Tiere/ Mitwelt

Die Beziehung zwischen Tier, Mitwelt und Mensch ist durch gegenseitige Abhängigkeit charakterisiert. Doch seit etwa dem 19. Jh. führt die technisch-industrielle Entwicklung zu umfangreicher Ausbeutung von Tier und Mitwelt durch den Menschen. Der christlichen Theologie ist angesichts der zerstörerischen Gewalt des Menschen aufgegeben, darüber zu reflektieren, welcher Umgang mit Tier und Mitwelt wahrhaft christlich wäre. Diese Frage betrifft unmittelbar Tier und Mitwelt, mittelbar aber auch zukünftige Menschen, die unter Klimawandel und Artensterben massiv leiden werden.

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    1. Mensch, Tier, Mitwelt

    Aus biologischer Sicht ist Homo sapiens eine besondere Spezies. Allerdings ist der Mensch auch nur eine Art neben den vielen anderen, die allesamt im Reich der Tiere (regnum animalium) beheimatet sind.1Vgl. Hickman, Cleveland P. et al. (Hrsg.), Zoologie, aus dem Amerikanischen übers. v. Thomas Lazar, deutsche Bearbeitung v. Wolf-Michael Weber, München et al. 132008, 931. Vom Reich der Tiere werden in der Biologie die Reiche der Pflanzen, der Pilze, der Einzeller und der Bakterien unterschieden. Diese Lebewesen gehören ebenso zur Mitwelt des Menschen wie Landschaften (im geographischen Sinne) und das Klima. Dass die Frage nach dem Umgang mit der Mitwelt heutzutage nicht nur für den Fortbestand der Mitwelt, sondern auch das Überleben der menschlichen Spezies unerlässlich ist, machen der menschengemachte Klimawandel und das mit ihm einhergehende Artensterben deutlich.2Zum klimawandelbedingten Artensterben vgl. Convention on the Conservation of Migratory Species of Wild Animals (CMS), Landmark UN Report Reveals Shocking State of Wildlife: The World’s Migratory Species of Animals Are in Decline, and the Global Extinction Risk Is Increasing (https://www.cms.int/en/news/press-release-landmark-report-state-world-migratory-species), abgerufen am 08.04.2024. Zur Bedrohung der menschlichen Spezies durch das von Menschen verschuldete Artensterben vgl. Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO), FAO’s Global Action on Pollination Services for Sustainable Agriculture. Pollination & human livelihoods, (https://www.fao.org/pollination/en), abgerufen am 08.04.2024.

    Der Umgang des Menschen mit Tier und Mitwelt ist ein altes Thema der Theologie (2.). Zugleich ist die ethische Frage nach dem Umgang des Menschen mit Tier und Mitwelt eine aktuell brisante. Die brutale Ausbeutung von Tier und Mitwelt hat mit fortschreitender technischer und industrieller Entwicklung immense Ausmaße angenommen. Daher wäre es aus christlicher Sicht schon längst an der Zeit gewesen, den Umgang des Menschen mit Tier und Mitwelt zu ändern. Doch nach wie vor werden unter der Annahme, dass die Welt für den Menschen da sei, Tiere in Massen gezüchtet, gequält und getötet. Treibhausgase werden massenweise emittiert, und Müll gibt es im Übermaß. So sind das Leben und Überleben von Mitwelt wie Menschen massiv gefährdet.

    Vorliegender Artikel fokussiert auf Ausschnitte aus der skizzierten Problemlage, vornehmlich auf das Verhältnis des Menschen zum Tier, und zwar aus philosophischer (3.) und evangelisch-theologischer (4.) Sicht. Hierbei wird exemplarisch auf einflussreiche Positionen verwiesen, die gängige Argumente unterschiedlich gewichten. Abschließend wird ein Blick auf die Konsequenzen des gegenwärtig verbreiteten menschlichen Umgangs mit Tier und Mitwelt geworfen (5.).

    2. Biblische Bezüge

    „Macht Euch die Erde untertan!“ Diese Aufforderung an Homo sapiens gleich zu Beginn der Bibel (Gen 1,28Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.Zur Bibelstelle) wird als Ursache für die fortschreitende ökologische Krise angesehen, insofern sie als Freigabe der Mitwelt zur Ausbeutung durch den Menschen verstanden wird. Im vergangenen Jahrhundert sieht daher (neben anderen) L. White oes-gnd-iconwaiting... die Schuld für die Mitweltzerstörung beim Christentum. 1967 prophezeit er, „we shall continue to have a worsening ecologic crisis until we reject the Christian axiom that nature has no reason for existence save to serve man.“3White, Lynn, The Historical Roots of Our Ecological Crisis, in: Science 155 (1967) 3767, 1203–1207, 1207.

    Damit Gen 1,28Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.Zur Bibelstelle nicht als Aufruf zur Zerstörung der Mitwelt missverstanden wird, ist dreierlei zu beachten: Zum einen wurden die gedichteten Zeilen Jahrtausende vor unserer Zeit verfasst. Damals wurde weder der Regenwald gerodet noch das Meer mit Müll gefüllt. Weder gab es Massentierhaltung noch Überfischung. Zum Zweiten verlangt der biblische Text eine gewaltarme Herrschaft über die Mitgeschöpfe (dominium terrae et animalium), die ohne Blutvergießen auskommt. Dafür steht der Hinweis, dem Menschen sei eine ausschließlich vegane Ernährung zugedacht (Gen 1,29Und Gott sprach: Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise.Zur Bibelstelle). Zum Dritten sollten gerade Christenmenschen mit ihren Mitgeschöpfen in Liebe leben (s. 3.).

