1. Vertreter:innen des Panentheismus
Das Wort „Panentheismus“ ist ein Neologismus des Deutschen Idealisten Karl Christian Friedrich Krause (1781–1832) und leitet sich etymologisch aus dem Griechischen ab. Es lässt sich als „Allingottlehre“ übersetzen. Obwohl Krause das Wort 1828 in seinen „Vorlesungen über das System der Philosophie“ in die philosophisch-theologische Debatte eingeführt hat, und damit einer ganzen Forschungsrichtung philosophisch-theologischen Reflektierens einen Namen gegeben hat, lassen sich bereits in den Veden und Upanischaden der indischen Philosophie sowie in der sich daran anschließenden Bhagavadgita Elemente einer Allingottlehre finden. Spuren panentheistischen Denkens lassen sich beispielsweise zudem bei Laozi
(4. Jahrhundert v. Chr.), bei Platon
(428–348 v. Chr.), im Johannesevangeliums (90–100 n. Chr.), bei Origenes
(185–254 n.Chr.), Plotin
(205–270 n. Chr.), Shankara
(788–820 n. Chr.), Ramanuja
(1077–1157 n. Chr.), Meister Eckhart (1260–1328 n. Chr.), Marguerite Porète
(1250/60–1310 n. Chr.), Nikolaus von Kues
(1401–1461 n. Chr.), Giordano Bruno
(1548–1600 n. Chr.), Jakob Böhme
(1575–1624 n. Chr.), Spinoza
(1632–1677 n. Chr.), bei den Cambridge Platonikern und in der klassischen Deutschen Philosophie zusätzlich zu Krause bei Fichte
, Hegel
, Schelling
und Schopenhauer
ausmachen. In der gegenwärtigen Debatte verteidigen unter anderem Klaus Müller
, Philip Clayton
, Loriliai Biernacki
, Catherine Keller
und Sallie McFague
panentheistische Positionen.
2. Die These des Panentheismus
Der Panentheismus ist eine allumfassende These über die metaphysische Grundstruktur der gesamten Wirklichkeit. Die These des Panentheismus besagt, dass die Existenz und das Wesen der in jeder Hinsicht endlichen und bedingten Welt ontologisch in Gott zu verorten sind, aber Existenz und Wesen des unendlichen und unbedingten Gottes nicht auf Existenz und Wesen der Welt reduziert werden können. Die Welt ist aus panentheistischer Sicht ein (metaphysischer) Teil Gottes, woraus folgt, dass der Panentheismus eine mereologische These (Mereologie: Lehre vom Ganzen und seinen Teilen) über die metaphysische Grundstruktur der Wirklichkeit ist, der zufolge Gott als das eine unendliche und unbedingte Wesen das Ganze der Wirklichkeit ist, welche alles endlich Seiende als (metaphysischen) Teil in sich hält. Als Ganzes der Wirklichkeit kommt Gott aus panentheistischer Perspektive ein konstitutiver Vorrang vor seinen metaphysischen Teilen zu, da Gott mehr ist als die Summe seiner (metaphysischen) Teile und die Teile ihrer Existenz und ihrem Wesen nach vollständig in und durch Gott als Ganzem der Wirklichkeit ontologisch konstituiert sind. Der Panentheismus ist somit eine monistische These, da im eigentlichen Sinne außer Gott nichts existiert und die Welt aufgrund ihrer wesensgemäßen Teilhabe am göttlichen Sein selbst als göttlich zu qualifizieren ist. Obwohl der Panentheismus dem göttlichen Ganzen einen ontologischen und konstitutiven Vorrang gegenüber seinen Teilen zuspricht, so ist es ein Charakteristikum panentheistischen Denkens, dass das Ganze auch durch seine Teile mitbestimmt wird. Aufgrund dessen, dass die Welt im Panentheismus als ein das göttliche Geschick mitbestimmender Teil aufgefasst wird, eignet sich der Begriff des Organismus ebenfalls zur Versinnbildlichung der panentheistischen These: Gott ist ein unendlicher und unbedingter Organismus und die in jeder Hinsicht endliche Welt ist ein (metaphysischer) Teil dieses Organismus, der als solcher zwar in seinem Wesen und seiner Existenz durch Gott bestimmt wird, aber selbst auch Rückwirkungen auf den Organismus als Ganzes haben kann.
