde diese schließlich durch Martin Luther oes-gnd-iconwaiting..., der im Zuge seiner strikten Ablehnung jeglicher als Werkgerechtigkeit verstandenen Selbstermächtigung des Menschen (vgl. Art. Rechtfertigung) Abschied von einer stufenweise verstandenen Angstbewältigung nimmt. Auch wendet er sich strikt gegen die Vorstellung, Glaube und Frömmigkeit könnten aus einer negativ konnotierten Furcht vor Gott resultieren. Im Gegenteil deutet er im Zuge seiner Auslegung der Klage- und Bußpsalmen (1517) die Furcht um und versteht sie als Ausdruck der bewussten Unterwerfung unter das göttliche Urteil über die Sünde.17Vgl. Luther, Martin, Die sieben Bußpsalmen. Erste Bearbeitung (1517), in: WA 1, (154) 158–220; Dietz, Thorsten, Zur theologischen Deutung von Furcht und Angst, in: Kappelhoff, Hermann et al. (Hrsg.), Emotionen. Ein interdisziplinäres Handbuch, Berlin 2019, 150–154, 151; Dietz, Thorsten, Der Begriff der Furcht bei Luther, Tübingen 2009, 174–180. Hieraus könne dann Gerechtigkeit bzw. gerechter und damit tröstender Glaube erwachsen, wie Luther schon in seiner Römerbriefvorlesung (1515/16) deutlich macht.18Vgl. Luther, Martin, Diui Pauli apostoli ad Romanos Epistola (1515/1516), in: WA 56, (V) 3–528; Dietz, Begriff, 128–173. Später versteht der Reformator immer stärker das Wort des Evangeliums als wirksamste, äußere Quelle des Heils, das den selbstzerstörerischen Kreislauf des sich ängstigenden Individuums unterbrechen kann. Die Predigt des Gesetzes hingegen wird als Angst fördernd und so als Kehrseite der erlösenden Rechtfertigung verstanden.19Vgl. Körtner, Trost, 80; Dietz, Begriff, 252–254. Luther hält am Begriff der Gottesfurcht im Sinne einer Haltung des Respekts gegenüber Gott fest. Diese ist aber nicht mit der Angst vor dem Gericht Gottes gleichzusetzen, das nun keinerlei soteriologische Bedeutung mehr hat. Nur das Rechtfertigung vermittelnde Evangelium kann kreative Quelle für Glaubens- und Lebensmut sein. Der Glaube, der aus der Einsicht resultiert, dass Rettung und Heil nur sola gratia Dei erteilt werden, ist bei Luther immer ein angefochtener Mut, der sich in der Fülle des Lebens verlieren, aber auch wiederfinden lässt.

    Eine vertiefte Darstellung von Angst und Furcht bei Martin Luther findet sich in: Dietz, Thorsten, 6.3.2 Ein Gott zum Fürchten? Ein Lebensthema Luthers (Worthaus Podcast), 21.01.2017.

    Eine weitere, einschneidende Beschäftigung mit der Angst liefert der Philosoph und Theologe Søren Kierkegaard oes-gnd-iconwaiting..., indem er Angst und Furcht grundlegend voneinander unterscheidet und Angst in direkte Verbindung mit der menschlichen Erfahrung von Freiheit bringt:20Vgl. Kierkegaard, Søren, Der Begriff Angst, in: Gesammelte Werke 11/12, hrsg. v. Christoph Schrempf, Stuttgart 1935, 1–169. Die Furcht beschreibt Kierkegaard als gegenstandsbezogenes Gefühl, die Angst dagegen als gegenstandslos und darüber hinaus als im Selbstverhältnis des Menschen verortet, der sich als auf die Freiheit hin angelegt erfährt. So erscheint die Angst als höchst ambivalentes Gefühl, das im Verheißen der Freiheit zugleich anziehend und abschreckend ist.21Vgl. Dietz, Deutung, 152.

