Evolution und Theologie

Inhaltsverzeichnis

    1. Basisinformationen

    Die biologische Evolutionstheorie begreift die Entstehung und Weiterentwicklung von Organismen als andauernden Prozess im Laufe der Geschichte. Dies forderte die Theologie heraus, die eigenen Verständnisse von Schöpfung und damit zusammenhängende Fragen der Gotteslehre und Anthropologie zu reflektieren. Hintergrund dieser Reflexionen ist die Frage nach dem grundsätzlichen Verhältnis zwischen Theologie und Naturwissenschaft. Evolution und Schöpfung werden unterschiedlich in Beziehung zueinander gesetzt – von der Auffassung ihrer Unvereinbarkeit bis hin zur Vorstellung einer Synthese beider Konzepte.

    Nicht nur die Theorie der natürlichen Entstehung von Arten, sondern auch die Idee einer sich natürlich erklärenden Evolution von Religion wurde und wird immer wieder als Anfrage an Religion und Theologie verstanden.

    2. Ausgangspunkt: Die Evolutionstheorie

    Im Jahr 1859 erschien mit Charles Darwins oes-gnd-iconwaiting... On the Origin of Species by Means of Natural Selection die erste Auflage seiner wirkmächtig gewordenen Theorie über die Entstehung von Tier- und Pflanzenarten durch natürliche Selektionsprozesse.1Die grundsätzliche Vorstellung einer allmählichen Entwicklung von Lebewesen zu immer höheren Stufen entstand bereits seit dem 17. Jahrhundert; hier ist insbesondere auf die Arbeiten von Jean-Baptiste Lamarck oes-gnd-iconwaiting... zu verweisen, vgl. Rensch, Bernhard, Art. Evolutionstheorie, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie online (https://doi.org/10.24894/HWPh.995), abgerufen am 07.10.2025. In späteren Auflagen verwendete Darwin selbst auch den Begriff „Evolution“. Im Zentrum stehen die Prinzipien der Variation und der Selektion: In einem geschichtlichen Prozess entstehen jeweils zahlreiche unterschiedliche Lebewesen einer Art, wobei besser angepasste Individuen bessere Überlebens- und Fortpflanzungschancen haben. Seit Darwins Entwurf wurde die grundsätzliche Funktionsweise in weiteren Arbeiten bestätigt. Einzelheiten wurden weiterentwickelt und ausgearbeitet, besonders bedeutend war die spätere Entdeckung genetischer Codes und deren Weitergabe.2Vgl. Evers, Dirk, Evolution und Schöpfung. Grundsätzliche Überlegungen für einen Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften, in: Oliver, Roland (Hrsg.), Kirche im Dialog 2. Wissenschaft, Kunst, Medien, Mannheim 2003, 17–38, 22. Die Verbindung von Darwinismus und Genetik wird auch als „synthetische Evolutionstheorie“3Vgl. Zrzavý, Jan/Burda, Hynek/Storch, David/Begall, Sabine/Mihulka, Stanislav, Evolution. Ein Lese-Lehrbuch, Berlin/Heidelberg 32024, 96. bezeichnet, entsprechend ist Evolution zu verstehen als „Veränderung der genetischen Zusammensetzungen von Populationen mit der Zeit“.4Sadava, David/Hillis, David M./Heller, H. Craig/Hacker, Sally D., Prozesse der Evolution, in: Markl, Jürgen (Hrsg.), Purves Biologie, Berlin/Heidelberg 102019 (https://doi.org/10.1007/978-3-662-58172-8_21), 607–641, 608. Die Ungerichtetheit der Mutationen führt einerseits zu nicht lebensförderlichen Veränderungen. Folglich gibt es im Laufe der Evolution Entwicklungen, die in Sackgassen enden. Andererseits führt die Vielzahl an Mutationen auch zu einer großen Variabilität und damit zur besseren Anpassungsfähigkeit einzelner an die jeweiligen Lebensbedingungen.5Vgl. Evers, Evolution, 23. Entsprechend wird die Rolle des Zufalls für die Entwicklung von Lebewesen als groß angesehen.6Vgl. Evers, Evolution, 24. Die Evolution ist als komplexer Prozess zu verstehen, in den sich verändernde Umwelten und sich verändernde Individuen und Populationen verwickelt sind. Die bisher erfolgte Evolution ist dabei Bedingung für die weitere Evolution.7Vgl. Evers, Evolution, 25. Vgl. für einen kurzen Überblick über die Evolution: Zrzavý et al., Evolution, 94–99; eine Einführung in Lehrbuch-Form für Studierende der Naturwissenschaften bietet Sadava et al, Prozesse.

