Resilienz

„Resilienz“ ist ein vieldiskutiertes Thema – jedoch kein traditionelles Thema der Systematischen Theologie. Anhand des Resilienzdiskurses kann gezeigt werden, wie interdisziplinäre Forschung außerhalb des Bereiches der loci die Systematische Theologie bereichert – und was umgekehrt der Beitrag der Theologie zum interdisziplinären Dialog mit den empirisch arbeitenden Wissenschaften sein kann. Dabei kommen insbesondere mediopassive Formen des Umgangs mit Krisen sowie die Dynamik zwischen Hoffnung und Ringen mit Destruktivität in den Blick.

Inhaltsverzeichnis

    1. Resilienz als systematisch-theologisches Thema

    „Resilienz“ ist zu einem vieldiskutierten Thema geworden – seit etwa zehn Jahren verstärkt in der wissenschaftlichen Forschung,1So z. B. das Leibniz-Institut für Resilienzforschung unter der Leitung des Humanbiologen Raffael Kalisch. in der Gesellschaft, dort z. B. mit Resilienztrainings in Firmen oder für Gruppen, aber auch im privaten Bereich mit einer Vielzahl von Ratgebern zur Stärkung der eigenen Resilienz. Die Popularität des Begriffes Resilienz lässt sich – zunächst – auch mit dem damit verbundenen Versprechen erklären: Es kann doch eine Möglichkeit geben, mit Krisen (auf der persönlichen, der gesellschaftlichen und letztlich der globalen Ebene) so umzugehen, dass daraus etwas Positives entstehen kann.

    Vor diesem Hintergrund erklärt sich, dass sich ebenso die theologische Forschung,2Vgl. z. B. das Projekt „Resilienz in Religion und Spiritualität“ (https://www.etf.uni-bonn.de/de/fakultaet/drittmittelprojekte/dfg-for-2686-resilienz-in-religion-und-spiritualitaet/dfg-for-2686-resilienz-in-religion-und-spiritualitaet), abgerufen am 05.02.2025. kirchenleitende Strukturen (so z. B. in Resilienztrainings für Pfarrer*innen) und einzelne Gläubige mit der Resilienz beschäftigen. Trotzdem gilt natürlich, dass Resilienz kein etabliertes Thema der Systematischen Theologie ist, insofern es weder ein quellensprachlicher Begriff noch ein klassischer dogmatischer locus oder eine religionsphilosophisch reflektierte, anthropologische Kategorie ist, so dass die Betrachtung von Resilienz in der Theologie immer auch mitlaufende methodologische Reflexionen und Interdisziplinarität erfordert: Anhand des Resilienzdiskurses lässt sich zunächst zeigen, wie interdisziplinäre, kollaborative Forschung aus der Perspektive der Systematischen Theologie durchgeführt werden kann – und wie in dieser Zusammenarbeit neue Perspektiven (z. B. das Konzept der Mediopassivität) die Materialdogmatik und die Prolegomena bereichern können. Ebenso kann der Beitrag der (Systematischen) Theologie zum interdisziplinären Diskurs mit den empirisch arbeitenden Wissenschaften dargestellt werden.