    Eine vertiefte Darstellung des Angstbegriffs von Søren Kierkegaard findet sich in: Dietz, Thorsten, 10.1.3 Søren Kierkegaard – Angst und Glaube (Worthaus Podcast), 15.05.2020.

    Den Mut als Gegenspieler der Angst identifiziert Paul Tillich oes-gnd-iconwaiting... mit seinem Werk The Courage to Be (1952). Auch wenn Tillich seine Angsttheorie dezidiert in seine Zeit hineingeschrieben hat, kann sie aufgrund ihrer komplexen Inter- und Intradisziplinarität und ihres Bezugs zu einer umfassenden theologischen Wirklichkeitsbeschreibung22Vgl. Ihben-Bahl, Sabine, Gottes Mut und Tillichs Beitrag – zu den Besonderheiten und der bleibenden Relevanz von Paul Tillichs Angsttheorie, in: Hermeneutische Blätter 26/1 (2020), 111–124, 113. auch für den heutigen Angstdiskurs eine relevante Gesprächspartnerin sein. In der Angst als existential anxiety (dt. existenzielle Angst bzw. radikale Angst) erfährt der Mensch das Nichtsein, indem er mit seiner eigenen Endlichkeit konfrontiert wird.23Vgl. Tillich, Paul, The Courage to Be, New Haven 1952, 64; Slenczka, Notger, Trauma und Resilienz – ‚schlechthinnige Abhängigkeit‘ und ‚Mut zum Sein‘, in: Richter, Cornelia (Hrsg.), Ohnmacht und Angst aushalten. Kritik der Resilienz in Theologie und Philosophie, Stuttgart 2017, 163–182, 177. Sie ermöglicht dem Menschen die Erschließung der Wirklichkeit und zeigt zugleich einen Weg des Umgangs mit ihr auf. Dies nennt Tillich „Partizipation“.24Vgl. Tillich, Courage, 86. So kann dem Menschen auch bewusstwerden, dass Gott auch bzw. gerade in den Widersprüchen, den Abgründen des menschlichen Lebens erlebt und gefunden werden kann – ganz im Sinne der lutherischen theologia crucis.25Vgl. Slenczka, Trauma, 180f. Die Fähigkeit und Motivation des Menschen, auch durch Widrigkeiten des Lebens zu gehen, liegt im Mut zum Sein begründet, dessen Quelle Gott, das Sein-Selbst ist. In der Mitte von Tillichs Theologie steht demnach der Mensch, der in der Wirklichkeit Gottes erkennt, was ihn bedroht, was ihm Angst macht, aber auch wahrnehmen kann, „was ihn sein lässt“.26Ihben-Bahl, Mut, 123.

    3. Angst und christliche Lebenskunst

    Als ernst zu nehmende psychische Belastung hat Angst auch eine ethisch-moralische Komponente, vor allem, wenn es angesichts von berechtigten Ängsten, wie z. B. der sog. „Klimaangst“ auch um Verantwortung und Verantwortungsübernahme angesichts von Adversität oder – systematisch-theologisch gefasst – dem strukturellen Bösen geht.27Vgl. Peter, Felix/Bronswijk, Katharina van/Rodenstein, Bianca, Facetten der Klimaangst. Psychologische Grundlagen der Entwicklung eines handlungsleitenden Klimabewusstseins, in: Rieken, Bernd et al. (Hrsg.), Eco-Anxiety – Zukunftsangst und Klimawandel. Interdisziplinäre Zugänge, Münster 2021, 163–184. Damit ist die Angst theologisch nicht nur auf der individuellen Ebene relevant, sondern muss auch in strukturellen, gesellschaftlichen und politischen Kontexten betrachtet werden.28Vgl. Gärtner, Judith, Lebensstark aus der Klage. Traditionen der Hebräischen Bibel in der Perspektive von Resilienz am Beispiel von Ps 22, in: Praktische Theologie 51/2 (2016), 75–81. Hier sind einerseits religiöse Kompetenzen des Umgangs mit der (individuellen, aber auch gruppenbezogenen) Angst gefragt. Die Theologie gerade in ihrer praxisbezogenen Ausprägung ist aber auch gefragt, an einer emanzipatorisch-kompetenten Haltung gegenüber dem die Angst verursachenden Problem zu arbeiten.