    Die genauen Prozesse der Evolution werden naturwissenschaftlich auch gegenwärtig weiter erforscht, so versucht etwa der Biologe Ralf Sommer oes-gnd-iconwaiting... die Entstehung von Neuerungen im Laufe der Evolution präziser zu verstehen: Evolution – Schlüsselmomente der Evolution (MaxPlanckSociety), 09.03.2015.

    3. Problemhorizont

    Angesichts der Evolutionstheorie wurde seit dem 19. Jh. insbesondere die Frage nach der Bedeutung der Vorstellung der göttlichen Schöpfung der Welt – im Sinne der Entwicklung der Lebewesen – angefragt.8In der Evolutionstheorie geht es nicht um den Ursprung der Welt oder des Lebens, sondern um die Entwicklung des Lebens – hierdurch wurden jedoch Fragen zur Entwicklung, und auch zur Entstehung von Lebewesen aufgeworfen, die im Kontext der Schöpfungslehre vertreten wurden. Vgl. zu Darwins eigener Einstellung hierzu Gregersen, Niels Henrik, Art. Evolutionary Theology, in: Encyclopedia of Sciences and Religions 2 (2013), 809–817, 810f. Zudem stellt die Evolutionstheorie durch die hohe Bedeutung des Zufalls die Vorsehungslehre (auch: Prädestinationslehre) in Frage.9Vgl. Evers, Evolution, 28. Somit geht es um grundlegende Fragen der Gottesvorstellung. Weitere Anfragen an die Theologie beziehen sich auf den Verlust der zentralen Stellung des Menschen sowie auf ethische Konzepte wie Mitmenschlichkeit angesichts der Durchsetzung des Lebenstüchtigeren.10Vgl. Theißen, Gerd, Evolution, in: Wabbel, Tobias Daniel (Hrsg.), Im Anfang war kein Gott. Naturwissenschaftliche und theologische Perspektiven, Düsseldorf 2004, 147–158, 149.

    Insbesondere teleologische Argumentationen, die aus der Komplexität der Welt auf einen Schöpfer dahinter schließen,11Vgl. Breul, Martin, Schöpfung, Paderborn 2023, 88f. lassen sich von der Evolutionstheorie her sowie von theologischer Perspektive aus kritisch anfragen.12Besonders prominent ist die Argumentation des Theologen Willam Paley oes-gnd-iconwaiting... (1743–1805), der eine Anpassung von Lebewesen an ihre Umwelt annahm, aber die Arten für konstant hielt, vgl. Theißen, Evolution. Zum Einfluss Paleys auf Darwin oes-gnd-iconwaiting... vgl. kurz Lauster, Jörg, Die Verzauberung der Welt. Eine Kulturgeschichte des Christentums, München 2014, 559–565. Entsprechend werden folgende Einwände vorgebracht:

    1. Die Zweckmäßigkeit des Universums sei mit Blick auf Krankheiten und Naturkatastrophen sowie auf tote Enden im Laufe der Evolution fraglich.
    2. Bei einem Verständnis der Schöpfung als Theorie der Weltentstehung liege eine Kategorien-Vermischung vor.
    3. Häufig seien teleologische Erklärungen auf Lücken im naturwissenschaftlichen System angewiesen.
    4. Die Argumentation führe auf ein reduktionistisches Gottesbild hinaus, das die Idee der fortdauernden Schöpfung (creatio continua) vernachlässige oder Gottes fortlaufendes Eingreifen als Konkurrenz zu natürlichen Ursachen sehe.13Vgl. Breul, Schöpfung, 90–93.