    2. Was ist Resilienz?

    Dazu benötigt es einen äußerst kurzen Überblick über den Begriff der Resilienz: Ganz grundlegend muss zwischen Formen personaler Resilienz, kollektiven Formen von Resilienz, aber auch der Resilienz von (Öko-)Systemen unterschieden werden. Personale Resilienz, auf der im Folgenden der Fokus liegen soll, meint dabei – in einer vorläufigen Definition – die Fähigkeit von Menschen mit unterschiedlichen Formen von Krisen und Stress umgehen zu können. Der Begriff wurde ab 1977 von den Anthropologinnen Emmy E. Werner oes-gnd-iconwaiting... und Ruth Smith oes-gnd-iconwaiting... in die Debatte eingebracht.3Vgl. Werner, Emmy/Smith, Ruth, Vulnerable but Invincible. A Longitudinal Study of Resilient Children and Youth, New York 1982. „Resilienz“ beschreibt letztlich das Erstaunen der Forscher:innen darüber, dass ein Teil von Kindern aus sozio-ökonomisch schwachen Familien in ihrer Langzeitstudie ein (soweit sich das empirisch messen lässt) gelungenes, physisch und psychisch gefestigtes Leben führen konnten. Aus diesem Erstaunen entwickelte sich die zunächst in der Anthropologie, dann in der Psychologie sowie Neurologie beheimatete Resilienzforschung: In diesem Setting ist die mit der Resilienz verbundene Frage, wie sich dieser gelingende Umgang mit Krisen, Vulnerabilitäten und ungünstigen Ausgangsbedingungen kultivieren oder stärken lassen könnte, und wie das Zusammenspiel von Resilienz als Persönlichkeitsmerkmal, dem resilienten Prozess im Umgang mit Krisen sowie einer resilienten Haltung als Ziel therapeutischer Interventionen verstanden werden kann.4Vgl. Kalisch, Raffael/Kampa, Miriam, Konzeptuelle Fundierung der empirischen individuellen Resilienzforschung. Begriffsdefinition, Betrachtungsebenen, Operationalisierung und eine bewertungsbasierte Theorie, in: Sautermeister, Jochen et al. (Hrsg.), Resilienz im Horizont menschlichen Handelns (Religion und Gesundheit 4), Stuttgart 2024, 11–38. Auch wenn die Forschung mittlerweile davon Abstand nimmt, von einer (stetig, im Umgang mit allen Krisen) resilienten Persönlichkeit zu sprechen,5Vgl. Geiser, Franziska et al., Gibt es die „resiliente Persönlichkeit“?, in: Spiritual Care 10 (2021/2), 11–127 (https://doi.org/10.1515/spircare-2020-0125), abgerufen am 05.02.2025. entstand die sich in den Ratgeberliteraturen niederschlagende Vorstellung, dass „Resilienz“ als ein stabiles Merkmal durch Einübung oder Interventionen so verstetigt werden könnte, dass Menschen von allen Arten von (Lebens-)Krisen nicht mehr umgeworfen werden (meist in Ableitung des Begriffs von dem lateinischen „resilire“, zurückspringen, wie er sich in der Materialwissenschaft entwickelt hatte, um dort solche Materialien zu beschreiben, die möglichst unverändert in den Ausgangszustand zurückkehren). In komplexerer Weise ausgerichtet spielt die Suche nach denjenigen Faktoren und Mechanismen, die Menschen in allen Altersklassen lernen und/oder einüben können, um Krisen resilient zu bewältigen, in der pädagogisch ausgerichteten Resilienz-Forschung eine wichtige Rolle.6Vgl. Rönnau-Böse, Maike/Fröhlich-Gildhoff, Klaus, Resilienz und Resilienzförderung über die Lebensspanne, Stuttgart 32024. Deswegen ist immer kritisch mitzubedenken, welche normativen Annahmen in bestimmten Resilienzverständnnissen eine Rolle spielen: Im Sinne der Widerstandsfähigkeit des „Stehaufmännchens“ würde ein resilientes Verhalten darin bestehen, sich nicht von der Krise berühren und verändern zu lassen. Wenn Resilienz hingegen verstanden wird als Fähigkeit zur Anpassung in einer Krise, so dass die physische und psychische Funktionsfähigkeit aufrecht erhalten wird, gehört es dazu, die Krise in das eigene Leben zu integrieren.7Vgl. Wu, Gang et al., Understanding Resilience, in: Front Behav Neurosci 7/10 (2013), 1–15. In Ansätzen, die Resilienz als Wachstum verstehen, ist es gerade die durch den resilienten Umgang mit der Krise ausgelöste Veränderung, die als produktiv verstanden wird, und die – wenn möglich – gefördert werden sollte. Insbesondere dieses Verständnis von Krise als Wachstum gerät mit der Profilierung der Resilienzforschung und der Popularität des Begriffes in die Kritik, da Resilienz immer mehr zu einem Narrativ einer zu fordernden Haltung wird, die für Einzelne überfordernd wirken kann. Ebenso wird kritisch in den Blick genommen, inwiefern eine (eigentlich positiv zu beurteilende) Förderung personaler Resilienz dazu instrumentalisiert werden kann, strukturelle Probleme und Ungleichgewichte bestehen zu lassen.8Vgl. Slaby, Jan, Strukturelle Brutalisierung. Resilienz als Fanal der Selbsterhaltungsvernunft, in: Sautermeister, Jochen et al. (Hrsg.), Resilienz im Horizont menschlichen Handelns (Religion und Gesundheit 4), Stuttgart 2024, 133–149, ausgehend von dem früheren Beitrag von Slaby, Jan, Kritik der Resilienz, in: Kurbacher, Frauke A./Wüschner, Philipp (Hrsg.), Was ist Haltung? Begriffsbestimmung, Positionen, Anschlüsse, Würzburg 2016, 273–298; zum Vulnerabilitätsdiskurs: Keul, Hildegund, Vulnerabilität, Vulneranz und Resilienz. Zur Überwindung binärer Codierungen in der Resilienzforschung, in: Sautermeister, Jochen et al. (Hrsg.), Resilienz im Horizont menschlichen Handelns (Religion und Gesundheit 4), Stuttgart 2024, 83–105.

