Erlösung

Erlösung bezeichnet im christlichen Glauben die Erfahrung und Gegenwart des von Gott geschenkten Heils. Sie bezeichnet eine Realität bzw. Prozesse hin zu einer solchen, in der das Böse, das Leiden und die Sünde überwunden worden sind. Grund und Ausgangspunkt des christlichen Erlösungsverständnisses sind Menschwerdung, Tod und Auferstehung Jesu Christi. Soteriologie und Eschatologie sind als dogmatische Lehrstücke, die sich mit der Lehre von der Erlösung beschäftigen, eng mit dem Deutungsrahmen der Christologie verbunden.

Inhaltsverzeichnis

    1. Problemfelder

    Erlösung bezeichnet die unzweideutige und unverbrüchliche Erfahrung und Präsenz des von Gott geschenkten Heils. Erlösung stellt einen zentralen Begriff der christlichen Theologie dar und meint häufig auch die Herbeiführung der Bedingungen und Umstände dieser Heilserfahrung. In theologischen Strömungen, die der Schuld menschlicher Sünde und der Aufarbeitung erfahrenen Unrechts besondere Bedeutung beimessen, verweist Erlösung häufig auf das richterliche Handeln Gottes, das umfassende Gerechtigkeit schafft.

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    „Die Rede von Gott als ‚Richter‘, ‚König‘ usw. ist metaphorische Rede; sie meint nicht, dass Gott ein Amtsträger sei oder dass sich die göttliche Sphäre (‚der Himmel‘) als Palast, Tempel, Gerichtshof usw. vorstellen ließe. Hintergrund dieser Redeweise ist, dass alle Menschen, die gesellschaftliche Verantwortung tragen, dies nicht eigenmächtig tun, sondern von Gott dazu befähigt und berufen werden. Da die menschlichen Ordnungen in Gott gründen und die menschliche Sprache durch diese Ordnungen geprägt ist, kann der Mensch von Gott nicht anders reden als in Analogie zu den ihn bestimmenden machtvollen Instanzen: dem König, dem Richter, dem Priester oder dem Weisen. Die menschliche Redeweise vom ‚Richter‘ und vom ‚Gericht‘ wird allerdings dadurch unterlaufen, dass Gottes richtendes Handeln nicht nur Individuen oder einzelnen Kollektiven gilt, sondern der gesamten Völkerwelt, da Gott seinen Willen vor aller Schöpfung zur Geltung bringen will.“ Wehnert, Jürgen, Art. Gericht Gottes (NT), in: WiBiLex (https://bibelwissenschaft.de/stichwort/48909/), abgerufen am 12.02.20525.

    Darüber hinaus haben sich weitere Vorstellungen etabliert, Erlösung nicht nur als Auseinandersetzung mit menschlicher Sünde und im Rahmen eines Jüngsten Gerichts, sondern als eine umfassende Transformation der ganzen Wirklichkeit, als endgültige Erlösung von dem Bösen verstehen. Erlösung betrifft in diesem Sinne nicht nur den Menschen, sondern bezieht sich auf die Schöpfung als Ganzes und umfasst neben der Aufarbeitung von personaler und struktureller Sünde auch die Überwindung dessen, was geschöpfliche Existenz bedroht und zerstört.

    Da der Tod die fundamentale Bedrohung und den Abbruch geschöpflicher Existenz bedeutet, gilt dessen Überwindung in der Auferstehung Jesu Christi als Inbegriff des Erlösungswerkes Gottes, das schon angebrochen, aber noch nicht vollendet ist. Über die Frage, inwiefern mit einer auferstehungstheologisch begründeten Erlösungshoffnung auch eine Überwindung der Endlichkeit des Menschen im Sinne eines Lebens nach dem Tod und damit die Schaffung neuer Möglichkeiten der Lebensverwirklichung einhergehen, besteht theologische Uneinigkeit.

    Um die Partikularität von Heilserfahrungen reflektieren zu können, hat sich zuweilen die Unterscheidung von Versöhnung als partikularer Heilserfahrung, die sich auch im individuellen Gottesverhältnis widerspiegelt, und der Erlösung im Sinne einer vollendeten Verwirklichung des Heils etabliert.