    Anders als in Gen 1[1] Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. [2] Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser.[3] Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. [4] Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis [5] und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.[6] Und Gott sprach: Es werde eine Feste zwischen den Wassern, die da scheide zwischen den Wassern. [7] Da machte Gott die Feste und schied das Wasser unter der Feste von dem Wasser über der Feste. Und es geschah so. [8] Und Gott nannte die Feste Himmel. Da ward aus Abend und Morgen der zweite Tag.[9] Und Gott sprach: Es sammle sich das Wasser unter dem Himmel an einem Ort, dass man das Trockene sehe. Und es geschah so. [10] Und Gott nannte das Trockene Erde, und die Sammlung der Wasser nannte er Meer. Und Gott sah, dass es gut war. [11] Und Gott sprach: Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringe, und fruchtbare Bäume, die ein jeder nach seiner Art Früchte tragen, in denen ihr Same ist auf der Erde. Und es geschah so. [12] Und die Erde ließ aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringt, ein jedes nach seiner Art, und Bäume, die da Früchte tragen, in denen ihr Same ist, ein jeder nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war. [13] Da ward aus Abend und Morgen der dritte Tag.[14] Und Gott sprach: Es werden Lichter an der Feste des Himmels, die da scheiden Tag und Nacht. Sie seien Zeichen für Zeiten, Tage und Jahre [15] und seien Lichter an der Feste des Himmels, dass sie scheinen auf die Erde. Und es geschah so. [16] Und Gott machte zwei große Lichter: ein großes Licht, das den Tag regiere, und ein kleines Licht, das die Nacht regiere, dazu auch die Sterne. [17] Und Gott setzte sie an die Feste des Himmels, dass sie schienen auf die Erde [18] und den Tag und die Nacht regierten und schieden Licht und Finsternis. Und Gott sah, dass es gut war. [19] Da ward aus Abend und Morgen der vierte Tag.[20] Und Gott sprach: Es wimmle das Wasser von lebendigem Getier, und Vögel sollen fliegen auf Erden unter der Feste des Himmels. [21] Und Gott schuf große Seeungeheuer und alles Getier, das da lebt und webt, davon das Wasser wimmelt, ein jedes nach seiner Art, und alle gefiederten Vögel, einen jeden nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war. [22] Und Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und mehret euch und erfüllet das Wasser im Meer, und die Vögel sollen sich mehren auf Erden. [23] Da ward aus Abend und Morgen der fünfte Tag.[24] Und Gott sprach: Die Erde bringe hervor lebendiges Getier, ein jedes nach seiner Art: Vieh, Gewürm und Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art. Und es geschah so. [25] Und Gott machte die Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art, und das Vieh nach seiner Art und alles Gewürm des Erdbodens nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war.[26] Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht. [27] Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. [28] Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht. [29] Und Gott sprach: Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise. [30] Aber allen Tieren auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel und allem Gewürm, das auf Erden lebt, habe ich alles grüne Kraut zur Nahrung gegeben. Und es geschah so. [31] Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Da ward aus Abend und Morgen der sechste Tag.Zur Bibelstelle haben die Autoren der Priesterschrift in Gen 9,3Alles, was sich regt und lebt, das sei eure Speise; wie das grüne Kraut habe ich’s euch alles gegeben.Zur Bibelstelle Gott als einen Schöpfer (vgl. Art. Schöpfung) gezeichnet, der, da ihm sein Menschenwerk entglitten zu sein scheint, der Spezies Mensch den Verzehr von tierlichem Fleisch gestattet. In diesem Text spiegelt sich die vorfindliche Realität; Menschen leben auf Kosten von Tieren und benutzen diese zu ihren Zwecken. Dass Menschen hierzu mächtig sind, bringt Ps 8,7–9 [7] Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk,alles hast du unter seine Füße getan:[8] Schafe und Rinder allzumal,dazu auch die wilden Tiere,[9] die Vögel unter dem Himmel und die Fische im Meerund alles, was die Meere durchzieht.Zur Bibelstellezum Ausdruck.

    Allerdings handeln die biblischen Texte auch davon, dass Menschen von ihrer Mitwelt abhängig und ihr gar ausgeliefert sind. U. a. sintflutartige Überschwemmungen (Gen 7,10–24[10] Und als die sieben Tage vergangen waren, kamen die Wasser der Sintflut auf Erden. [11] In dem sechshundertsten Lebensjahr Noahs am siebzehnten Tag des zweiten Monats, an diesem Tag brachen alle Brunnen der großen Tiefe auf und taten sich die Fenster des Himmels auf, [12] und ein Regen kam auf Erden vierzig Tage und vierzig Nächte. [13] An ebendiesem Tage ging Noah in die Arche mit Sem, Ham und Jafet, seinen Söhnen, und mit seiner Frau und den drei Frauen seiner Söhne; [14] dazu alles wilde Getier nach seiner Art, alles Vieh nach seiner Art, alles Gewürm, das auf Erden kriecht, nach seiner Art und alle Vögel nach ihrer Art, alles, was fliegen konnte, alles, was Fittiche hatte; [15] das ging alles zu Noah in die Arche paarweise, von allem Fleisch, darin Odem des Lebens war. [16] Und das waren Männchen und Weibchen von allem Fleisch, und sie gingen hinein, wie denn Gott ihm geboten hatte. Und der Herr schloss hinter ihm zu.[17] Und die Sintflut war vierzig Tage auf Erden, und die Wasser wuchsen und hoben die Arche auf und trugen sie empor über die Erde. [18] Und die Wasser nahmen überhand und wuchsen sehr auf Erden, und die Arche fuhr auf den Wassern. [19] Und die Wasser nahmen überhand und wuchsen so sehr auf Erden, dass alle hohen Berge unter dem ganzen Himmel bedeckt wurden. [20] Fünfzehn Ellen hoch gingen die Wasser über die Berge, sodass sie ganz bedeckt wurden.[21] Da ging alles Fleisch unter, das sich auf Erden regte, an Vögeln, an Vieh, an wildem Getier und an allem, was da wimmelte auf Erden, und alle Menschen. [22] Alles, was Odem des Lebens hatte auf dem Trockenen, das starb. [23] So vertilgte er alles, was auf dem Erdboden war, vom Menschen an bis hin zum Vieh und zum Gewürm und zu den Vögeln unter dem Himmel. Sie wurden von der Erde vertilgt. Allein Noah blieb übrig und was mit ihm in der Arche war. [24] Und die Wasser wuchsen gewaltig auf Erden hundertfünfzig Tage.Zur Bibelstelle), Meeresgewalten (Ps 93[1] Der Herr ist König und herrlich gekleidet; /der Herr ist gekleidet und umgürtet mit Kraft.Fest steht der Erdkreis, dass er nicht wankt.[2] Von Anbeginn steht dein Thron fest;du bist ewig.[3] Herr, die Fluten erheben, /die Fluten erheben die Stimme,die Fluten erheben ihr Brausen.[4] Mächtiger als das Tosen großer Wasser,mächtiger als die Wellen des Meeres ist der Herr in der Höhe.[5] Deine Zeugnisse sind wahrhaftig und gewiss;Heiligkeit ist die Zierde deines Hauses, Herr, für alle Zeit.Zur Bibelstelle) und wilde Tiere (Ijob 41[1] Siehe, jede Hoffnung wird an ihm zuschanden; schon wenn einer ihn sieht, stürzt er zu Boden. [2] Niemand ist so kühn, dass er ihn zu reizen wagt. – Wer ist denn, der vor mir bestehen könnte? [3] Wer kann mir entgegentreten und ich lasse ihn unversehrt? Alles unter dem Himmel ist mein! [4] Ich will nicht schweigen von seinen Gliedern, wie groß, wie mächtig und wohlgeschaffen er ist. [5] Wer kann ihm den Panzer ausziehen, und wer darf es wagen, ihm zwischen die Zähne zu greifen? [6] Wer kann die Tore seines Rachens auftun? Um seine Zähne herum herrscht Schrecken. [7] Sein Rücken ist eine Reihe von Schilden, wie mit festem Siegel verschlossen. [8] Einer reiht sich an den andern, dass nicht ein Lufthauch hindurchgeht. [9] Es haftet einer am andern, sie schließen sich zusammen und lassen sich nicht trennen. [10] Sein Niesen lässt Licht aufleuchten; seine Augen sind wie die Wimpern der Morgenröte. [11] Aus seinem Rachen fahren Fackeln, und feurige Funken schießen heraus. [12] Aus seinen Nüstern fährt Rauch wie von einem siedenden Kessel und Binsenfeuer. [13] Sein Odem ist wie lichte Lohe, und aus seinem Rachen schlagen Flammen. [14] Auf seinem Nacken nächtigt die Stärke, und vor ihm her tanzt die Angst. [15] Die Wampen seines Fleisches haften an ihm, fest angegossen, ohne sich zu bewegen. [16] Sein Herz ist so hart wie ein Stein und so fest wie der untere Mühlstein. [17] Wenn er sich erhebt, so entsetzen sich die Starken, und wenn er hervorbricht, weichen sie zurück. [18] Trifft man ihn mit dem Schwert, so richtet es nichts aus, auch nicht Spieß, Geschoss und Speer. [19] Er achtet Eisen wie Stroh und Erz wie faules Holz. [20] Kein Pfeil wird ihn verjagen; die Schleudersteine sind ihm wie Spreu. [21] Die Keule achtet er wie Stoppeln; er spottet der bebenden Lanze. [22] Unter seinem Bauch sind scharfe Spitzen; er fährt wie ein Dreschschlitten über den Schlamm. [23] Er macht, dass die Tiefe brodelt wie ein Topf, und rührt das Meer um, wie man Salbe mischt. [24] Er lässt hinter sich eine leuchtende Bahn; man denkt, die Flut sei Silberhaar. [25] Auf Erden ist nicht seinesgleichen; er ist ein Geschöpf ohne Furcht. [26] Er sieht allem ins Auge, was hoch ist; er ist König über alle Stolzen.Zur Bibelstelle) werden als lebensbedrohlich erlebt. Da ist die Sehnsucht nach einem „Friedensreich“, das als „Tierfrieden“ beschrieben wird (Jes 11,6–9[6] Da wird der Wolf beim Lamm wohnen und der Panther beim Böcklein lagern. Kalb und Löwe werden miteinander grasen, und ein kleiner Knabe wird sie leiten. [7] Kuh und Bärin werden zusammen weiden, ihre Jungen beieinanderliegen, und der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind. [8] Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein kleines Kind wird seine Hand ausstrecken zur Höhle der Natter. [9] Man wird weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land ist voll Erkenntnis des Herrn, wie Wasser das Meer bedeckt.Zur Bibelstelle), verständlich.