    3. Interdisziplinär zur Resilienz arbeiten

    In der Theologie kommt „Resilienz“ zwar teilweise als eine Form der Hermeneutik für theologische Phänomene,9Vgl. Sedmak, Clemens/Bogaczyk-Vormayr, Malgorzata (Hrsg.), Patristik und Resilienz. Frühchristliche Einsichten in die Seelenkraft, Berlin/München/Boston 2012. jedoch vor allen Dingen aus dieser kritischen Perspektive gegenüber Funktionalisierungen des Resilienzverständnisses in den Blick. Diese kritische Perspektive gehört notwendigerweise zum Resilienzdiskurs, wie Cornelia Richter oes-gnd-iconwaiting... resümiert, da Resilienz „selbst ein ambivalentes Krisenphänomen par excellence ist“.10Richter, Cornelia, Einleitung: Ohnmacht und Angst aushalten. Zu Kritik und Ergänzung dominant aktiver Resilienzfaktoren, in: Dies (Hrsg.), Ohnmacht und Angst aushalten. Kritik der Resilienz in Theologie und Philosophie (Religion und Gesundheit 1), Stuttgart 2017, 9–29, 13. Die Beschäftigung mit der Resilienz erfordert es also mitzubedenken, dass es Resilienz nicht ohne Krise gibt und daher zu fragen ist, was eigentlich die „Krise“ ausmacht, mit der resilient umgegangen werden soll.

    Entsprechend ist die theologische Forschung zur Resilienz interdisziplinär ausgerichtet und bezieht solche Wissenschaften mit ein, die sich ebenfalls mit den Menschen (und ihren Krisen) beschäftigen, so die Philosophie, die Soziologie, aber auch empirisch arbeitende Wissenschaften wie Psychologie und Medizin.11Vgl. die Beiträge in dem Sammelband Richter, Cornelia (Hrsg.), An den Grenzen des Messbaren. Die Kraft von Religion und Spiritualität in Lebenskrisen (Religion und Gesundheit 3), Stuttgart 2021; insbesondere auch Klein, Constantin/Bethe, Stephan, Messbare Ausschnitte des Unermesslichen? Wie Spiritualität und spirituelles Wohlbefinden in der sozial- und gesundheitswissenschaft­lichen Forschung gemessen werden können, in: Richter, Cornelia (Hrsg.), An den Grenzen des Messbaren. Die Kraft von Religion und Spiritualität in Lebenskrisen (Religion und Gesundheit 3), Stuttgart 2021, 117–143. Für die Systematische Theologie eröffnet dieser interdisziplinäre Dialog über Resilienz neue Perspektiven, so wesentlich über die an die Theolog:innen herangetragene Frage: „Hilft der Glaube oder hilft er nicht?“.12Vgl. Richter, Cornelia/Geiser, Franziska, „Hilft der Glaube oder hilft er nicht?“ Von den Herausforderungen, Religion und Spiritualität im interdisziplinären Gespräch über Resilienz zu erforschen, in: Richter, Cornelia (Hrsg.), An den Grenzen des Messbaren. Die Kraft von Religion und Spiritualität in Lebenskrisen (Religion und Gesundheit 3), Stuttgart 2021, 9–36. Auch wenn man in einer religionsphilosophisch reflektierten Bestimmung an der generellen Unverfügbarkeit Gottes sowie des Glaubens festhält (und festhalten möchte), zeigt das Beispiel der Resilienz, dass sich die Systematische Theologie den Anfragen an die Wirkung von Glaubenspraxen, religiös-spirituellen Settings, dogmatischen Vorstellungen und den Erzählungen der christlichen Tradition nicht entziehen kann. Vielmehr ist die Systematik herausgefordert, funktionale Problemstellung zu integrieren und zu reflektieren, wie und in welchem Umfang die Einbeziehung empirischer Methoden bis an die Grenzen des Messbaren möglich ist.13Vgl. Richter, Grenzen. Dann kann die Systematische Theologie im interdisziplinären Diskurs einbringen, wann und in welchen Formen zu glauben resilienzförderlich sein kann – und wo bestimmte Glaubens- und Gottesvorstellungen hinderlich für einen resilienten Umgang mit der Krise sein können.

