Sprache

Sprache ist für den christlichen Glauben das zentrale Medium zur Vermittlung des Heils. Darüber wurde im Laufe der Theologie- und Frömmigkeitsgeschichte viel nachgedacht. Systematische Theologie muss aber diese Bedeutung der Sprache auch im gegenwärtigen Horizont lebensweltlicher Fragestellungen um Funktion und Fähigkeit der Sprache sowie unter den Herausforderungen kritischer Wissenschaften überdenken.

Inhaltsverzeichnis

    1. Von tierischer Kommunikation zu menschlicher Sprache?

    „Sprache“ zum Thema zu machen ist Menschen möglich, weil sie in das konventionalisierte Zeichensystem Sprache – so kulturell unterschiedlich es im Einzelnen ist – eingeübt sind. Natürliche Erklärungsversuche für Sprache aus tierischem Ursprung standen bisher unter der Kritik des logischen Zirkels: solche Herleitung des geistigen Phänomens Sprache setze dieselbe, die erst erklärt werden soll, immer schon voraus. In jüngster Zeit hat aber der Experimentalpsychologe Michael Tomasello oes-gnd-iconwaiting... mit seinen Forschungen zu der gestischen Abstimmung kooperativer Motivationen (Auffordern, Informieren, Teilen) unter Primaten empirische Belege für eine evolutionäre Erklärung menschlicher Sprache aus tierischer Kommunikation geliefert.

    Ungeachtet dieser neueren Diskussionslage gilt seit jeher die Sprachfähigkeit des Menschen als herausragendes Kennzeichen für seine Vernunftbegabung im Unterschied zum Tier. Für Johann G. Herder oes-gnd-iconwaiting... gleicht der instinktschwache Mensch seinen Mangel durch die Besonnenheit des sprachlichen Denkens aus. Dieses Erklärungsmuster dient Arnold Gehlen oes-gnd-iconwaiting... zur anthropologischen Begründung seiner Theorie von Institutionen als Instinktersatz und Kompensation für die instinktreduzierte Ausstattung des Menschen.

    2. Sprache der Menschen

    Seit den Anfängen des Nachdenkens über Sprache (Vorsokratiker) wird der Zusammenhang von Sprache und Sein der Welt problematisiert (Name und Sache, Wahrheit und Lüge usw.). Für die neuplatonische Ontologie spiegelte die Begriffslogik den logischen Aufbau der Welt wider: je höher der Verallgemeinerungsgrad der sprachlichen Ausdrücke reicht, umso mehr kommt den Begriffen Sein zu. Diese Auffassung wurde vor allem vom Nominalismus bestritten (mittelalterlicher Universalienstreit). Noch im 20. Jh. konnte der logische Empirismus von einem gemeinsamen logischen Aufbau der Sprache mit der Welt ausgehen (vgl. Ludwig Wittgensteins oes-gnd-iconwaiting... Tractatus). Doch der späte Wittgenstein öffnete den Blick dafür, dass die Bedeutung der Worte sich erst aus ihrem Gebrauch ergibt, welcher in der Vielfalt der Sprachen höchst mannigfaltig ausfällt, aber der Grammatik der jeweiligen Sprache folgt (Theorie der Sprachspiele; Phil. Untersuchungen). Das sprachlich eingeübte Denken formt dem Menschen den Zugang zur Welt und durchdringt sein Leben. So rückt im 20. Jh. die Umgangssprache ins Zentrum der Untersuchung (ordinary language philosophy). An Feldstudien der Sprechakte wird sichtbar, wie die sozialisierten Sprachkonventionen die kommunikative Voraussetzung dafür bilden, dass Menschen miteinander ihr Zusammenleben regeln (Theorie der Sprechakte). So schaffen und institutionalisieren sie interpersonale und soziale Wirklichkeiten und produzieren und gestalten gemeinsam gegenständliche Wirklichkeit (Jürgen Habermas oes-gnd-iconwaiting...).