3. Argumente für den Panentheismus
Da sowohl die Existenz der Welt als solche als auch das Wesen der Welt aus philosophischer Sicht erklärungsbedürftig sind, folgt aus panentheistischer Sicht zunächst, dass es eine letztbegründende Ursache für das Sein und So-Sein der Welt geben muss. Da die Welt der Inbegriff alles Endlichen und Bedingten ist – alles in der Welt ist endlich insofern als es etwas Anderes nicht ist; und bedingt, da es nicht durch sich selbst ist, was es ist – folgt, dass die letztbegründende Ursache der Welt selbst ein unendliches und unbedingtes Wesen sein muss, da es ansonsten nicht als Explanans der Beschaffenheit der Welt fungieren könnte. Die Erklärung der Welt kann nur ein unendliches und unbedingtes Wesen sein.
Wenn die Welt aber der Inbegriff alles Endlichen und Bedingten ist, und wenn Gott als das eine unendliche und unbedingte Wesen gedacht wird, dann ist die Frage nach dem Verhältnis zwischen Gott und Welt die Frage danach, wie sich ein unbedingtes und unendliches Wesen zur endlichen und bedingten Welt verhält.
Das Kernstück der Argumentation für die Wahrheit des Panentheismus besteht vor diesem Hintergrund in der Prämisse, dass ein allumfassendes Unendliches und Unbedingtes nicht in einem externen Verhältnis stehen kann zu etwas Endlichem und Bedingtem, da es als in dieser externen Relation stehend selbst ein Endliches und Bedingtes sein würde und damit nicht länger die erste und letzte Ursache des Endlichen und Bedingten sein könnte, als die es identifiziert worden ist.
Wenn aber das Verhältnis zwischen Gott und Welt keine externe Relation sein kann, dann muss die Welt ein (metaphysischer) Teil Gottes sein und zum göttlichen Sein des einen unbedingten und unendlichen Wesens selbst gehören.
4. Panentheismus, Pantheismus, klassischer Theismus
Der Panentheismus unterscheidet sich von anderen theistischen Thesen über die metaphysische Grundstruktur der gesamten Wirklichkeit dadurch, dass er Existenz und Wesen Gottes ontologisch weder strikt von Existenz und Wesen der Welt trennt, noch die Existenz und das Wesen Gottes ontologisch mit der Existenz und dem Wesen der Welt identifiziert:
Während auf der einen Seite der klassische Theismus der Hochscholastik von einer strikten ontologischen Trennung von Gott und Welt ausgeht, und Gott durch die Erschaffung der Welt (vgl. Art. Schöpfung) ex nihilo als ens perfectissimum in keiner Weise einer Veränderung unterliegen kann, geht der Panentheismus davon aus, dass die Welt, als zum göttlichen Organismus gehörend, sensu stricto nicht erschaffen ist, sondern ein wesentlicher Teil Gottes selbst ist, der das göttliche Wesen als Ganzes beeinflussen kann.
Während auf der anderen Seite der Pantheismus eine Identifikation der Welt mit Gott behauptet und die Welt als in und durch sich selbst philosophisch letztbegründet versteht, geht der Panentheismus mit dem klassischen Theismus davon aus, dass die Welt als Inbegriff der Endlichkeit auf eine letzte metaphysische Ursache ihrer Existenz und ihres Wesens verweist, die nicht mit dem von ihr Verursachten identisch sein kann.
5. Lebensweltliche Relevanz des Panentheismus
Die lebensweltliche Relevanz des Panentheismus besteht darin, dass er als theoretische Position innerhalb der Metaphysik geeignet ist, einen geistigen Habitus praktischen Handelns auszuprägen, der weitgehende Konsequenzen für alle Bereiche der existentiellen Daseinsverortung des Menschen mit sich bringt.
Da aus panentheistischer Perspektive keine Unterscheidung zwischen einem sakralen göttlichen Sein und einer profanen Welt getroffen werden kann – die Welt selbst ist Teil des göttlichen Wesens und Seins – folgt zunächst, dass das gesamte Wirklichkeitsgeschehen und damit auch die gesamte Geschichte der uns zugänglichen empirischen Wirklichkeit als (metaphysischer) Teil der einen allumfassenden Wirklichkeit und der einen Geschichte Gottes aufgefasst werden muss, da außer Gott nichts existiert und alles endliche als innerer Teil Gottes das Ganze des göttlichen Seins mitbestimmt.