    4. Exkurs: Mediopassivität

    Exemplarisch lässt sich der gegenseitige Gewinn einer interdisziplinären Betrachtung von Resilienz an der Einführung der (heuristischen) Kategorie der Mediopassivität in die Theologie zeigen. Der Begriff der Mediopassivität wurde von der Philosophin Béatrice Han-Pile oes-gnd-iconwaiting... geprägt: Als mediopassiv können zunächst solche Phänomene charakterisiert werden, die als ein „sich lassen“ in ansonsten Passivität erfordernden Situationen verstanden werden. Damit erwies sich Mediopassivität als ein Schlüsselkonzept für die Resilienz, mit dem weder das Extrem einer hektischen Aktivität, die unbedingt nach einer machbaren Lösung sucht, noch das vollständig passive Versinken in die Verzweiflung, als Formen des Umgangs mit einer Krise profiliert werden: In einer mediopassiven Haltung kann man sich vielmehr so auf eine Krise einlassen und sich ihr überlassen, dass das (eigentlich passive) Aushalten dieser Krise schon ein gestaltender Umgang mit dieser Krise ist.14Vgl. zu der Genese des Begriffes bei der Philosophin Béatrice Han-Pile und für die Resilienz notwendigen Umformungen: Richter, Cornelia, Integration of Negativity. Powerlessness and the Role of the Mediopassive, in: JRAT 7/2 (2021), 491–513. Es zeigte sich, dass religiöse und liturgische Praxen wie das Gebet, das Singen oder auch die Stille sowie theologisch reflektiere Figuren wie „Sich Gott zu überlassen“, Vertrauen oder auch Anfechtung eine Matrix für das interdisziplinäre Gespräch bieten können, anhand derer mediopassive Phänomene im Umgang mit Krisen diskutiert werden können.15Vgl. Armbruster, Ann-Kathrin, Figuration und Aneignung. Zur Hermeneutik von Narrativität und Bild bei Philipp Melanchthon (Hermeneutik und Interpretationstheorie 8), Paderborn 2024.

    5. Resilienz in der Dogmatik

    Aus dem bisher zur Resilienz als Thema der Systematischen Theologie Dargelegten, könnte man nun die Schlussfolgerung ziehen, dass „Resilienz“ primär ein Thema der Prolegomena ist, als ein Beitrag zu einer (religionsphilosophisch interessierten) Klärung dessen, was der Mensch ist, und nun spezifisch, was der Mensch in seinem Umgang mit Krisen ist. Denn zunächst gilt: Resilienz ist kein traditionelles Thema der Dogmatik. Ebenso ist Resilienz kein quellensprachlicher Begriff. Dennoch berichten die alt- und neutestamentlichen Texte sehr profiliert von Menschen in Krisen und ihrem Umgang damit, die als Formen personaler Resilienz verstanden werden können.16Vgl. Gärtner, Judith/Schmitz, Barbara (Hrsg.), Resilienznarrative im Alten Testament. Tagungsband der internationalen Fachtagung vom 30.01.2020–01.02.2020 in Rostock (Forschungen zum Alten Testament 156), Tübingen 2022; Gärtner, Judith/Petersen, Mirja, Klagen, beten, das Leben beweinen. Die Bedeutung der alttestamentlichen Forschung für das interdisziplinäre Gespräch im 21. Jahrhundert, in: Richter, Cornelia (Hrsg.), An den Grenzen des Messbaren. Die Kraft von Religion und Spiritualität in Lebenskrisen (Religion und Gesundheit 3), Stuttgart 2021, 79–95. Es erfordert deswegen ein exegetisch-hermeneutisch reflektiertes Vorgehen in der Eintragung von biblischen Texten in den interdisziplinären Resilienzdiskurs, das sich dann jedoch als sehr produktiv erweisen kann: So kann die alttestamentlicher Perspektive anhand der Psalmen zur Resilienzforschung beitragen, dass in dem so dynamischen wie ambivalenten Prozess der Krisenbewältigung nicht nur die Hoffnung, sondern ebenfalls das Ringen mit Destruktivität eine Rolle spielt – wie es sich in einer Vielzahl von Psalmen abbildet.17Vgl. Kelm, Margarethe/Opalka, Katharina, „Zu Gott allein ist meine Seele still“ (Ps 62,2). Stille und Schmerz in den Psalmen und deren Narrativierungen in Taizé, in: Der Schmerz 37/2 (2023).