    Bemerkenswert ist, dass die in Jes 11,9Man wird weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land ist voll Erkenntnis des Herrn, wie Wasser das Meer bedeckt.Zur Bibelstelle (auch in Gen 6,5Als aber der Herr sah, dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar,Zur Bibelstelle) genannte Bosheit (vgl. Art. Böses) der Menschen durch das Opfer des wohl sanftmütigsten Tieres überwunden wird. Durch den Kreuzestod Christi, der als „Lamm Gottes“ bezeichnet wird (vgl. Joh 1,29Am nächsten Tag sieht Johannes, dass Jesus zu ihm kommt, und spricht: Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!Zur Bibelstelle.36und als er Jesus vorübergehen sah, sprach er: Siehe, das ist Gottes Lamm!Zur Bibelstelle; 1Kor 5,7Darum schafft den alten Sauerteig weg, auf dass ihr ein neuer Teig seid, wie ihr ja ungesäuert seid. Denn auch unser Passalamm ist geopfert, das ist Christus.Zur Bibelstelle), geschieht Erlösung. Allerdings folgt in der ntl. Überlieferung aus der Einsicht in Gottes Erlösungshandeln nicht die Ermahnung zur Gewaltlosigkeit gegenüber den Mitgeschöpfen. Vielmehr wird der Verzehr von (Götzenopfer-)Fleisch ausdrücklich genehmigt (s. u. 3.1).

    Weiterführende Infos WiBiLex

    „Die Tierwelt Palästinas war in alter Zeit wesentlich zahl- und artenreicher als heute. Daher nehmen die biblischen Schriften häufig auf Tiere Bezug. […] Vielfach ist umstritten, welche Tierarten genau sich hinter den hebräischen Tiernamen verbergen, zumal die Septuaginta und andere antike Übersetzungstraditionen zum Teil ein widersprüchliches Bild vermitteln.“ Riede, Peter, Art. Tier, in: WiBiLex (https://bibelwissenschaft.de/stichwort/35794/), abgerufen am 08.03.2025.

    Ein Vortrag zu Genesis 2 mit besonderem Blick auf die Mensch-Tier-Beziehung findet sich bei Zimmer, Siegfried, 3.3.2 Der Mensch und die Tiere (Worthaus Podcast), 25.11.2013.

    3. Philosophische Positionen

    3.1. Plutarchs Plädoyer für das Leben

    In ntl. Zeit war es Plutarch oes-gnd-iconwaiting..., der den brutalen Umgang des Menschen mit dem Tier scharf kritisierte. Denn obgleich der Fleischkonsum bei Weitem nicht die Ausmaße hatte, die er heute annimmt, wurde doch zumindest in wohlhabenden Kreisen das Tier aus bloßer Fleischeslust verzehrt und also als Genussmittel verzweckt. Solcher Fleischkonsum ist nach Plutarch nicht lebensnotwendig und daher keineswegs gerecht, vielmehr wider die Bestimmung der Tiere als Lebe-Wesen, als Wesen, die leben sollten. Eine Hungersnot könne Fleischverzehr rechtfertigen. Ansonsten aber sei es unangemessen, dass sich der Mensch karnivor ernähre.4Vgl. Plutarch, On the Eating of the Flesh I, in: Ders., Moralia XII, ins Englische übers. v. Harold Cherniss und William C. Helmbold (LCL 406), Cambridge/London 1957, 540–561. Deutsche Übersetzung: Plutarch, Darf man Tiere essen? Gedanken aus der Antike, aus dem Griech. v. Marion Giebel (Reclams Universalbibliothek 19313), Stuttgart 32015, 87–95.