    Auch gegenwärtig ist der wissenschaftsbasierte Naturalismus in vielen westlichen Gesellschaften weiterhin prägend,14Vgl. Breul, Schöpfung, 80. indes gibt es weiterhin religiöse Gruppen oder Individuen, die einen Anti-Evolutionismus vertreten. Entsprechend kommen Diskussionen um die Verhältnisbestimmung von Evolution und Theologie sowie um den Umgang mit den jeweils anderen Positionen immer wieder auf. Doch auch für theologische Entwürfe, die sich nicht auf einer Seite der Extrempositionen verorten, ist es eine Aufgabe, das Verhältnis von Schöpfung und Entwicklung angemessen zu bestimmen.

    4. Verhältnisbestimmung von Schöpfung und Evolution

    Ian Barbour oes-gnd-iconwaiting... (1923–2013), Physiker  und Theologe, entwickelt für das grundsätzliche Verhältnis von Wissenschaft und Glaube verschiedene Modelle der Verhältnisbestimmung, die er auch auf das Zusammenspiel von Evolution und Schöpfung überträgt. So können diese nach Barbour in folgende Verhältnisse systematisiert werden:15Vgl. zum folgenden Abschnitt: Barbour, Ian, Wissenschaft und Glaube. Historische und zeitgenössische Aspekte. Aus dem Amerikanischen von Sabine Floer und Susanne Starke-Perschke, Göttingen 2003, 339–348.