    Wie sich Impulse aus dem christlichen Glauben für einen lebensdienlichen Umgang mit der Emotion der Angst gewinnen lassen, wird in praktisch-theologischen Disziplinen wie z. B. der Religionspädagogik oder der Seelsorge behandelt, berührt aber auch andere Handlungsfelder, in denen die Bildungsdimension von besonderer Bedeutung ist. Besonders hervorzuheben ist hierbei eine Auseinandersetzung mit der Angst im Bereich einer „Lebenskunstbildung“29Vgl. hierzu Bubmann, Peter, Lebenskunstbildung. Ein Prospekt, in: Bednorz, Lars et al. (Hrsg.), Religion braucht Bildung – Bildung braucht Religion. Horst F. Rupp zum 60. Geburtstag, Würzburg 2009, 67–78; Huizing, Klaas, Fürchte dich nicht. Die Kunst der Entängstigung, Frankfurt a. M. 2009; Gojny, Tanja, Bangen & hoffen, in: Bubmann, Peter/Sill, Bernhard (Hrsg.), Christliche Lebenskunst, Regensburg 2008, 239–250. sowie gegenwärtiger christlicher „Sterbekunst“ als notwendiger Aspekt religiöser Bildung.30Vgl. Roser, Traugott, Eine neue Ars moriendi. Zwölf Beobachtungen zu Sterben und Sterbebegleitung in der Tradition Martin Luthers, in: Luther 90/1 (2019), 12–28; Buchs, Simone, Ars moriendi – ars vivendi. Vor und nach dem Ende, in: Erbe und Auftrag 94/2 (2018), 208–210; Steffensky, Fulbert, Mut zur Endlichkeit. Sterben in einer Gesellschaft der Sieger, Stuttgart 2007; Wagner, Harald, Ars moriendi als Thema der Gegenwart, in: Una Sancta 61/3 (2006), 189–192.

    Die Ritual- und Textgeschichte einer christlichen ars moriendi (dt. Sterbekunst) ist mit dem Thema der Angst eng verbunden – insbesondere der Angst vor einem unvorbereiteten Tod, Anfechtungen in der Sterbestunde und dem Verlust des Seelenheils, denen die reformatorischen Sterbeunterweisungen durch das Betonen der Heilsgewissheit, der Lehre der Rechtfertigung durch den Glauben, den Hinweis auf den Trost durch die Sakramente und die Erinnerung an die Passion Christi zu begegnen suchten.31Vgl. Reinis, Austra, Ars moriendi. Ritual- und Textgeschichte, in: Wittwer, Héctor et al. (Hrsg.), Handbuch Sterben und Tod, Stuttgart 22020, 202–209. Religiöse Praxisformen, prominent in der Praxisform des Betens,32Vgl. etwa Boff, Leonardo, Vater unser. Das Gebet umfassender Befreiung, Düsseldorf 1983. sind dazu geeignet, den Blick angesichts von Angst für Strategien des Umgangs (wieder) zu weiten. Sie tun dies z. B., indem sie Möglichkeiten bieten, das eigene Leid „durch das Leid Jesu Christi anzusehen“.33Wabel, Thomas, Weisen der Verkörperung in der christlichen Schmerztradition und die Frage nach Resilienz, in: Richter, Cornelia (Hrsg.), Ohnmacht und Angst aushalten. Kritik der Resilienz in Theologie und Philosophie, Stuttgart 2017, 91–106, 100. Die Angst wird in das Gottesverhältnis mit aufgenommen, deutlich wird dies z. B. im Ruf Jesu am Kreuz.34Vgl. Flebbe, Jochen, „Ich glaube – hilf meinem Unglauben.“ Strukturen antithetischer Krisenbewältigung im Neuen Testament, in: Richter, Cornelia (Hrsg.), Ohnmacht und Angst aushalten. Kritik der Resilienz in Theologie und Philosophie, Stuttgart 2017, 47–70, 61. Religiöse Phänomene des Loslassens, der Hingabe, der Selbstfürsorge oder der Sorge für andere können Möglichkeiten des Umgangs mit der Angst bzw. mit einer ängstigenden Situation darstellen. Dies kann als Resilienz bezeichnet werden – verstanden als ein Krisenphänomen, das kein Garant für ein leidfreies Leben darstellt, sondern vielmehr menschliche Vulnerabilität betont und damit für eine krisensensible Identitätsbildung und Identitätsarbeitsfähigkeit von Bedeutung werden kann.35Vgl. Richter, Ohnmacht, 12f.