    3.2. Nussbaums Gerechtigkeitsverständnis

    In unserer Gegenwart hat sich M. C. Nussbaum oes-gnd-iconwaiting... viel rezipiert zum Umgang des Menschen mit dem Tier geäußert.5Ihre Position entwickelt sie u. a. in Auseinandersetzung mit der Gerechtigkeitsethik von John Rawls und mit Peter Singers präferenzutilitaristischer Tierethik, die gegen Speziesismus argumentiert und die einflussreich in „Animal Liberation“ (1975) darlegt ist. Menschliche wie nicht-menschliche Geschöpfe gleichen sich nach Nussbaum darin, dass sie allesamt Selbstzweck und also Würdeträger seien. In „Frontiers of Justice“ hält sie fest, es gebe „no respectable way to deny the equal dignity of creatures across species.“6Nussbaum, Martha C., Frontiers of Justice. Disability, Nationality, Species Membership, Cambridge 2007, 383. In „Justice for Animals“ geht Nussbaum explizit von unterschiedlichen „Würden“ aus, hält jedoch an der Selbstzweckhaftigkeit sämtlicher Geschöpfe fest. „The fact that the dignity of a dolphin or an elephant is not precisely the same as human dignity […] does not mean that there is not dignity there, that vague property that means, basically, deserving of end-like treatment rather than means-like use.⁠“7Nussbaum, Martha C., Justice for Animals. Our Collective Responsibility, New York et al. 2022, 96.

    Auf dem Boden ihres Würdeverständnisses, das sie von der Unterschiedlichkeit der Lebewesen abhängig macht, spricht sich Nussbaum für einen gerechten Umgang mit den Tieren aus.8Nussbaum bezieht sich zu diesem Zweck auf den von ihr und Amartya Sen entwickelten „capabilities approach“. Gerechtigkeit sei erst dann gewährt, wenn Tieren bestimmte capabilities rechtlich zugesichert seien.9Vgl. Nussbaum, Frontiers, 94: „The capabilities approach does not urge uncritical nature-worship: instead, it urges evaluation of the basic powers of a creature, asking which ones are of central importance for its good. This is a difficult job.“ Vgl. auch Nussbaum, Frontiers, 337.351; unter „capabilities“ sind Fähigkeiten zu verstehen, zu deren Anwendung Tiere befähigt sein sollen. Sind sie beispielsweise zu sozialer Gemeinschaft unter ihresgleichen fähig, sollen sie hierzu auch befähigt werden. Zur rechtlichen Absicherung vgl. Nussbaum, Frontiers, 398f. Nussbaum nennt unter anderem körperliche Unversehrtheit und Bewegungsfreiheit,10Vgl. Nussbaum, Frontiers, 392–401. vor allem aber zählt sie den Vollzug andauernden Lebens zu den capabilities, die Tieren zugestanden sein sollten.11Vgl. Nussbaum, Frontiers, 393.

    Bemerkenswert ist daher, dass sie ihren eigenen Verzehr von Fischen damit rechtfertigt, dass Fische, die nach einer Zeit glücklichen Herumschwimmens schmerzfrei getötet würden, den Tod nicht als Übel erleben müssten.12Vgl. dazu Nussbaum, Martha C./Bendik-Keymer, Jeremy, On Justice for Animals. Martha Nussbaum on her new book—and why a full development of our humanity requires developing our capacities to care for animals, 08.02.2023, (https://www.bostonreview.net/articles/on-justice-for-animals/), abgerufen am 08.04.2024: „And therefore, the painless death of a fish – and I really mean painless: not line fishing, but conking with a mallet, for example – who’s had plenty of time to swim around in the wild and must have had a pretty decent life overall is not a harm to the fish, I believe. So I actually do eat fish. And I am less troubled about that than needing seventy grams of protein a day to stay healthy with my age and my exercise level. I feel happier about that than I feel about any dairy product that I might use. It’s something I wonder about, and I don’t feel happy about it, and I want us to learn more, but that’s where I am right now.“ – Ihre Annahme, dass es ein menschliches Recht (vgl. Art. Grundrechte) gebe, ausgerechnet glückliches Leben vorzeitig zu beenden, erstaunt.

    Ihre Überzeugung, dass Tieren Leben gewährt werden sollte, untergräbt Nussbaum auch mit ihrem Urteil zur tierexperimentellen Forschung.13„We should admit, […] that there will be an ineliminable residue of tragedy in the relationships between humans and animals. Research that should be allowed to promote human health and safety will continue to inflict the risk of disease, pain, and premature death on animals. As a matter of ideal entitlement theory, this research is morally bad. As a matter of current implementation, I do not favor stopping all such research immediately.“ (Nussbaum, Justice, 404). Aus ihrer philosophischen Sicht, aus der sie sich für die Achtung der Selbstzweckhaftigkeit von Tieren und entsprechende Tierrechte ausspricht, müsste Nussbaum Tierversuche als ungerecht zurückweisen. Gleichwohl nimmt sie von der praktischen Umsetzung ihres ethischen Urteils entschieden Abstand, weil ihr die Selbstzweckhaftigkeit des Menschen (doch) mehr wert zu sein scheint als die Selbstzweckhaftigkeit von Tieren. Hiermit weicht die Gerechtigkeitstheoretikerin nicht nur ihre eigenen Ansprüche an Gerechtigkeit auf, sondern lässt auch deutlich werden, dass ihr diskrepantes Würdeverständnis die vollständige Verzweckung von Tieren gerade nicht ausschließt.