    • Konflikt: Ein Konflikt zwischen beiden Zugängen besteht zum einen, wenn im Sinne eines wissenschaftlichen Materialismus alle komplexen Phänomene als auf natürliche Ursachen zurückgehend verstanden werden. Während die Evolutionstheorie hier anerkannt wird, wird die Idee der biblischen Schöpfungstexte als im Widerspruch hierzu stehend verstanden. Zum anderen wird ein Konflikt gesehen, wenn im Sinne eines engen Kreationismus die Schöpfung so verstanden wird, dass sie die Entstehung und Weiterentwicklung der Welt beschreibt und sich wie in den biblischen Texten beschrieben ereignet hat. Eine Variante des Kreationismus ist die Theorie vom „Intelligent Design“. Sowohl Zugänge des wissenschaftlichen Materialismus als auch kreationistische Zugänge lassen sich in Blick auf ein unterkomplexes Bibelverständnis hin kritisieren.
    • Unabhängigkeit: Schöpfung und Evolution können als unabhängig voneinander betrachtet werden, wenn sie verschiedenen Sphären zugeordnet werden. Etwa in der dialektischen Theologie werde Schöpfungslehre nicht als Theorie von den Anfängen verstanden, sondern als Verweis auf die Abhängigkeit von Gott sowie die grundlegende Güte und Ordnung der Welt.16Vgl. Barbour, Wissenschaft, 340f. Ebenso liegt eine Unabhängigkeit vor, wenn das Handeln Gottes als auf das persönliche Leben begrenzt gesehen wird – auf dem Schauplatz der Natur hingegen würde Gott nicht handeln. Die Schöpfungsvorstellung kann hier für die Abhängigkeit des eigenen Lebens von Gott stehen.17Vgl. Barbour, Wissenschaft, 341. Eine weitere Möglichkeit eines unabhängigen Verhältnisses besteht, wenn man Schöpfung und Evolution jeweils als selbstständige Sprachsysteme versteht, deren Vermischung unzulässig wäre.18Vgl. Barbour, Wissenschaft, 341f. Ebenso geraten Evolution und Schöpfung nicht in Konflikt, wenn Fragen nach Weltentstehung und -entwicklung für „religiös irrelevant“19Evers, Evolution, 26. gehalten werden. Hieraus wird die Forderung gefolgert, dass Fragen nach Erlösung und Versöhnung im Zentrum stehen sollten. Ansätze der Unabhängigkeit können insofern überzeugen, als Evolutionstheorie und Schöpfungstheologie jeweils respektiert werden, ohne die Erkenntnissphären zu vermischen. Hierin liegt jedoch zugleich ein möglicher Kritikpunkt: Theologie nimmt dann keinen Bezug auf aktuelle naturwissenschaftliche Erkenntnisse.
    • Dialog: Eine Möglichkeit, beide Ansätze in den Dialog miteinander zu bringen, ohne sie in ihrer jeweiligen Kompetenz zu bestreiten, bietet die Unterscheidung zwischen Erst- und Zweitursachen: Gott wirke als Erstursache durch von den Naturwissenschaften beschriebene Zweitursachen. In dialogischen Ansätzen wird versucht, Theologisches und Naturwissenschaftliches nicht zu vermischen, und zugleich weiterhin eine Zielgerichtetheit zu vertreten, etwa, wenn Teleologie nicht als „Erklärungsgröße“, sondern als „Deutungskategorie“ verstanden wird.20Vgl. Breul, Schöpfung, 97 mit Verweis auf Christian Illies oes-gnd-iconwaiting.... Insgesamt können theologische Ansätze, die sich explizit auf die Evolutionstheorie beziehen (auch: „Evolutionary Theology“21Vgl. Gregersen, Evolutionary Theology.) in der Regel als dialogische oder integrative Ansätze verstanden werden.
    • Integration: Eine Integration der Konzepte von Schöpfung und Evolution sieht Barbour vor allem in drei Richtungen: 1) einer natürlichen Theologie, die theistische Schlussfolgerungen aus dem Wissen um die Evolution zieht und Gott als Schöpfer eines sich selbst organisierenden Systems versteht; 2) einer Theologie der Natur, die einen Prozess in Richtung größerer Komplexität und eines größeren Bewusstseins annimmt und dabei den Zufall als Prinzip der inneren Selbstorganisation auffasst;22Hier verweist Ian Barbour insbesondere auf Teilhard de Chardin oes-gnd-iconwaiting... als wichtigen Vertreter, vgl. Barbour, Wissenschaft, 347f. 3) einer Systematischen Synthese im Kontext der Prozessphilosophie, die ein umfassendes metaphysisches System entwickelt, das Evolution und fortdauernde Schöpfung integrieren kann.
    Weiterführende Infos

    Eine Kritik des Bibelverständnisses im Kreationismus bietet der einführende Text im Lexikon für Religion und Weltanschauung:
    Hempelmann, Reinhard, Art. Kreationismus, in: Lexikon für Religion und Weltanschauung, 2011 (https://www.ezw-berlin.de/publikationen/lexikon/kreationismus/), abgerufen am 07.10.2025.

    Falsch am Kreationismus ist nicht, dass er an der Autorität der Bibel festhalten und einer atheistischen Weltanschauung etwas entgegensetzen möchte. Problematisch an ihm ist aber, dass er den Charakter des biblischen Zeugnisses verkennt. Bereits im Alten Testament sind die Vorstellungen vom Wie der Schöpfung nicht entscheidend. Verschiedene Vorstellungen von der Entstehung der Welt werden nebeneinander stehengelassen. Entscheidend ist die Botschaft der biblischen Zeugen. Sie bekennen, dass alles („Himmel und Erde“) aus Gottes Hand kommt. Sie bezeugen, dass Mensch und Welt dazu bestimmt sind, Gott als Schöpfer und Erhalter des Lebens zu loben. Sie unterstreichen, dass Gott ein Gegenüber ist, das angeredet werden kann. Sie weisen darauf hin, dass die Würde eines jeden Menschen in seiner Gottesebenbildlichkeit begründet ist. Der biblische Schöpfungsglaube zielt auf ein Orientierungswissen, nicht auf ein naturwissenschaftliches Informationswissen. Nach reformatorischer Theologie darf die christliche Naturerkenntnis nicht getrennt betrachtet werden von den Erkenntnismöglichkeiten und -grenzen der menschlichen Vernunft überhaupt. Denn die menschliche Vernunft steht unter dem fortdauernden Segen des Schöpfers, obgleich sie nicht in der Lage ist, Gottes Heil zu erkennen.