    Die praktische Herausforderung der Erlösungstheologie besteht darin, diese Verheißung der Erlösungswirklichkeit in Jesus Christus zu benennen ohne dabei die fortwährende Existenzbedrohung für Menschen durch Ressourcenkonflikte, Krankheiten, systematische Ausbeutung und den Entzug von Lebensperspektiven zu überdecken. Vor diesem Hintergrund kann man der Erlösungstheologie schließlich auch eine ethische Dimension zuschreiben, insofern dass die christliche Verheißung als trostvolle Hoffnung zur Sprache gebracht werden kann und damit selbst realitätsbildend ist. Die bleibende Herausforderung ist, dass die Erlösungshoffnung als zukünftige Erwartung des Heilshandeln Gottes nicht zu einer Vertröstung für erfahrenes Unrecht führt.

    2. Theologiegeschichtliche Spannungsfelder des christlichen Erlösungsverständnisses

    In den frömmigkeits- und theologiegeschichtlichen Entwicklungen spiegeln sich in der Erlösungstheologie häufig die besonderen Gewichtungen ihrer Zeit wider, von denen ausgehend nicht nur Spannungsfeld, sondern auch materiale Bezugspunkte des Erlösungshandelns Gottes (i. S. v. „Erlösung von welchem Bösem“) neu verhandelt werden.

    Varianzen im christlichen Erlösungsbegriff sind bereits neutestamentlich vorgezeichnet: Während Paulus das Erlösungswerk Christi als Befreiung von der Macht der Sünde (Röm 6,18Denn indem ihr nun frei geworden seid von der Sünde, seid ihr Knechte geworden der Gerechtigkeit.Zur Bibelstelle) mithilfe hamartiologischer Kategorien oder auch als Versöhnung mit Gott (2Kor 5,19Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.Zur Bibelstelle) als eine Transformation der Gottesrelation beschreibt, betonen die Evangelien ebenso die vitalisierenden Dimensionen wenn sie anhand von Heilungs- und Sättigungswundern die Wiederherstellung der menschlichen Lebensgeister als Anbruch des Gottesreiches illustrieren. Frühchristliche Theologien, die darüber hinaus Gottes Rettungshandeln als Sieg über die Macht des Todes beschreiben (Christus victor), stellen die Erlösung in den Kontext kosmischer Kategorien.

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    Für biblische Grundlegungen eschatologischer Vorstellungen s. Koenen, Klaus, Art. Eschatologie (AT), in: WiBiLex (https://bibelwissenschaft.de/stichwort/20917/), abgerufen am 23.03.2025 sowie Wetz, Christian, Art. Eschatologie (NT), in: WiBiLex (https://bibelwissenschaft.de/stichwort/47910/), abgerufen am 23.03.2025.

    Im Mittelalter werden kosmische und juridische Dimensionen eindrücklich durch Anselm von Canterbury oes-gnd-iconwaiting... und sein Satisfaktionsmodell miteinander verbunden: Erlösung wurde als Wiederherstellung einer verletzten göttlichen Ordnung verstanden. Diese kosmische Störung ist gleichzeitig der Kern dessen, was die zu überwindende menschliche Schuld ausmacht. Christus bringt durch sein Opfer die „Schuld“ der Menschheit vor Gott zum Ausgleich und sorgt damit für eine Wiederherstellung eines ursprünglich intendierten Verhältnisses zwischen Gott und seiner Schöpfung. Gott interveniert damit gegen die menschliche Zerrüttung einer kosmischen Ordnung. Da Gott diese Satisfaktion in seinem eigenen Menschwerden selbst realisiert, kann die Menschheit daran sekundär partizipieren. Die Frage nach geeigneten Vermittlungsformen dieses Heils durch die Kirche als Heilsinstitution prägt ferner auch die Ekklesiologie und Frömmigkeit des Spätmittelalters in Mitteleuropa.