    Von alters her haben Menschen um diese sprachlichen Kompetenzen ein lebenspraktisches Wissen (vgl. z. B. auch die Zeugnisse vom Umgang mit Sprache in den biblischen Überlieferungen, wobei an Stelle des Abstraktbegriffs Sprache die Sprechorgane wie Mund, Lippe, Zunge thematisiert werden). Die heutigen Erkenntnisse gehen auf Ergebnisse linguistischer, semiotischer, sprachphilosophischer u. a. Analysen und Theorien zurück. Auch wenn die Entwicklung mit Digitalisierung und Technologie der Künstlichen Intelligenz weiter fortschreitet, bleibt die Sprache in ihrem analogen (mündlichen und schriftlichen) Medium das Leitmuster für den menschlichen Gebrauch von Sprache. Als solche ist sie das elementare Medium menschlicher Begegnung (M. Buber oes-gnd-iconwaiting..., schon Wilhelm v. Humboldt oes-gnd-iconwaiting...). Umso mehr droht sie im Zuge technologischer Transformationen instrumentalisiert und manipuliert zu werden.

    3. Redet Gott?

    Dass Götter sprechen ist eine weit verbreitete Auffassung in den antiken Mythen. Auch die biblischen Überlieferungen teilen solche Vorstellungen. Dort redet Gott aber nicht nur direkt mit Menschen in ihrer Sprache, sondern vermittelt durch Propheten, indirekt durch Zeichen und Wunder; seine Botschaften ergehen auch in geschichtlichen Ereignissen (z. B. Entscheidungen des König Kyros, oder das Wirken Jesu von Nazareth), verstanden als Offenbarungen Gottes, die unter dem Symbol ‚Wort Gottes‘ zusammengefasst werden können.

    Die mythologische Rede vom biblischen Gott ist in der alten Kirche mittels griechischer und lateinischer Philosophie substanzontologisch rationalisiert worden („göttliche Natur“ mit „Eigenschaften“, auch der Begriff von Gottes „Person“ wurde substanzhaft verstanden, vgl. Boethius oes-gnd-iconwaiting....1Persona est „naturae rationabilis individua substantia” (Boethius, Anicius M. S., Contra Eutychen et Nestorium, in: Ders., Die theologischen Traktate. Übers., eingel. und mit Anm. versehen von Elsässer, Michael, Hamburg 1988, 74). In der Volksfrömmigkeit herrschte ein anthropomorphes Gottesbild vor, bis hin zum menschlich sprechenden (zürnenden, strafenden, vergebenden usw.) Gott.

    Daneben vertritt Meister Eckhardt oes-gnd-iconwaiting... in der Tradition der Mystik die Auffassung, wonach sich in der göttlichen Rede Höheres und Niederes unmittelbar einander mitteilen; die menschliche Sprache dagegen sich nur als Spur dieser ursprünglichen Rede versteht.2Vgl. Meister Eckhart, Liber Parabolarum Genesis, in: Sturlese, Loris/Rubino, Elisa (Hrsg.), Meister Eckhart. Studienausgabe der Lateinischen Werke, Stuttgart 2016, 201 ̶ 393, 324.

    Soweit man sich in mittelalterlicher Philosophie und Theologie der zum Menschsein analogen Redeweise von Gott kritisch bewusst war, suchte man der Gefahr zu widerstehen, die Differenz zwischen Gott und Mensch/Welt zu verfehlen entweder mit univoker (gleichsinniger) oder mit aequivoker (verschiedensinniger) Rede. Deshalb formulierte das 4. Laterankonzil 1215 den Grundsatz, wonach man zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf keine so große Ähnlichkeit feststellen kann, dass zwischen ihnen keine noch größere Unähnlichkeit festzustellen wäre.3“…quia inter creatorem et creaturam non potest tanta similitudo notari, quin inter eos maior sit dissimilitudo notanda” (DS 806).