    5. Gegenwärtige theologische Bezüge auf die Evolutionstheorie und neuere Debatten

    Die Herausforderungen, die die Evolutionstheorie im Blick auf die Verhältnisbestimmung von Zielbestimmung/Schöpfungsplan und Zufall oder Notwendigkeit und Kontingenz bietet, fordern immer wieder zu Fragen der Verhältnisbestimmung sowie zum Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften heraus. Auch von philosophischer Seite wird bis in die Gegenwart angefragt, was die biologische Evolutionstheorie nicht erklären kann. So betonte prominent der Philosoph Thomas Nagel oes-gnd-iconwaiting..., dass in naturwissenschaftlichen Ansätzen Erklärungen für „erstpersönlich-individuelles Erleben, für den intersubjektiv-gemeinschaftlichen Vernunftgebrach und für die objektive Geltung moralischer Tatsachen“23Breul, Schöpfung, 95. schon aus kategorialen Gründen fehlen.

    1988 hat der Biologe John Odling-Smee oes-gnd-iconwaiting... den Begriff der „Nischenkonstruktion“ eingeführt, der beschreibt, dass Spezies ihre Umwelt „systematisch, zielorientiert und damit nicht zufällig“24Lange Axel, Die Theorie der Nischenkonstruktion, in: Lange, Axel, Evolutionstheorie im Wandel, Berlin/Heidelberg 2024 (https://doi.org/10.1007/978-3-662-68962-2_5), 209–236, 209. Der folgende Abschnitt verdankt sich den Überlegungen von Schulze, Alwine Dorothea, Transformation der Schöpfung. Warum ein Aufruf zur Bewahrung der planetaren Wirklichkeit nicht angemessen ist, in: Arndt, Megan/Clement, Tillmann/Meyer, Nora (Hrsg.), Vernetzung. Theologie im Dialog (Jahrbuch Systematisch-Theologische Forschung 1), Stuttgart 2025, 137–148. verändern. Dass Organismen ihre Umwelt gestalten, also ihre eigene Nische mitkonstruieren, in der sie leben, kann als Annahme einer erweiterten Synthese der Evolutionstheorie aufgefasst werden, die Kultur und Natur stärker ineinander verwickelt denkt: Körperliche Anpassung und Kultur sind hier miteinander verschränkt. Dieses stärker reziprok verstandene Verhältnis von Lebewesen und Umwelt wird von neueren schöpfungstheologischen Entwürfen aufgenommen; daraus wird die stärkere Wahrnehmung der Verbundenheit des Menschen mit der Umwelt und eine Hervorhebung der Angewiesenheit des Menschen auf die Umwelt gefolgert, die als Gegensatz zu philosophischen Traditionen, die den Menschen als möglichst unabhängig von der natürlichen Umwelt konstruieren wollen, gesehen wird.25Vgl. zur gegenwärtigen Aufnahme der Nischenkonstruktion in schöpfungstheologische Überlegungen Schulze, Transformation. Auch wenn die Nischenkonstruktion nicht auf den Menschen beschränkt ist, so wird der Mensch doch in besonders hervorgehobener Form als auf seine Umwelt einwirkend wahrgenommen (auch in Verbindung mit der Vorstellung des Anthropozän). Aus der Bezugnahme auf die Nischenkonstruktion werden entsprechend nicht nur schöpfungstheologische, sondern auch damit verbundene anthropologische und ethische Schlussfolgerungen gezogen, etwa im Kontext von Klimaethik und Fragen nach Verantwortung des Menschen für seine Umwelt.26 Vgl. Schulze, Transformation. Besondere Berücksichtigung findet die Evolution in der Prozesstheologie.27Vgl. exemplarisch Keller, Catherine, Über das Geheimnis. Gott erkennen im Werden der Welt. Eine Prozesstheologie, Freiburg i. Br. 2013.