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    „Im heutigen Sprachgebrauch ist der Begriff ‚Opfer‘ ebenso wie sein romanisches Pendant ’sacrifice‘ polyvalent. Er bezeichnet einerseits eigentliche Opferrituale und die dabei dargebrachte Opfermaterie, andererseits als Metapher dingliche Verluste oder persönliche Nachteile sowie die Personen, die diese erleiden. Eher inkompatibel mit diesem modernen metaphorischen Verständnis ist die biblische Anwendung des Begriffs auf eine bestimmte Geisteshaltung bzw. Akte der Frömmigkeitspraxis (Ps 119,108; Hebr 5,7; Hebr 13,15-16). Außerdem werden heute in christologisch-soteriologischen Konzeptionen oft diverse Lexeme und Metaphern unter den Begriff des Opfers subsumiert, die eher der abstrakten Interpretationskategorie der Sühne zuzuordnen sind. Aufgrund dieser inhärenten Unschärfe findet sich gegenwärtig u. U. das Plädoyer, den Opferbegriff im wissenschaftlichen Diskurs ganz zu vermeiden (Watts: 173-175).“ S. hierzu Eberhart, Christian, Art. Opfer (NT), in: WiBiLex (https://bibelwissenschaft.de/stichwort/52048/), abgerufen am 23.03.2025.

    Die Reformation, insbesondere Martin Luthers oes-gnd-iconwaiting... Lehre von der Rechtfertigung allein aus Gnade, verschiebt den Fokus von einer sakramentalen Vermittlung der Erlösung hin zu einer unmittelbaren Beziehung zwischen dem Glaubenden und Gott. Erlösung wird daraufhin in der lutherischen Orthodoxie oft innerhalb des Deutungsrahmens eben jener Rechtfertigungslehre verstanden. Die Erlösung ist bereits im Gnadenwerk Jesu Christi errungen; was noch aussteht ist die Vollendung der davon ausgehenden Vergebung der Sünden im Ewigen Leben.1So formuliert Luther selbst im großen Katechismus: „Denn die Schöpfung haben wir nun hinter uns, auch die Erlösung ist ausgerichtet, aber der Heilige Geist verfolgt seine Aufgabe unablässig bis zum Jüngsten Tag, und er bestimmt dazu eine Gemeinde auf Erden, durch die er alles redet und tut. Denn er hat seine Christenheit noch nicht vollständig versammelt und die Vergebung noch nicht vollständig ausgeteilt“ (Luther, Martin, Großer Katechismus in: VELKD. Unser Glaube – Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Gütersloh 62013, 588).

    In der reformierten Tradition tritt ein stärker heilsgeschichtlicher Akzent hinzu. Erlösung wird im Rahmen einer Bundestheologie verstanden, wobei im Erlösungswerk Jesu Christi teleologische und restitutive Denkformen miteinander vermittelt werden. Diese Verbindung ist auch auf die Bedeutung der reformierten Erwählungsvorstellung zurückzuführen, die mit einem zweifachen Ratschluss Gottes einiger Menschen zum ewigen Heil und der anderen zum ewigen Verderben rechnet. Die Frage nach der Erlösung wird daher häufig auch als Frage nach der Heilsgewissheit des Menschen gestellt.

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    Gegenüber diesem dualen Heilsausgang treten heute eher theologische Konzepte einer Allerlösung (apokatastasis panton) in den Vordergrund.

    Vgl. Art. Allversöhnung/ Allerlösung

    In der Soteriologie der pietistischen Bewegungen im ausgehenden 17. Jahrhundert wird die Perspektive auf die individuelle Erfahrung der Erlösung und der davon ausgehenden lebenspraktischen Verwandlung gelenkt. Sie verbinden mit dem Erlösungsbegriff die Gottesrelation, innere Erneuerung und die damit einhergehende Befreiung zu einem heiligen Leben. Friedrich Schleiermacher oes-gnd-iconwaiting... macht diesen Übergang geradezu zum Gliederungsprinzip seiner Glaubenslehre,2„Unsere Darstellung erfordert beides zu trennen, so daß wir zuerst von der Sünde, und hernach von der Gnade handeln, beides nach allen drei Formen dogmatischer Sätze“, Schleiermacher, Friedrich D. E., Der Christliche Glaube, Berlin 1830/31, § 64. deren inhaltliche Entfaltung zwischen christlichem Sündenbewusstsein und Erlösungs- bzw. Gnadenbewusstsein unterscheidet. Christologie, Soteriologie und Ekklesiologie entfalten demnach Begründung und soziale Erscheinungsformen des christlichen Erlösungsbewusstseins, welches bei Schleiermacher bereits klare universalistische Tendenzen zeigt.