    4. Evangelisch-theologische Positionen

    4.1. Zwinglis Verständnis von Speisefreiheit

    Am 9. März 1522 fand das die Zürcher Reformation initiierende Froschauer Wurstessen statt. Der Buchdrucker Ch. Froschauer oes-gnd-iconwaiting... teilte – motiviert durch Predigten H. Zwinglis oes-gnd-iconwaiting... – seinen Mitarbeitern Rauchwursträdchen aus. Allerdings geschah dies während der Fastenzeit. Das führte zum Eklat, und der Rat der Stadt rief Zwingli dazu auf, sein Verständnis evangelischer Freiheit zu verteidigen.14Zur kirchengeschichtlichen Einordung des beschriebenen Geschehens vgl. Köpf, Ulrich, Art. Reformation, in: RGG 7 (42004), 145–159, 147f. In „Von erkiesen vnd fryheit der spysen“15Der Text in seiner Originalsprache findet sich hier: Zwingli, Huldrych, Von Erkiesen und Freiheit der Speisen, mit Einl. und Kommentar, bearb. von Emil Egli und Georg Finsler, in: Huldreich Zwinglis Sämtliche Werke, Bd. I, hg. v. Emil Egli et al. (Corpus Reformatorum 88), Berlin 1905, 74–136. Für die folgenden Zitate wird diese Ausgabe verwendet, die auch den Titel übersetzt: Huldrych Zwingli, Die freie Wahl der Speisen, übers. v. Samuel Lutz, in: Ders., Schriften I, im Auftrag des Zwinglivereins hg. v. Thomas Brunnschweiler und Samuel Lutz, Zürich 1995, 13–73. (1522) führt Zwingli aus, dass kein Mensch fähig sei, sich durch eigenes Tun zu erlösen. Heil wirke Gott allein nach seinem Willen, weshalb der gebotene Fleischverzicht, durch den die Kirche Heil verheiße, gerade nicht einzuhalten sei. Dies unterstreicht Zwingli, indem er mit Paulus oes-gnd-iconwaiting... argumentiert (1Kor 10,25Alles, was auf dem Fleischmarkt verkauft wird, das esst, und prüft es nicht um des Gewissens willen.Zur Bibelstelle).16Vgl. dazu Zwingli, Speisen, 51, hier übersetzt Zwingli 1Kor 10,25. Paulus gestatte, „daß wir ohne Gewissensbisse alles essen dürfen, was in der Metzgerei verkauft wird.“17Zwingli, Speisen, 52. Vgl. auch Röm 14,2–3[2] Der eine glaubt, er dürfe alles essen. Der Schwache aber isst kein Fleisch. [3] Wer isst, der verachte den nicht, der nicht isst; und wer nicht isst, der richte den nicht, der isst; denn Gott hat ihn angenommen.Zur Bibelstelle.

    Durch Fastenvorschriften sollte sich nach Zwingli kein Christenmensch in seinem Lebensvollzug beschränken lassen. Ihre Einhaltung erwirke kein Heil, sondern beschränke vielmehr die von Gott geschenkte evangelische Freiheit. Doch gebe es einen Maßstab, an dem sich alles Tun in christlicher Freiheit auszurichten habe. Es sei dies das Gebot der Nächstenliebe18Vgl. Mt 22,37–39[37] Jesus aber sprach zu ihm: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüt« . [38] Dies ist das höchste und erste Gebot. [39] Das andere aber ist dem gleich: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« .Zur Bibelstelle; Mk 12,30–31[30] und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft« . [31] Das andre ist dies: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst« . Es ist kein anderes Gebot größer als diese.Zur Bibelstelle; Lk 10,27Er antwortete und sprach: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst“.Zur Bibelstelle., an dem auch die „Freiheit der Speisen“ zu messen sei.19„Weil wir an kein Gesetz außer an das Gesetz der Liebe gebunden sind, und weil die Freiheit der Speisen der Liebe zum Nächsten keinen Abbruch tut, vorausgesetzt daß die Freiheit richtig gelehrt und erkannt wird, sind wir den Geboten und Gesetzen der kirchlichen Überlieferung nichts schuldig.“ (Zwingli, Speisen, 72). Zu den „Nächsten“, die das Gebot zu lieben verlangt, zählt Zwingli die Tiere nicht.

    4.2. Schweitzers Pochen auf Nächstenliebe

    Nach A. Schweitzer oes-gnd-iconwaiting... sollte nicht nur der Umgang des Menschen mit seinesgleichen, sondern auch der Umgang des Menschen mit dem Tier dem Gebot der Nächstenliebe folgen. Daher kritisiert er Mitte des vergangenen Jahrhunderts gegenüber der europäischen Philosophie: „Sie kann sich nicht entschließen, den entscheidenden Schritt zu tun, das gütige Verhalten gegen die [anderen] Geschöpfe in absolut derselben Weise als eine Forderung der Ethik gelten zu lassen wie das gegen die Menschen.“20 Schweitzer, Albert, Philosophie und Tierschutzbewegung, in: Schweitzer, Albert, Die Ehrfurcht vor dem Leben. Grundtexte aus fünf Jahrzehnten, hrsg. v. Hans Walter Bähr, München 112020, 92–98, 92. Zu Schweitzers Kritik an der philosophischen Distanz gegenüber tierethischen Fragen vgl. auch Schweitzer, Albert, Kultur und Ethik. Kulturphilosophie, 2. Teil, in: Ders., Gesammelte Werke in fünf Bänden, Bd. 2, München 1974, 95–420, 362f. (in neuer deutscher Rechtschreibung wieder abgedruckt in Schweitzer, Albert, Die unvollständige Ethik, in: Ders., Ehrfurcht vor den Tieren, hrsg. v. Erich Gräßer, München 22011, 75–76, 75). Dieser Forderung stellt sich Schweitzer, der nach dem Grundsatz der „Ehrfurcht vor dem Leben“ das christliche Gebot der Liebe umzusetzen sucht. Die recht verstandene Ehrfurcht vor dem Leben verlange einen der Liebe angemessenen Umgang mit der Mitwelt.21Vgl. Schweitzer, Albert, Das große Gebot, in: Schweitzer, Albert, Ehrfurcht vor den Tieren, hrsg. v. Erich Gräßer, München 22011, 57–59, 59. Dabei weiß Schweitzer, wie herausfordernd solcher Anspruch ist, vor allem dann, wenn Leben nur auf Kosten von anderem Leben erhalten werden kann.22Vgl. Schweitzer, Philosophie, 98 und Schweitzer, Albert, Alles Leben ist heilig, in: Ders., Ehrfurcht vor den Tieren, hrsg. v. Erich Gräßer, München 22011, 25–27, 26.

    5. Praktische Herausforderungen in der Gegenwart

    Die Überzeugung, dass mit dem Gebot der Nächstenliebe die Liebe zu allen Geschöpfen gefordert ist, geht mit komplexer ethischer Urteilsfindung, mit Dilemmata und jedenfalls mit kognitiven Dissonanzen einher. Dabei scheinen immer wieder speziesistische und eigennützige Interessen, Gewohnheiten und Genussargumente menschlicher Geschöpfe die Liebesforderung gegenüber den Mitgeschöpfen zurückzusetzen.23Zu kognitiven Dissonanzen vgl. Käfer, Anne, Gottes Werk und Fleisches Lust. Tierethische Erörterungen aus evangelisch-theologischer Sicht, Baden-Baden 22024, 185–196.