    6. Evolution der Religion als Kritik an Theologie und Religion

    Der Begriff der Evolution kann sich nicht nur auf die biologische Entwicklung von Lebewesen beziehen, sondern auch ganz allgemein Entwicklung oder Umwandlung bezeichnen. Im Anschluss an David Humes oes-gnd-iconwaiting... 1757 veröffentlichte The Natural History of Religion (Eine Naturgeschichte der Religion) entstand eine neue, evolutionär begründete Form von Religionskritik, die sich auf das Verständnis der natürlichen Entstehung der Religion bezieht: Aufgrund der Erkenntnis, dass man eine Entwicklung von Religionen sowie natürliche Ursachen für deren Entstehung ausmachen kann, wurde die Geltung von Religion bestritten.28Vgl. Breul, Schöpfung, 80. Im 20. Jahrhundert wurde diese Kritik von Richard Dawkins oes-gnd-iconwaiting... besonders prominent (und umstritten) wieder aufgenommen. Dawkins leitet aus einer Ablehnung des Kreationismus, die mit der biologischen Evolutionstheorie begründet wird, einerseits eine Ablehnung des Gottesglaubens per se ab.29Vgl. Breul, Schöpfung, 81. Zum anderen wird das genealogische Moment von Dawkins auch für die Entstehung von Religion relevant: Religion sei „evolutiv vorteilhaft“30Breul, Schöpfung, 83. gewesen und habe sich deshalb durchgesetzt.31Vgl. Breul, Schöpfung, 82f. Religion diene zur „Bewältigung existenzieller Unsicherheiten“.32Breul, Schöpfung, 82. Sobald diese Unsicherheiten durch naturwissenschaftliche Erklärungen oder Modelle gelöst seien, werde Religion obsolet.

    Gegen Dawkins Argumentation werden verschiedene Einwände vorgebracht:

    1. Zum einen sei es problematisch, aus der Kenntnis der Entwicklung von Überzeugungen auf deren (mangelnde) Geltung zu schließen.
    2. Des Weiteren sei es ein Kategorienfehler, auf naturwissenschaftlichem Wege zu versuchen, eine metaphysische Weltanschauung zu begründen oder zu widerlegen.
    3. Die der Argumentation zugrundeliegende Absolutsetzung der naturalistischen Weltdeutung könne zudem als fundamentalistische Verengung verstanden werden, die
    4. entsprechend weder Ambiguität noch verschiedene Interpretationen zulasse.33Breul, Schöpfung, 83f.

    7. Ausblick

    An den Debatten, die sich immer wieder anhand des Verständnisses der Evolutionstheorie aus theologischer Perspektive entwickeln, zeigt sich die Pluralität der Perspektiven auf die Welt, die theologisch zu reflektieren ist. Auch wenn bereits die biblischen Schöpfungsvorstellungen Ambivalenzen enthalten, werden die Ambivalenzen, die sich in der Evolutionstheorie zeigen, von theologischer Seite von einigen bis in die Gegenwart als Herausforderung oder auch als Chance wahrgenommen. Dabei kann gerade die Berücksichtigung von Kontingenz und fehlender Zielgerichtetheit in der Theologie nicht nur zu einem fruchtbaren interdisziplinären Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften beitragen, sondern auch dazu beitragen, die Welt in ihren Ambivalenzen angemessen zu berücksichtigen, und etwa vor einer problematischen Idealisierung von Natürlichkeit oder Wildnis bewahren.34Vgl. Arndt, Megan/Kipfer, Sara/Moos, Thorsten/Bender, Lisa, Theologie, in: Meier, Thomas et al. (Hrsg.), Umwelt interdisziplinär. Grundlagen – Konzepte – Handlungsfelder, Heidelberg 2023 (https://doi.org/10.11588/heidok.00032132).