    So kann christliche Lebenskunst der Hoffnung Raum geben. Sie ist narrativ, drückt sich in Hoffnungsgeschichten aus und lädt zum Einschreiben in die eigene Biografie ein. Christliche Lebenskunst ist Praxis – sie setzt auf aktive Hoffnungsarbeit und ist sich gleichzeitig der grundlegenden Gegebenheit des Lebens bewusst.36Vgl. Gojny, Bangen, 242. Die christliche Hoffnung, die im Zentrum der sie vermittelnden Frömmigkeitspraxis steht, ist eine Deutungsperspektive, die – so wichtig diese Perspektive auch ist – nicht nur vor moralischer Selbstüberforderung schützt, sondern auch den Blick für Aspekte des Loslassens und des Freiwerdens öffnen kann.37Vgl. Gärtner, Klage.

    Weiterführende Literatur

    Dietz, Thorsten, Der Begriff der Furcht bei Luther, Tübingen 2009.

    Gärtner, Claudia, „Erlöse und von dem Bösen…“ Religionspädagogisches Potenzial einer vernachlässigten Vaterunser-Bitte in Zeiten der Krise, in: RpB 46/1 (2023), 27–37.

    Huizing, Klaas, Fürchte dich nicht. Die Kunst der Entängstigung, Frankfurt a. M. 2009.

    Körtner, Ulrich H. J., „Um Trost war mir sehr bange“. Angst und Glaube, Krankheit und Tod, in: Körtner, Ulrich H. J. (Hrsg.), Angst. Theologische Zugänge zu einem ambivalenten Thema, Neukirchen-Vluyn 2001, 69–86.

    Martin, Susanne/Linpinsel, Thomas (Hrsg.), Angst in Kultur und Politik der Gegenwart. Beiträge zu einer Gesellschaftswissenschaft der Angst, Wiesbaden 2020.

    Richter, Cornelia, Ohnmacht und Angst aushalten. Kritik der Resilienz in Theologie und Philosophie, Stuttgart 2017.