    Auch geschichts- und staatsphilosophische Ansätze des deutschen Idealismus (G. W. F. Hegel oes-gnd-iconwaiting..., R. Rothe oes-gnd-iconwaiting...) im 19. Jahrhunderts teilen diese Tendenz und schreiben zudem die Fokusverschiebung von individueller hin zur überindividuellen Bedeutung von Erlösungsvorstellungen fort. Sukzessiv gewinnt das erlösungstheologische Symbol des „Reiches Gottes“ an Bedeutung, in dem das Erlösungswerk Jesu Christi geschichtsimmanente Gestalt gewinnt, deren Realisierung durch die Menschheit in Aussicht gestellt wird und wodurch eine theologische Brücke zwischen partikularem Heil und universellem Erlösungszusammenhang geschlagen wird.

    Erst mit den Krisenerfahrung zum Ende des 1. Weltkrieg wird gegen diesen kulturgeschichtlichen Rahmen lauter Widerspruch in Gestalt der dialektischen Theologie erhoben. Epochemachend ist hier besonders die zweite Auflage von Karl Barths oes-gnd-iconwaiting... Römerbrief-Kommentar. Er betont darin die radikale Andersartigkeit des Reiches Gottes und dessen Unvereinbarkeit mit weltlichen Kultur- und Geschichtsbewegungen: „Menschenreich ist nie Gottesreich.“3Barth, Karl, Der Römerbrief (Zweite Fassung) 1922, Zürich 2010, 85. Damit stellt er die Erlösung in den Horizont der Unverfügbarkeit Gottes und markiert die Distanz von Ethik und Eschatologie, die für seine frühe Theologie bildgebend ist.

    3. Schöpfung und Erlösung – Ethik und Eschatologie

    Ein wiederkehrendes Motiv der Theologien des 20. Jahrhunderts ist der Versuch einer Neubestimmung des Verhältnisses von Gottes Erlösungswerk und menschlichem Handeln (vgl. Art. Ethik), sowie deren möglicher Vermittlung. Dietrich Bonhoeffer oes-gnd-iconwaiting... hat die notwendige Kontinuität zwischen beiden ohne die Differenz von Eschatologie und Ethik aufzugeben als Verhältnis zwischen „letzten und vorletzten Dingen“ gefasst.4Vgl. Bonhoeffer, Dietrich, Ethik (DBW 6), Gütersloh 1992, 131f. Mit dieser Formel ist das zentrale Problemfeld der erlösungstheologischen Diskurse des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts umrissen. Ausgerechnet Friedrich Nietzsche oes-gnd-iconwaiting... wird darüber hinaus zu einem weiteren wichtigen Bezugspunkt der fortlaufenden Arbeit am Erlösungsbegriff: Polemisch stellt er die demütigenden Folgen einer Jenseitshoffnung für die tatsächlich Leidenden heraus.5So leitet er von der inneren Struktur des christlichen Religions- und Erlösungstypus auf eine systematische Notwendigkeit des Leidens ab: „Man muß Leidende durch eine Hoffnung aufrecht erhalten, welcher durch keine Wirklichkeit widersprochen werden kann – welche nicht durch eine Erfüllung abgetan wird: eine Jenseits-Hoffnung.“ (Nietzsche, Friedrich, Der Antichrist (Kritische Studienausgabe 6), hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Berlin 1980, § 23). Der Einfluss seiner Kritik am christlichen Erlösungsbegriff als solchem ebenso wie die vitalistischen Züge seiner Religionskritik können für die Debatten seit Beginn des 20. Jahrhunderts kaum überschätzt werden. Über den deutschsprachigen Raum hinaus prägte Jürgen Moltmanns oes-gnd-iconwaiting... Theologie der Hoffnung die Diskussion, indem er die Auferweckung Jesu Christi als universales Zeichen der Erlösung und als transformative Verheißung für die gesamte Schöpfung interpretierte. Erlösung bedeutet hier die Überwindung von Leid und Tod. Diese wird im Medium der menschlichen Hoffnung auf die Möglichkeit einer neuen Wirklichkeit existenziell. Damit wird die Hoffnung als solche zu einer transformativen Kraft.

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    Jürgen Moltmann hat die eigenständige Bedeutung der Hoffnung herausgestellt. Sie ist der Anlass für Menschen, sich im Glauben an die Auferstehung Jesu Christi für eine Veränderung der Umstände einzusetzen.