    Für die aufklärerische Religionskritik liegt die Produktivität des religiösen Subjekts bei allen menschlichen Vorstellungen von Gott, so auch die Vorstellung vom sprechenden Gott, auf der Hand. Für gesichert gilt transzendentalphilosophischer Analyse allerdings die Reflexion auf den vor aller Erfahrung im Bewusstsein angelegten Gottesgedanken (Immanuel Kant oes-gnd-iconwaiting...). Damit verbietet sich zum einen objektivierende Rede von Gott, etwa auch Vorstellungen vom sprechenden Gott. Die Theologie verarbeitet die transzendentalphilosophische Begründung mit religionsphilosophischen Reflexionen auf die subjektive Disposition des Gottesbewusstseins (etwa „Gefühl“, vgl. z. B. Friedrich D. E. Schleiermacher oes-gnd-iconwaiting..., Ulrich Barth oes-gnd-iconwaiting...). Zum anderen gilt das religiöse Reden von Gott notwendig angewiesen auf metaphorische Sprache. Es suche von Gott oder von Gotteserfahrungen mittels Prädikationen aus dem Alltagsleben zu reden und damit den Erfahrungshorizont zu überschreiten in dem kritischen Bewusstsein, dass es dennoch in den Bedingungen menschlicher Sprache verbleibt und sich somit von dem unterscheidet, wovon es spricht (Paul Ricœur oes-gnd-iconwaiting..., Eberhard Jüngel oes-gnd-iconwaiting..., Hans Weder oes-gnd-iconwaiting...).

    Im Horizont gegenwärtiger sprachphilosophischer Diskussionen verweist Ingolf U. Dalferth oes-gnd-iconwaiting... auf den vielfältigen, weil synkategorematischen Gebrauch des Wortes „Gott“ aus seiner Eigenart als Indexwort (wie z. B. „ich“, „du“, „hier“, „dort“): Danach benennt „Gott“ „nichts, was für sich betrachtet oder thematisiert werden könnte, sondern markiert den Bezugspunkt, in dessen Horizont und Perspektive alles übrige wahrgenommen, betrachtet und verstanden wird.“4Dalferth, Inbegriff oder Index?, 122. Im Christentum ist „Gott“ wesentlich mit dem Auftreten der Person des Jesus von Nazareth und seinem Christus-Wirken verbunden, woraus sich die Sinnhaftigkeit christlich-metaphorischer Rede von Gott als „Person“ ergibt, die zu den Menschen spricht und an die sich Menschen mit ihren Worten wenden können.

    4. Heilsbotschaft

    Von neutestamentlichen Zeiten an wird für die christliche Heilsbotschaft zusammenfassend der aus dem Griechischen stammende Begriff „Evangelium“ (euvagge,lion = gute Nachricht) gebraucht. Geschichtlich grundlegend handelt es sich um die bedingungslose Wertschätzung, die Jesus von Nazareth seinen Mitmenschen entgegenbrachte, indem er z. B. ihnen Vergebung zusprach, oder sie mit seinem heilenden Wort gesund machte, oder ihnen durch Gleichnisse die Gottesherrschaft zusagte, oder sie mit seiner Tischgemeinschaft glücklich machte usw. Seit Ostern tragen die ihm Vertrauenden Christi Achtung zu den Menschen durch die Zeiten hindurch weiter. Indem seine vorbehaltlose Anerkennung in die Lebenswelten und in die Strukturen menschlicher Kommunikation eindringt und ihre Ambivalenz offenlegt, offenbart sich an seinem heilstiftenden Zuspruch zugleich sein Anspruch auf Umkehr. Diese Dialektik durchzieht unter den Symbolbegriffen Gesetz und Evangelium bzw. Evangelium und Gesetz die ganze Frömmigkeitsgeschichte des Christentums in einer Vielzahl von konfessionellen (Unter)Scheidungen und Frömmigkeitsbewegungen.

    Die reformatorische Wiederentdeckung der biblischen Rechtfertigungsbotschaft durch Martin Luther oes-gnd-iconwaiting... ist begleitet von seiner Hochschätzung des Wortes Gottes als befreiender Botschaft, welche vor allem als mündliches Wort ergeht („gut Geschrei, davon man singet, saget und fröhlich ist“5Luther, Martin, Vorrede auf das Neue Testament (1522), in: Bornkamm, Heinrich (Hrsg.), Luhers Vorreden zur Bibel, Göttingen 31989, 167-172, 168, in ihrer schriftlichen Fixierung hingegen nachrangig ist. Aber schon in der Reformation, erst recht in der protestantischen Orthodoxie verengt sich das Verständnis vom „Wort Gottes“ auf den Buchstaben der „Heiligen Schrift“. Über die historische Kritik an der biblischen Überlieferung und über die wachsende Einsicht in die Zeitgebundenheit aller Glaubenszeugnisse bricht sich das hermeneutische Problembewusstsein Bahn und lernt zwischen dem Evangelium und den immer neuen Bemühungen um Verstehen desselben zu unterscheiden. So z. B. thematisiert Rudolf Bultmann oes-gnd-iconwaiting... im 20. Jh. unter den Verstehensbedingungen der Moderne und europäischer Existenzphilosophie den Zusammenhang von biblischem Kerygma und existentialer Interpretation. Oder gegenwärtig wird jener Zusammenhang kommunikationswissenschaftlich diskutiert in der Differenzierung von Ermutigung durch die Heilsbotschaft (Jesu vorbehaltlose Anerkennung im Zeugnis der Christinnen und Christen) vornehmlich im performativen Sprachduktus sozialisierter Konventionalität und die Reflexion darauf im konstativen, nach Erklärung suchenden Sprachduktus im Horizont jeweiligen Daseinsverständnisses und kritischer Wissenschaftsverantwortung.