    Einzelnachweise

    • 1
      Vgl. Essau, Cecilia A., Angst bei Kindern und Jugendlichen, München 2014.
    • 2
      Vgl. R+V-Studie 2024, Ergebnisse abrufbar unter: https://www.ruv.de/newsroom/themenspezial-die-aengste-der-deutschen, abgerufen am 19.05.2025.
    • 3
      Fuchs, Thomas, Anthropologische und phänomenologische Aspekte psychischer Erkrankungen, Heidelberg 2026, 49f.
    • 4
      Vgl. Demmerling, Christoph/Landwehr, Hilge, Philosophie der Gefühle. Von Achtung bis Zorn, Weimar 2007, 63.
    • 5
      Vgl. Häfner, Heinz, Art. Angst/Furcht, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie 1 (1971), 310–314.
    • 6
      Vgl. Koch, Lars, Einleitung. Angst als Gegenstand kulturwissenschaftlicher Forschung, in: Koch, Lars (Hrsg.), Angst. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2013, 1–4, 1.
    • 7
      Vgl. Ahrens, Jörn, Soziologie der Angst, in: Koch, Lars (Hrsg.), Angst. Ein interdisziplinäres Handbuch, Stuttgart 2013, 63–70.
    • 8
      Vgl. z. B. Martin, Susanne/Linpinsel, Thomas (Hrsg.), Angst in Kultur und Politik der Gegenwart. Beiträge zu einer Gesellschaftswissenschaft der Angst, Wiesbaden 2020.
    • 9
      Vgl. Fuhs, Hans, Art. יָרֵא jāre’, in: Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament 3 (1982), 869–893, 872–874; Becker, Joachim, Gottesfurcht im Alten Testament, Rom 1965, 1–18.
    • 10
      Vgl. Romaniuk, Kasimir/Lanczkowski, Günter/Schnurr, Günther, Art. Furcht, in: TRE 11 (1983), 755–766, 756.
    • 11
      Vgl. Romaniuk et al., Furcht, 756f.
    • 12
      Vgl. z. B. für das Alte Testament: Kipfer, Sara, Angst, Furcht und Schrecken. Eine kognitiv-linguistische Untersuchung einer Emotion im Biblischen Hebräisch, in: Journal of Northwest Semitic Languages 42 (2016), 15–79; Gemünden, Petra von, Affekte in den synoptischen Evangelien. Die Bedeutung der literarischen Gattung für die Darstellung von Zorn, Begierde, Furcht/Angst und Neid, in: Gemünden, Petra von et al. (Hrsg.), Jesus. Gestalt und Gestaltungen, Göttingen 2013, 255–284.
    • 13
      Kühne, Michael, Art. Angst, in: Evangelischer Taschenkatechismus (2001), 285–287, 286.
    • 14
      Vgl. Körtner, Ulrich H. J., „Um Trost war mir sehr bange“. Angst und Glaube, Krankheit und Tod, in: ders., (Hrsg.), Angst. Theologische Zugänge zu einem ambivalenten Thema, Neukirchen-Vluyn 2001, 69–86, 71.
    • 15
      Vgl. Richter, Cornelia, Ohnmacht und Angst aushalten. Kritik der Resilienz in Theologie und Philosophie, Stuttgart 2017, 13.
    • 16
      Vgl. Koch, Elke, Konzepte von Emotion und Affekt im Mittelalter, in: Kappelho, Hermann et al. (Hrsg.), Emotionen. Ein interdisziplinäres Handbuch, Berlin 2019, 13–22, 15f.; Drecoll, Volker H., Angst bei Augustin, in: Hermeneutische Blätter 26/1 (2020), 87–100.
    • 17
      Vgl. Luther, Martin, Die sieben Bußpsalmen. Erste Bearbeitung (1517), in: WA 1, (154) 158–220; Dietz, Thorsten, Zur theologischen Deutung von Furcht und Angst, in: Kappelhoff, Hermann et al. (Hrsg.), Emotionen. Ein interdisziplinäres Handbuch, Berlin 2019, 150–154, 151; Dietz, Thorsten, Der Begriff der Furcht bei Luther, Tübingen 2009, 174–180.
    • 18
      Vgl. Luther, Martin, Diui Pauli apostoli ad Romanos Epistola (1515/1516), in: WA 56, (V) 3–528; Dietz, Begriff, 128–173.
    • 19
      Vgl. Körtner, Trost, 80; Dietz, Begriff, 252–254.
    • 20