    Weiterführende Literatur

    Verschieden Möglichkeiten der Verhältnisbestimmung zwischen Evolution und Theologie sind zu finden bei Barbour, Ian, Wissenschaft und Glaube. Historische und zeitgenössische Aspekte. Aus dem Amerikanischen von Sabine Floer und Susanne Starke-Perschke, Göttingen 2003.

    Diskussionen, die sich aus der Evolutionstheorie für Schöpfungstheologie ergeben, sind aufgeführt in Breul, Martin, Schöpfung, Paderborn 2023 (DOI: 10.36198/9783838560656).

    Einen kurzen Überblick über die Evolutionstheorie und sich daran anschließende theologische Einwände bietet Theißen, Gerd, Evolution, in: Wabbel, Tobias Daniel (Hrsg.), Im Anfang war kein Gott. Naturwissenschaftliche und theologische Perspektiven, Düsseldorf 2004, 147–158.

    Bei Keller, Catherine, Über das Geheimnis. Gott erkennen im Werden der Welt. Eine Prozesstheologie, Freiburg i. Br. 2013 (englisches Original: On the Mystery, 2008) handelt es sich um einen prozesstheologischen Entwurf als ein Beispiel für eine Schöpfungstheologie, die die fortdauernde Evolution berücksichtigt.