    Link zum Buch

    Ein Vortrag zu Jürgen Moltmanns Theologie, natürlich auch mit Blick auf sein Erlösungsverständnis, findet sich in diesem Worthaus-Beitrag: Dietz, Thorsten, Jürgen Moltmann – Glaube und Hoffnung (Worthaus Podcast), 02.04.2021.

    Zeitgleich werden zentrale Anliegen klassischer Erlösungstheologien in befreiungstheologischen Strömungen aufgenommen und neu interpretiert. In der lateinamerikanischen Befreiungstheologie (Gustavo Gutiérrez oes-gnd-iconwaiting...) wird Erlösung nicht nur als Befreiung von persönlicher Sünde verstanden, sondern auch als Überwindung von systemischer Armut und Unterdrückung. Im Kampf um Gerechtigkeit werde das Reich Gottes konkret wirksam. Die Black Theology (James H. Cone oes-gnd-iconwaiting...) verknüpft Erlösung mit der Befreiung von rassistischer Unterdrückung und stellte Jesus Christus in heilsgeschichtlichem Kontext als solidarischen Befreier dar. Wenn in diesem Sinne juridische Erlösungsvorstellungen wieder an Bedeutung gewinnen, dann vor allem aus der Perspektive der Opfer geschichtlichen Unrechts und mit dem Ziel, die notwendige Aufrichtung von Recht und Gerechtigkeit theologisch zu deuten.

    Postkoloniale Theologien (Kwok Pui-Lan oes-gnd-iconwaiting...) und Vertreter:innen der Womanist Theology (Jacquelyn Grant, Delores S. Williams oes-gnd-iconwaiting...) erweitern diese Perspektiven, indem sie die Erlösung konkret sozialgeschichtlich akzentuiert mit der Befreiung von kolonialen und patriarchalen Machtstrukturen verbinden. Besonders Delores Williams betonte, dass Erlösung nicht nur die Wiederherstellung der Würde schwarzer Frauen umfasst, sondern auch die Heilung gebrochener Identitäten und Gemeinschaften, wobei sie besonders klassische Opfermodelle als problematisch kritisiert und den Fokus auf heilende und zur Solidarität anhaltende Erlösungsbilder legt. Auch wenn Befreiungstheologien völlig unterschiedliche Ausprägungen haben, teilen viele von ihnen die Kritik an traditionellen Eschatologien, welchen sie vorhalten, die politische und soziale Transformationen zu vernachlässigen oder sogar zu unterdrückten. Stattdessen betonen sie, dass Gottes Erlösungswerk schon im Hier und Jetzt zu realen Veränderungen von Lebensverhältnissen führt, indem Gott nicht nur mit den Unterdrückten solidarisch ist, sondern auch das menschliche Erstreiten sozialer Gerechtigkeit ermöglicht. Mit dieser theologischen Entwicklung geht nicht notwendigerweise eine Absage transzendenter Aspekte des Erlösungsbegriffs einher. Jedoch werden präsentische und effektive Aspekte der Erlösungsbotschaft, die das menschliche Zusammenleben real verbessern, als conditio sine qua non betont.

    4. Ausblick

    Mit der Eschatologie im 20. und 21. Jahrhundert ist eine klare Verschiebung in Bezug auf die Betrachtungsweise der Erlösung angezeigt, die nunmehr nicht mehr so stark an einem Ziel oder der Vergewisserung eines (Heils-)Zustands interessiert ist, sondern vielmehr den Prozessen nachgeht, welche eine Überwindung von Leiden, Ungerechtigkeits- und Demütigungserfahrungen bedeuten. Ob mit dieser Umstellung auch ein fortlaufender Verzicht auf die über viele Jahrhunderte selbstverständliche Ewigkeitsperspektive einhergehen wird, ist noch nicht entschieden.

    In einer insbesondere im deutschsprachigen Raum immer stärker an der Frage nach gelingendem Leben ausgerichteten Religionskultur ist bislang offen, wie stark christliche Erlösungsvorstellungen weiterhin prägende Bedeutung für die gelebte Religiosität haben werden und inwiefern der Begriff „Erlösung“ weiterhin in der Lage ist, ein an Jesus Christus orientiertes Verständnis von Heil und Heilung zu artikulieren.