Diese Erhebung der empirischen Wirklichkeit samt ihrer Geschichte in den Stand göttlichen Seins ermöglicht eine tiefgreifende Veränderung der Perspektive auf (a) die Stellung des Menschen im Sein sowie auf (b) den axiologischen Status der die Lebenswelt des Menschen konstituierenden Natur.
- Der Mensch selbst ist aus panentheistischer Sicht ein zur Verantwortung gerufener Teil des göttlichen Seins, durch dessen ethisches Handeln das eine organisch-göttliche Sein wesentlich mitbestimmt wird. Der Mensch ist im Grunde seiner Existenz berufen, Arbeit am Bau des Tempels der Humanität zu verrichten, um die civitas dei auf Erden zu verwirklichen und die Welt zu einem harmonischen Abbild des göttlichen Seins zu gestalten.
- Die Natur selbst und alles in der Natur hat Teil am göttlichen Sein und verfügt daher über einen intrinsischen Wert, der naturrechtlich dem Handeln des Menschen Grenzen setzt: Der Mensch darf die Natur als Teil des göttlichen Seins nicht ausbeuten, Tiere nicht quälen oder unnötigen Belastungen aussetzen. In Anbetracht der ökologischen Krisen unserer Zeit liefert der Panentheismus somit eine metaphysische Untermauerung des intrinsischen Wertes der Natur und ihrer Ökosysteme (vgl. Klimaethik).
6. Kritik am Panentheismus
Kritik am Panentheismus bezieht sich in erster Linie auf die semantische Unklarheit des Wortes „in“, das den für panentheistisches Denken zentralen Begriff der Spezifizierung des Gott-Welt-Verhältnisses ausdrückt und den Panentheismus vom klassischen Theismus wie Pantheismus unterscheidet. Die Kritik zielt darauf, dass keine hinreichend eindeutige Bedeutung des Inneseins der Welt in Gott spezifiziert werden kann, welche den Panentheismus als eigenständiges metaphysisches Paradigma ausweisen könnte.
Neben diesem Argument wird oft auch das Kernstück der Argumentation für die Wahrheit des Panentheismus angezweifelt, da die panentheistische Dialektik zwischen Unendlichkeit und Endlichkeit keineswegs alternativlos sei und sich ein philosophisch adäquater Begriff göttlicher Unendlichkeit und Unbedingtheit spezifizieren ließe, der mit einer strikten ontologischen Trennung von Gott und Welt konsistent sei.
Schlussendlich wird spezifisch von christlicher Seite eingewendet, dass der Panentheismus zu der Schlussfolgerung führe, dass Böses, Leid und Übel qua weltlichen Geschehens Teil des göttlichen Seins sind, und damit Gott nicht länger als absolut heiliger und verehrungswürdiger Grund des Seins verstanden werden kann.
7. Interkulturelle und -religiöse Chancen panentheistischen Denkens
Für interkulturelle und interreligiöse Diskurse erweist sich der Panentheismus als Forschungsprogramm metaphysischer Seinserhellung aus meiner Perspektive besonders fruchtbar: Zum einen ist der Panentheismus als Rahmenontologie eine rein philosophisch motivierte Position über die Grundstruktur der Wirklichkeit, die im Zuge monistischen Denkens die Einheit von Einheit und Vielheit im göttlichen Sein zum Ausdruck bringt. Zum anderen ist der Panentheismus als solcher nicht antidogmatisch, sondern adogmatisch: Panentheistisches Denken per se verpflichtet auf keinen spezifischen religiösen Unterbau, ist aber anschlussfähig an ganz unterschiedliche religiöse Traditionen: So sind sowohl zahlreichen indischen Traditionen (Shivaismus, Bhedābheda etc.) als auch den abrahamitischen Religionen panentheistische Denkformen immer dort ins Stammbuch geschrieben, wo ein Umschlag göttlicher Transzendenz in göttliche Immanenz zu verzeichnen ist, ohne dass die göttliche Transzendenz restlos in ihrer Immanenz aufgeht. Damit trägt der Panentheismus zu einer erhöhten Sprachfähigkeit im interreligiösen wie interkulturellen Kontext bei.