    Einzelnachweise

    • 1
      Die grundsätzliche Vorstellung einer allmählichen Entwicklung von Lebewesen zu immer höheren Stufen entstand bereits seit dem 17. Jahrhundert; hier ist insbesondere auf die Arbeiten von Jean-Baptiste Lamarck oes-gnd-iconwaiting... zu verweisen, vgl. Rensch, Bernhard, Art. Evolutionstheorie, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie online (https://doi.org/10.24894/HWPh.995), abgerufen am 07.10.2025.
    • 2
      Vgl. Evers, Dirk, Evolution und Schöpfung. Grundsätzliche Überlegungen für einen Dialog zwischen Theologie und Naturwissenschaften, in: Oliver, Roland (Hrsg.), Kirche im Dialog 2. Wissenschaft, Kunst, Medien, Mannheim 2003, 17–38, 22.
    • 3
      Vgl. Zrzavý, Jan/Burda, Hynek/Storch, David/Begall, Sabine/Mihulka, Stanislav, Evolution. Ein Lese-Lehrbuch, Berlin/Heidelberg 32024, 96.
    • 4
      Sadava, David/Hillis, David M./Heller, H. Craig/Hacker, Sally D., Prozesse der Evolution, in: Markl, Jürgen (Hrsg.), Purves Biologie, Berlin/Heidelberg 102019 (https://doi.org/10.1007/978-3-662-58172-8_21), 607–641, 608.
    • 5
      Vgl. Evers, Evolution, 23.
    • 6
      Vgl. Evers, Evolution, 24.
    • 7
      Vgl. Evers, Evolution, 25. Vgl. für einen kurzen Überblick über die Evolution: Zrzavý et al., Evolution, 94–99; eine Einführung in Lehrbuch-Form für Studierende der Naturwissenschaften bietet Sadava et al, Prozesse.
    • 8
      In der Evolutionstheorie geht es nicht um den Ursprung der Welt oder des Lebens, sondern um die Entwicklung des Lebens – hierdurch wurden jedoch Fragen zur Entwicklung, und auch zur Entstehung von Lebewesen aufgeworfen, die im Kontext der Schöpfungslehre vertreten wurden. Vgl. zu Darwins eigener Einstellung hierzu Gregersen, Niels Henrik, Art. Evolutionary Theology, in: Encyclopedia of Sciences and Religions 2 (2013), 809–817, 810f.
    • 9
      Vgl. Evers, Evolution, 28.
    • 10
      Vgl. Theißen, Gerd, Evolution, in: Wabbel, Tobias Daniel (Hrsg.), Im Anfang war kein Gott. Naturwissenschaftliche und theologische Perspektiven, Düsseldorf 2004, 147–158, 149.
    • 11
      Vgl. Breul, Martin, Schöpfung, Paderborn 2023, 88f.
    • 12
      Besonders prominent ist die Argumentation des Theologen Willam Paley oes-gnd-iconwaiting... (1743–1805), der eine Anpassung von Lebewesen an ihre Umwelt annahm, aber die Arten für konstant hielt, vgl. Theißen, Evolution. Zum Einfluss Paleys auf Darwin oes-gnd-iconwaiting... vgl. kurz Lauster, Jörg, Die Verzauberung der Welt. Eine Kulturgeschichte des Christentums, München 2014, 559–565.
    • 13
      Vgl. Breul, Schöpfung, 90–93.
    • 14
      Vgl. Breul, Schöpfung, 80.
    • 15
      Vgl. zum folgenden Abschnitt: Barbour, Ian, Wissenschaft und Glaube. Historische und zeitgenössische Aspekte. Aus dem Amerikanischen von Sabine Floer und Susanne Starke-Perschke, Göttingen 2003, 339–348.
    • 16
      Vgl. Barbour, Wissenschaft, 340f.
    • 17
      Vgl. Barbour, Wissenschaft, 341.
    • 18
      Vgl. Barbour, Wissenschaft, 341f.
    • 19
      Evers, Evolution, 26.
    • 20
      Vgl. Breul, Schöpfung, 97 mit Verweis auf Christian Illies oes-gnd-iconwaiting....
    • 21
      Vgl. Gregersen, Evolutionary Theology.
    • 22
      Hier verweist Ian Barbour insbesondere auf Teilhard de Chardin oes-gnd-iconwaiting... als wichtigen Vertreter, vgl. Barbour, Wissenschaft, 347f.
    • 23
      Breul, Schöpfung, 95.
    • 24
      Lange Axel, Die Theorie der Nischenkonstruktion, in: Lange, Axel, Evolutionstheorie im Wandel, Berlin/Heidelberg 2024 (https://doi.org/10.1007/978-3-662-68962-2_5), 209–236, 209. Der folgende Abschnitt verdankt sich den Überlegungen von Schulze, Alwine Dorothea, Transformation der Schöpfung. Warum ein Aufruf zur Bewahrung der planetaren Wirklichkeit nicht angemessen ist, in: Arndt, Megan/Clement, Tillmann/Meyer, Nora (Hrsg.), Vernetzung. Theologie im Dialog (Jahrbuch Systematisch-Theologische Forschung 1), Stuttgart 2025, 137–148.
    • 25
      Vgl. zur gegenwärtigen Aufnahme der Nischenkonstruktion in schöpfungstheologische Überlegungen Schulze, Transformation.
    • 26
      Vgl. Schulze, Transformation.
    • 27
      Vgl. exemplarisch Keller, Catherine, Über das Geheimnis. Gott erkennen im Werden der Welt. Eine Prozesstheologie, Freiburg i. Br. 2013.
    • 28
      Vgl. Breul, Schöpfung, 80.
    • 29
      Vgl. Breul, Schöpfung, 81.
    • 30
      Breul, Schöpfung, 83.
    • 31
      Vgl. Breul, Schöpfung, 82f.
    • 32
      Breul, Schöpfung, 82.
    • 33
      Breul, Schöpfung, 83f.
    • 34
      Vgl. Arndt, Megan/Kipfer, Sara/Moos, Thorsten/Bender, Lisa, Theologie, in: Meier, Thomas et al. (Hrsg.), Umwelt interdisziplinär. Grundlagen – Konzepte – Handlungsfelder, Heidelberg 2023 (https://doi.org/10.11588/heidok.00032132).
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