    Weiterführende Infos WiReLex

    Für religionspädagogische Impulse und Informationen s. Heger, Johannes, Art. Eschatologie, in: WiReLex (https://bibelwissenschaft.de/stichwort/100164/), abgerufen am 23.03.2025.

    Literaturangaben

    Barth, Karl, Der Römerbrief (Zweite Fassung) 1922, Zürich 2010.

    Bonhoeffer, Dietrich, Ethik (DBW 6), Gütersloh 1992.

    Cone, James H., A Black Theology of Liberation, Maryknoll 1970.

    De La Torre, Miguel A., Embracing Hopelessness, Minneapolis 2017.

    Gutiérrez, Gustavo, Theologie der Befreiung. Geschichte, Politik und Heil, München 1974.

    Kwok, Pui-Lan, Hope Abundant. Third World and Indigenous Women’s Theology, Maryknoll 2010.

    Kwok, Pui-Lan, Postcolonial Imagination and Feminist Theology, Louisville 2005.

    Latzel, Thorsten, Was heißt Erlösung heute? Perspektiven einer reformierten Dogmatik, Göttingen 2008.

    Moltmann, Jürgen, Theologie der Hoffnung. Untersuchungen zur Begründung und zu den Konsequenzen einer christlichen Eschatologie, München 1964.

    Osthövener, Claus-Dieter, Erlösung. Transformationen einer Idee im 19. Jahrhundert, Tübingen 2004.

    Pannenberg, Wolfhart, Systematische Theologie (Band 3), Göttingen 1993.

    Pauw, Amy Plantinga, Some Last Words about Eschatology, in: Pauw, Amy Plantinga/Jones, Serene (Hrsg.), Feminist and Womanist Essays in Reformed Dogmatics, Louisville 2006, 221–224.

    Schleiermacher, Friedrich, Der christliche Glaube, Berlin 1830/31.

    Tanner, Kathryn, Jesus, Humanity and the Trinity. A Brief Systematic Theology, Minneapolis 2001.

    Tillich, Paul, Systematische Theologie (Band 3: Leben und Geist – Geschichte und Reich Gottes), Stuttgart 1970.

    Williams, Delores S., Sisters in the Wilderness. The Challenge of Womanist God-Talk, Maryknoll 1993.

    Einzelnachweise

    • 1
      So formuliert Luther selbst im großen Katechismus: „Denn die Schöpfung haben wir nun hinter uns, auch die Erlösung ist ausgerichtet, aber der Heilige Geist verfolgt seine Aufgabe unablässig bis zum Jüngsten Tag, und er bestimmt dazu eine Gemeinde auf Erden, durch die er alles redet und tut. Denn er hat seine Christenheit noch nicht vollständig versammelt und die Vergebung noch nicht vollständig ausgeteilt“ (Luther, Martin, Großer Katechismus in: VELKD. Unser Glaube – Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, Gütersloh 62013, 588).
    • 2
      „Unsere Darstellung erfordert beides zu trennen, so daß wir zuerst von der Sünde, und hernach von der Gnade handeln, beides nach allen drei Formen dogmatischer Sätze“, Schleiermacher, Friedrich D. E., Der Christliche Glaube, Berlin 1830/31, § 64.
    • 3
      Barth, Karl, Der Römerbrief (Zweite Fassung) 1922, Zürich 2010, 85.
    • 4
      Vgl. Bonhoeffer, Dietrich, Ethik (DBW 6), Gütersloh 1992, 131f.
    • 5
      So leitet er von der inneren Struktur des christlichen Religions- und Erlösungstypus auf eine systematische Notwendigkeit des Leidens ab: „Man muß Leidende durch eine Hoffnung aufrecht erhalten, welcher durch keine Wirklichkeit widersprochen werden kann – welche nicht durch eine Erfüllung abgetan wird: eine Jenseits-Hoffnung.“ (Nietzsche, Friedrich, Der Antichrist (Kritische Studienausgabe 6), hrsg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari, Berlin 1980, § 23).

    Zitierweise

    Friedrich-Lang, Benedikt: „Erlösung“, Version 1.0, in: Onlinelexikon Systematische Theologie, 1. Mai 2025. DOI: https://doi.org/10.15496/publikation-105093

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