    Literaturangaben

    Barth, Ulrich, Symbole des Christentums. Berliner Dogmatikvorlesung, Tübingen 2021.

    Buber, Martin, Ich und Du, Leipzig 1923.

    Bultmann, Rudolf, Neues Testament und Mythologie, München 1941.

    Dalferth, Ulrich I., Inbegriff oder Index? Zur philosophischen Hermeneutik von „Gott“, in: Beiheft zur BThZ (1999), 89–132.

    Denzinger, Heinrich (Abk. DS), Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen, hrsg. von Hünermann, Peter, Freiburg i. Br. 371991.

    Gehlen, Arnold, Urmensch und Spätkultur. Philosophische Ergebnisse und Aussagen, Bonn 1956.

    Habermas, Jürgen, Theorie des kommunikativen Handelns (2 Bände), Frankfurt a. M. 1981.

    Herder, Johann Gottfried, Abhandlung über den Ursprung der Sprache, Berlin 1772.

    Humboldt, Wilhelm von, Über die Verschiedenheiten des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts, 1836.

    Jüngel, Eberhard/Ricœur, Paul (Hrsg.), Metapher. Zur Hermeneutik religiöser Sprache, in: EvTh Sonderheft (1972).

    Kant, Immanuel, Kritik der reinen Vernunft, 1781.

    Kant, Immanuel, Kritik der praktischen Vernunft, 1788.

    Luther, Martin, Vorrede zum Neuen Testament, 1522.

    Petzoldt, Matthias, Sprache schafft Wirklichkeit. Zur Rezeption der Sprechakttheorie in der Fundamentaltheologie, Darmstadt 2020.

    Schleiermacher, Friedrich, Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der Evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, Berlin 21839/31.

    Tomasello, Michael, Ursprünge der menschlichen Kommunikation, Frankfurt a. M. 2004.

    Weder, Hans, Widerspiegelung der Kreativität. Neutestamentliche Überlegungen zur kosmologischen Dimension religiöser Sprache und Erkenntnis, in: Audretsch, Jürgen/Weder, Hans, Kosmologie und Kreativität. Theologie und Naturwissenschaft im Dialog, in: ThLZ.F 1 (1999), 47–80.

    Wittgenstein, Ludwig, Tractatus Logico-Philosophicus, London 1921.

    Wittgenstein, Ludwig, Philosophische Untersuchungen, Frankfurt a. M. 1953.

    Einzelnachweise

    • 1
      Persona est „naturae rationabilis individua substantia” (Boethius, Anicius M. S., Contra Eutychen et Nestorium, in: Ders., Die theologischen Traktate. Übers., eingel. und mit Anm. versehen von Elsässer, Michael, Hamburg 1988, 74).
    • 2
      Vgl. Meister Eckhart, Liber Parabolarum Genesis, in: Sturlese, Loris/Rubino, Elisa (Hrsg.), Meister Eckhart. Studienausgabe der Lateinischen Werke, Stuttgart 2016, 201 ̶ 393, 324.
    • 3
      “…quia inter creatorem et creaturam non potest tanta similitudo notari, quin inter eos maior sit dissimilitudo notanda” (DS 806).
    • 4
      Dalferth, Inbegriff oder Index?, 122.
    • 5
      Luther, Martin, Vorrede auf das Neue Testament (1522), in: Bornkamm, Heinrich (Hrsg.), Luhers Vorreden zur Bibel, Göttingen 31989, 167-172, 168
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