      Vgl. Kierkegaard, Søren, Der Begriff Angst, in: Gesammelte Werke 11/12, hrsg. v. Christoph Schrempf, Stuttgart 1935, 1–169.
    • 21
      Vgl. Dietz, Deutung, 152.
    • 22
      Vgl. Ihben-Bahl, Sabine, Gottes Mut und Tillichs Beitrag – zu den Besonderheiten und der bleibenden Relevanz von Paul Tillichs Angsttheorie, in: Hermeneutische Blätter 26/1 (2020), 111–124, 113.
    • 23
      Vgl. Tillich, Paul, The Courage to Be, New Haven 1952, 64; Slenczka, Notger, Trauma und Resilienz – ‚schlechthinnige Abhängigkeit‘ und ‚Mut zum Sein‘, in: Richter, Cornelia (Hrsg.), Ohnmacht und Angst aushalten. Kritik der Resilienz in Theologie und Philosophie, Stuttgart 2017, 163–182, 177.
    • 24
      Vgl. Tillich, Courage, 86.
    • 25
      Vgl. Slenczka, Trauma, 180f.
    • 26
      Ihben-Bahl, Mut, 123.
    • 27
      Vgl. Peter, Felix/Bronswijk, Katharina van/Rodenstein, Bianca, Facetten der Klimaangst. Psychologische Grundlagen der Entwicklung eines handlungsleitenden Klimabewusstseins, in: Rieken, Bernd et al. (Hrsg.), Eco-Anxiety – Zukunftsangst und Klimawandel. Interdisziplinäre Zugänge, Münster 2021, 163–184.
    • 28
      Vgl. Gärtner, Judith, Lebensstark aus der Klage. Traditionen der Hebräischen Bibel in der Perspektive von Resilienz am Beispiel von Ps 22, in: Praktische Theologie 51/2 (2016), 75–81.
    • 29
      Vgl. hierzu Bubmann, Peter, Lebenskunstbildung. Ein Prospekt, in: Bednorz, Lars et al. (Hrsg.), Religion braucht Bildung – Bildung braucht Religion. Horst F. Rupp zum 60. Geburtstag, Würzburg 2009, 67–78; Huizing, Klaas, Fürchte dich nicht. Die Kunst der Entängstigung, Frankfurt a. M. 2009; Gojny, Tanja, Bangen & hoffen, in: Bubmann, Peter/Sill, Bernhard (Hrsg.), Christliche Lebenskunst, Regensburg 2008, 239–250.
    • 30
      Vgl. Roser, Traugott, Eine neue Ars moriendi. Zwölf Beobachtungen zu Sterben und Sterbebegleitung in der Tradition Martin Luthers, in: Luther 90/1 (2019), 12–28; Buchs, Simone, Ars moriendi – ars vivendi. Vor und nach dem Ende, in: Erbe und Auftrag 94/2 (2018), 208–210; Steffensky, Fulbert, Mut zur Endlichkeit. Sterben in einer Gesellschaft der Sieger, Stuttgart 2007; Wagner, Harald, Ars moriendi als Thema der Gegenwart, in: Una Sancta 61/3 (2006), 189–192.
    • 31
      Vgl. Reinis, Austra, Ars moriendi. Ritual- und Textgeschichte, in: Wittwer, Héctor et al. (Hrsg.), Handbuch Sterben und Tod, Stuttgart 22020, 202–209.
    • 32
      Vgl. etwa Boff, Leonardo, Vater unser. Das Gebet umfassender Befreiung, Düsseldorf 1983.
    • 33
      Wabel, Thomas, Weisen der Verkörperung in der christlichen Schmerztradition und die Frage nach Resilienz, in: Richter, Cornelia (Hrsg.), Ohnmacht und Angst aushalten. Kritik der Resilienz in Theologie und Philosophie, Stuttgart 2017, 91–106, 100.
    • 34
      Vgl. Flebbe, Jochen, „Ich glaube – hilf meinem Unglauben.“ Strukturen antithetischer Krisenbewältigung im Neuen Testament, in: Richter, Cornelia (Hrsg.), Ohnmacht und Angst aushalten. Kritik der Resilienz in Theologie und Philosophie, Stuttgart 2017, 47–70, 61.
    • 35
      Vgl. Richter, Ohnmacht, 12f.
    • 36
      Vgl. Gojny, Bangen, 242.
    • 37
      Vgl. Gärtner, Klage.

    Zitierweise

    Fischer, Mia-Maria, Gojny, Tanja: „Angst“, Version 1.0, in: Onlinelexikon Systematische Theologie, ISSN 3052-685X, 20. Juni 2025. DOI: https://doi.org/10.15496/publikation-107465

    Zitieren

    Drucken