    Zwar wird in unseren geographischen Breiten eine Vielzahl an Heimtieren gehalten und für diese Form der „Tierliebe“ werden kaum Kosten gescheut.24Vgl. Käfer, Werk, 175–185. Zugleich jedoch werden massenhaft Tiere zu Billigpreisen verzehrt. Dies geht nicht nur auf Kosten der gequälten Kreaturen, sondern wird neben der Mitwelt insgesamt insbesondere auch nachfolgende Menschengenerationen teuer zu stehen kommen. Dies zeigt beispielhaft ein Blick auf die Konsequenzen gegenwärtig praktizierter, nicht lebensnotwendiger Ernährung von Menschen mit massenhaft tierlichen Produkten:

    Eine solche Ernährung trägt erheblich zur Beschleunigung des Klimawandels bei. Denn schon die Tierhaltung verursacht massive Treibhausgasemissionen.25Zur Höhe der durch die Nutztierhaltung verursachten Treibhausgase vgl. Foer, Jonathan Safran, Wir sind das Klima. Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können, aus dem Englischen übers. v. Stefanie Jacobs und Jan Schönherr, Frankfurt a. M. 2021, 265: „Zwei der meistzitierten Berichte über den Beitrag der Nutztierhaltung zur Umweltkrise – Livestock’s Long Shadow (FAO 2006) und Livestock and Climate Change (Worldwatch Institute 2009) – nennen unterschiedliche Zahlen bezüglich eines der wichtigsten Datenpunkte der Umweltforschung: des Prozentsatzes der von der Viehzucht verursachten Treibhausgase. […] Livestock’s Long Shadow war der erste solche Bericht, dem größere Aufmerksamkeit zuteilwurde. Seine Feststellung, die Massentierhaltung verursache 18 Prozent der weltweiten Treibhausgase, erntete sowohl Beifall als [auch] Kritik. Hauptsächlich aber löste sie Besorgnis aus: 18 Prozent waren mehr als der gesamte Verkehrssektor zusammen. Umso erstaunlicher war es, als das Worldwatch Institute 2009 in einem eigenen Bericht behauptete, Nutztierhaltung sei sogar verantwortlich für mindestens 51 Prozent.“ Foer hält die Schätzung von 51 Prozent für überzeugender und schreibt in Foer, Klima, 274: „Damit bin ich nicht allein. Ein Bericht der UN-Vollversammlung bezog sich 2014 auf die 51 Prozent statt auf die FAO-Einschätzung. […] Auch die UNESCO […] veröffentlichte einen Bericht, der sich auf die 51 Prozent berief. Laut der UNESCO-Autoren ist die Berechnung von Worldwatch ‚ein enormer Perspektivenwechsel und belegt noch stärker als bisher den Zusammenhang von Fleischproduktion und Klimawandel‘.“ Sie verlangt zudem Flächen für den Anbau von Pflanzen, die die Tiere verzehren und in Tierfleisch umwandeln, wobei eine weit geringere Menge ausreichte, Menschen zu ernähren, äßen sie die Pflanzen selbst.

    Große Teile des Regenwaldes werden vernichtet, um auf den gerodeten Flächen Soja als Futtermittel für Tiere anzubauen. Beachtliche Teile dieses Sojas werden nach Europa transferiert, um damit auch in Deutschland Schweine und Hühner zu mästen, die dann von Menschen gegessen werden. Durch die Rodung des Regenwaldes wird die ohnehin bereits immense Menge an freigesetztem CO2 noch vergrößert. Zugleich kann durch die verbrannten Bäume das klimaschädliche Gas nicht mehr gebunden werden.26Vgl. Käfer, Werk, 196–203.

    Das Aussterben zahlreicher Tierarten nimmt zu, weil ihnen mit der Rodung von Wäldern ihr Lebensraum genommen ist.27Vgl. zu diesen Zusammenhängen Benton, Tim G. et al., Food System Impacts on Biodiversity Loss. Three Levers for Food System Transformation in Support of Nature, hg. v. Chatham House, London 2021, v. a. 39: Hier wird für die Bedeutung des Tropischen Regenwaldes festgehalten: „[T]ropical rainforests and tropical peatlands – these types of ecosystems are species-rich, contain unique species and store large amounts of carbon.“ Aber auch Menschen werden aus diesem Lebensraum vertrieben, und zukünftige Menschengenerationen werden unter dem beschleunigten Klimawandel erheblich leiden.

    Frieden auf dem Teller? Ernährung zwischen Ethik und Ökologie (Fokus Frieden, Friedensakademie Rheinland-Pfalz), 27.12.2024.

    Der skizzierte Umgang mit der Mitwelt aus eigennützigem Interesse gegenwärtiger Menschen an (übermäßigem) Fleischverzehr kann mit der Aufforderung zur Nächstenliebe nicht vereinbart werden.28Vgl. dazu Luther, Martin, Von weltlicher Oberkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei, in: WA 11, 229–281, 272: „[V]erflucht und verdampt ist alles leben, das yhm selb zu nutz und zu gutt gelebt und gesucht wirt, verflucht alle werck, die nit ynn der liebe gehen. Denn aber gehen sie ynn der liebe, wenn sie nicht auff eygen lust, nutz, ehre, gemach und heyl, sondern auff anderer nutz, ehre und heyl gericht sind von gantzem hertzen.“ Aus christlicher Sicht sollte daher die geforderte Liebe gegenüber allen Geschöpfen bzw. die Achtung ihrer Würde, die die vollständige Verzweckung der Mitgeschöpfe verwehrte,29Der ewigen und allmächtigen Liebe des Schöpfers verdankt sich das Dasein und Leben sämtlicher Kreaturen. Durch seine Liebe sind sie allesamt gewürdigt. Sie sind mit unantastbarer Würde ausgezeichnet, da sie der allem menschlichen Tun vorangehenden Liebe Gottes gewürdigt sind. Vgl. hierzu ausführlich in Käfer, Gottes Werk, v. a. Abschnitt II.2.2.2., 50–57 und Abschnitt IV.7., 148–160. in Gestalt von Mitweltrechten/Rechten (vgl. Art. Grundrechte) der Natur Niederschlag finden.30Zur Notwendigkeit und Realisierbarkeit von Rechten der Natur vgl. Stone, Christopher D., Should Trees have Standing? Toward Legal Rights for Natural Objects, in: Southern California Law Review 45 (1972), 450–501. Vgl. auch Käfer, Anne, Von Menschen und Tieren. Das Recht der tierischen Natur aus vernünftigem Grund, in: Gräb-Schmidt, Elisabeth (Hrsg.), Konzeptionen der Natur. Zum Naturverständnis in gegenwärtigen Positionen der Theologie und Philosophie, Leipzig 2015, 97–117. Gegen Tierrechte argumentiert Huber, Wolfgang, Gerechtigkeit und Recht. Grundlinien christlicher Rechtsethik, Gütersloh 32006, 375–381. Dies wäre ganz im Sinne der evangelischen Freiheit, in der Menschen durch den Kreuzestod Christi erlöst sind von aller selbstbezogenen Sorge um das eigene Heil und also frei sind zur Sorge für Tiere und die Mitwelt insgesamt.

    Bibliographical Entries

    Enxing, Julia, Und Gott sah, dass es schlecht war. Warum uns der christliche Glaube verpflichtet, die Schöpfung zu bewahren, München 2022.

    Käfer, Anne, Gottes Werk und Fleisches Lust. Tierethische Erörterungen aus evangelisch-theologischer Sicht (Alber Theologie 1), Baden-Baden 22024.

    McLaughlin, Ryan, Art. Nonhuman Animals in Christian Theology, in: St Andrews Encyclopaedia of Theology. Edited by Brendan N. Wolfe et al., 2023 (https://www.saet.ac.uk/Christianity/NonhumanAnimalsinChristianTheology), abgerufen am 08.03.2025.

    Mügge, Cornelia, Gewalt und Tierrechte in der theologischen Ethik. Eine kritische Analyse, in: Horstmann, Simone (Hrsg.), Religiöse Gewalt an Tieren. Interdisziplinäre Diagnosen zum Verhältnis von Religion, Speziesismus und Gewalt, Bielefeld 2021, 225–249.

    Remele, Kurt, Die Würde des Tieres ist unantastbar. Eine neue christliche Tierethik, Kevelaer 2016.

    Singer, Peter, Animal Liberation, New York et al. 2009.

    Vogt, Markus, Christliche Umweltethik. Grundlagen und zentrale Herausforderungen, Freiburg 2021.

    Wustmans, Clemens/Peuckmann, Niklas (Hrsg.), Räume der Mensch-Tier-Beziehung(en). Öffentliche Theologie im interdisziplinären Gespräch, Leipzig 2020.

    Notes

    • 1
      Vgl. Hickman, Cleveland P. et al. (Hrsg.), Zoologie, aus dem Amerikanischen übers. v. Thomas Lazar, deutsche Bearbeitung v. Wolf-Michael Weber, München et al. 132008, 931.
    • 2
      Zum klimawandelbedingten Artensterben vgl. Convention on the Conservation of Migratory Species of Wild Animals (CMS), Landmark UN Report Reveals Shocking State of Wildlife: The World’s Migratory Species of Animals Are in Decline, and the Global Extinction Risk Is Increasing (https://www.cms.int/en/news/press-release-landmark-report-state-world-migratory-species), abgerufen am 08.04.2024. Zur Bedrohung der menschlichen Spezies durch das von Menschen verschuldete Artensterben vgl. Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO), FAO’s Global Action on Pollination Services for Sustainable Agriculture. Pollination & human livelihoods, (https://www.fao.org/pollination/en), abgerufen am 08.04.2024.
    • 3
      White, Lynn, The Historical Roots of Our Ecological Crisis, in: Science 155 (1967) 3767, 1203–1207, 1207.
    • 4
      Vgl. Plutarch, On the Eating of the Flesh I, in: Ders., Moralia XII, ins Englische übers. v. Harold Cherniss und William C. Helmbold (LCL 406), Cambridge/London 1957, 540–561. Deutsche Übersetzung: Plutarch, Darf man Tiere essen? Gedanken aus der Antike, aus dem Griech. v. Marion Giebel (Reclams Universalbibliothek 19313), Stuttgart 32015, 87–95.
    • 5
      Ihre Position entwickelt sie u. a. in Auseinandersetzung mit der Gerechtigkeitsethik von John Rawls und mit Peter Singers präferenzutilitaristischer Tierethik, die gegen Speziesismus argumentiert und die einflussreich in „Animal Liberation“ (1975) darlegt ist.
    • 6
      Nussbaum, Martha C., Frontiers of Justice. Disability, Nationality, Species Membership, Cambridge 2007, 383.
    • 7
      Nussbaum, Martha C., Justice for Animals. Our Collective Responsibility, New York et al. 2022, 96.
    • 8
      Nussbaum bezieht sich zu diesem Zweck auf den von ihr und Amartya Sen entwickelten „capabilities approach“.
    • 9
      Vgl. Nussbaum, Frontiers, 94: „The capabilities approach does not urge uncritical nature-worship: instead, it urges evaluation of the basic powers of a creature, asking which ones are of central importance for its good. This is a difficult job.“ Vgl. auch Nussbaum, Frontiers, 337.351; unter „capabilities“ sind Fähigkeiten zu verstehen, zu deren Anwendung Tiere befähigt sein sollen. Sind sie beispielsweise zu sozialer Gemeinschaft unter ihresgleichen fähig, sollen sie hierzu auch befähigt werden. Zur rechtlichen Absicherung vgl. Nussbaum, Frontiers, 398f.
    • 10
      Vgl. Nussbaum, Frontiers, 392–401.
    • 11
      Vgl. Nussbaum, Frontiers, 393.
    • 12
      Vgl. dazu Nussbaum, Martha C./Bendik-Keymer, Jeremy, On Justice for Animals. Martha Nussbaum on her new book—and why a full development of our humanity requires developing our capacities to care for animals, 08.02.2023, (https://www.bostonreview.net/articles/on-justice-for-animals/), abgerufen am 08.04.2024: „And therefore, the painless death of a fish – and I really mean painless: not line fishing, but conking with a mallet, for example – who’s had plenty of time to swim around in the wild and must have had a pretty decent life overall is not a harm to the fish, I believe. So I actually do eat fish. And I am less troubled about that than needing seventy grams of protein a day to stay healthy with my age and my exercise level. I feel happier about that than I feel about any dairy product that I might use. It’s something I wonder about, and I don’t feel happy about it, and I want us to learn more, but that’s where I am right now.“
    • 13
      „We should admit, […] that there will be an ineliminable residue of tragedy in the relationships between humans and animals. Research that should be allowed to promote human health and safety will continue to inflict the risk of disease, pain, and premature death on animals. As a matter of ideal entitlement theory, this research is morally bad. As a matter of current implementation, I do not favor stopping all such research immediately.“ (Nussbaum, Justice, 404).
    • 14
      Zur kirchengeschichtlichen Einordung des beschriebenen Geschehens vgl. Köpf, Ulrich, Art. Reformation, in: RGG 7 (42004), 145–159, 147f.
    • 15
      Der Text in seiner Originalsprache findet sich hier: Zwingli, Huldrych, Von Erkiesen und Freiheit der Speisen, mit Einl. und Kommentar, bearb. von Emil Egli und Georg Finsler, in: Huldreich Zwinglis Sämtliche Werke, Bd. I, hg. v. Emil Egli et al. (Corpus Reformatorum 88), Berlin 1905, 74–136. Für die folgenden Zitate wird diese Ausgabe verwendet, die auch den Titel übersetzt: Huldrych Zwingli, Die freie Wahl der Speisen, übers. v. Samuel Lutz, in: Ders., Schriften I, im Auftrag des Zwinglivereins hg. v. Thomas Brunnschweiler und Samuel Lutz, Zürich 1995, 13–73.
    • 16
      Vgl. dazu Zwingli, Speisen, 51, hier übersetzt Zwingli 1Kor 10,25.
    • 17
      Zwingli, Speisen, 52. Vgl. auch Röm 14,2–3.
    • 18
    • 19
      „Weil wir an kein Gesetz außer an das Gesetz der Liebe gebunden sind, und weil die Freiheit der Speisen der Liebe zum Nächsten keinen Abbruch tut, vorausgesetzt daß die Freiheit richtig gelehrt und erkannt wird, sind wir den Geboten und Gesetzen der kirchlichen Überlieferung nichts schuldig.“ (Zwingli, Speisen, 72).
    • 20
      Schweitzer, Albert, Philosophie und Tierschutzbewegung, in: Schweitzer, Albert, Die Ehrfurcht vor dem Leben. Grundtexte aus fünf Jahrzehnten, hrsg. v. Hans Walter Bähr, München 112020, 92–98, 92. Zu Schweitzers Kritik an der philosophischen Distanz gegenüber tierethischen Fragen vgl. auch Schweitzer, Albert, Kultur und Ethik. Kulturphilosophie, 2. Teil, in: Ders., Gesammelte Werke in fünf Bänden, Bd. 2, München 1974, 95–420, 362f. (in neuer deutscher Rechtschreibung wieder abgedruckt in Schweitzer, Albert, Die unvollständige Ethik, in: Ders., Ehrfurcht vor den Tieren, hrsg. v. Erich Gräßer, München 22011, 75–76, 75).
    • 21
      Vgl. Schweitzer, Albert, Das große Gebot, in: Schweitzer, Albert, Ehrfurcht vor den Tieren, hrsg. v. Erich Gräßer, München 22011, 57–59, 59.
    • 22
      Vgl. Schweitzer, Philosophie, 98 und Schweitzer, Albert, Alles Leben ist heilig, in: Ders., Ehrfurcht vor den Tieren, hrsg. v. Erich Gräßer, München 22011, 25–27, 26.
    • 23
      Zu kognitiven Dissonanzen vgl. Käfer, Anne, Gottes Werk und Fleisches Lust. Tierethische Erörterungen aus evangelisch-theologischer Sicht, Baden-Baden 22024, 185–196.
    • 24
      Vgl. Käfer, Werk, 175–185.
    • 25
      Zur Höhe der durch die Nutztierhaltung verursachten Treibhausgase vgl. Foer, Jonathan Safran, Wir sind das Klima. Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können, aus dem Englischen übers. v. Stefanie Jacobs und Jan Schönherr, Frankfurt a. M. 2021, 265: „Zwei der meistzitierten Berichte über den Beitrag der Nutztierhaltung zur Umweltkrise – Livestock’s Long Shadow (FAO 2006) und Livestock and Climate Change (Worldwatch Institute 2009) – nennen unterschiedliche Zahlen bezüglich eines der wichtigsten Datenpunkte der Umweltforschung: des Prozentsatzes der von der Viehzucht verursachten Treibhausgase. […] Livestock’s Long Shadow war der erste solche Bericht, dem größere Aufmerksamkeit zuteilwurde. Seine Feststellung, die Massentierhaltung verursache 18 Prozent der weltweiten Treibhausgase, erntete sowohl Beifall als [auch] Kritik. Hauptsächlich aber löste sie Besorgnis aus: 18 Prozent waren mehr als der gesamte Verkehrssektor zusammen. Umso erstaunlicher war es, als das Worldwatch Institute 2009 in einem eigenen Bericht behauptete, Nutztierhaltung sei sogar verantwortlich für mindestens 51 Prozent.“ Foer hält die Schätzung von 51 Prozent für überzeugender und schreibt in Foer, Klima, 274: „Damit bin ich nicht allein. Ein Bericht der UN-Vollversammlung bezog sich 2014 auf die 51 Prozent statt auf die FAO-Einschätzung. […] Auch die UNESCO […] veröffentlichte einen Bericht, der sich auf die 51 Prozent berief. Laut der UNESCO-Autoren ist die Berechnung von Worldwatch ‚ein enormer Perspektivenwechsel und belegt noch stärker als bisher den Zusammenhang von Fleischproduktion und Klimawandel‘.“
    • 26
      Vgl. Käfer, Werk, 196–203.
    • 27
      Vgl. zu diesen Zusammenhängen Benton, Tim G. et al., Food System Impacts on Biodiversity Loss. Three Levers for Food System Transformation in Support of Nature, hg. v. Chatham House, London 2021, v. a. 39: Hier wird für die Bedeutung des Tropischen Regenwaldes festgehalten: „[T]ropical rainforests and tropical peatlands – these types of ecosystems are species-rich, contain unique species and store large amounts of carbon.“
    • 28
      Vgl. dazu Luther, Martin, Von weltlicher Oberkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei, in: WA 11, 229–281, 272: „[V]erflucht und verdampt ist alles leben, das yhm selb zu nutz und zu gutt gelebt und gesucht wirt, verflucht alle werck, die nit ynn der liebe gehen. Denn aber gehen sie ynn der liebe, wenn sie nicht auff eygen lust, nutz, ehre, gemach und heyl, sondern auff anderer nutz, ehre und heyl gericht sind von gantzem hertzen.“
    • 29
      Der ewigen und allmächtigen Liebe des Schöpfers verdankt sich das Dasein und Leben sämtlicher Kreaturen. Durch seine Liebe sind sie allesamt gewürdigt. Sie sind mit unantastbarer Würde ausgezeichnet, da sie der allem menschlichen Tun vorangehenden Liebe Gottes gewürdigt sind. Vgl. hierzu ausführlich in Käfer, Gottes Werk, v. a. Abschnitt II.2.2.2., 50–57 und Abschnitt IV.7., 148–160.
    • 30
      Zur Notwendigkeit und Realisierbarkeit von Rechten der Natur vgl. Stone, Christopher D., Should Trees have Standing? Toward Legal Rights for Natural Objects, in: Southern California Law Review 45 (1972), 450–501. Vgl. auch Käfer, Anne, Von Menschen und Tieren. Das Recht der tierischen Natur aus vernünftigem Grund, in: Gräb-Schmidt, Elisabeth (Hrsg.), Konzeptionen der Natur. Zum Naturverständnis in gegenwärtigen Positionen der Theologie und Philosophie, Leipzig 2015, 97–117. Gegen Tierrechte argumentiert Huber, Wolfgang, Gerechtigkeit und Recht. Grundlinien christlicher Rechtsethik, Gütersloh 32006, 375–381.
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