    Weiterführende Infos WiBiLex

    „Das Verhältnis zwischen betendem Ich und Jhwh hat eine große Spannweite: Die Psalmen enthalten Hilfeschreie zu Jhwh aus tiefster Not (Ps 22; Ps 69), sie ringen mit Jhwh in leidenschaftlichen ‚Konfliktgesprächen‘ (Janowski, 2003), klagen ihn sogar an (Ps 88) und lassen zugleich das Gotteslob als Sinn des Lebens erscheinen (Ps 30,12–13; Ps 63,4.6; Ps 119,175). Sie wissen um die menschliche Fähigkeit zur sündhaften Abwendung von Gott (Ps 14; Ps 36), die sich in Israels Geschichte gezeigt hat (Ps 78; Ps 106), zielen aber darauf, dass die gestörte Gottesbeziehung des Einzelnen wie des Gottesvolks durch Gebet, Meditation und Lobpreis wiederhergestellt wird (Ps 32; Ps 51; Ps 103; Ps 130). Sie meditieren über die menschliche Vergänglichkeit (Ps 49; Ps 90) und klagen über das Wohlergehen der Frevler (Ps 37; Ps 73), sind aber stets Sprechakte, mit denen die Beziehung der Betenden zum Gott des Lebens befestigt und die Lebenskraft der Betenden erneuert wird (Ps 103); die von den Psalmen geschaffene Gottesgemeinschaft kann derart eng sein, dass sie über die Grenze des Todes hinausreicht (Ps 49,16; Ps 73,23–26).“ Müller, Reinhard, Art. Psalmen (AT). 5.2.2. Das Ich vor Gott, in: WiBiLex (https://bibelwissenschaft.de/stichwort/31528/), abgerufen am 10.02.2025.

    Ebenso kann die Christologie, ausgehend von den Kreuzes- und Passionserzählungen, als Narrativierung dieser Erfahrung einer Krisendynamik verstanden werden: Mit der Pointe, dass dann der Ausruf „Mein Gott, mein Gott, warum/wozu hast du mich verlassen“ (Mk 15,34Und zu der neunten Stunde rief Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?Zur Bibelstelle) in allen seinen ambivalenten Deutungen geradezu als Ausdruck eines resilienten Verhaltens verstanden werden kann.18Vgl. Opalka, Katharina, Was man erzählen kann, wenn man an seine Grenzen kommt. Zur Bedeutung der Narrativität im Resilienzdiskurs, in: Richter, Cornelia (Hrsg.), An den Grenzen des Messbaren. Die Kraft von Religion und Spiritualität in Lebenskrisen (Religion und Gesundheit 3), Stuttgart 2021, 97–115. Und umgekehrt kann die Christologie mit diesen Erzählungen, mit ihren Einbettungen in den Rhythmus des Kirchenjahres zwischen der Verzweiflung von Karfreitag, dem (mediopassiven) Aushalten des Karsamstags und der Osterfreude als eine Matrix für genau solche resilienten, dabei jedoch ambivalent bleibende Umgänge mit Krisen dienen (damit verbunden ist auch eine Kritik von zu schnell auf gelingende Intervention ausgerichteten theologischen Konzeptionen, in denen strukturelle Ursachen von Krisen nicht in den Blick kommen).19Vgl. Opalka, Katharina, „On Healing“. Paul Tillichs Contribution to Current Research on Resilience, in: JRAT 7 (2021), 473–490.

    Literaturangaben

    Breyer, Thiemo/Sautermeister, Jochen (Hrsg.), Resilienz im Horizont menschlichen Handelns. Begrifflich-konzeptionelle Sondierungen und wissenschaftstheoretische Vergewisserungen (Religion und Gesundheit 4), Stuttgart 2022.

    Deutscher Ethikrat, Vulnerabilität und Resilienz in der Krise – Ethische Kriterien für Entscheidungen in einer Pandemie. Stellungnahme, Berlin 2022.

    Richter, Cornelia (Hrsg.), An den Grenzen des Messbaren. Die Kraft von Religion und Spiritualität in Lebenskrisen (Religion und Gesundheit 3), Stuttgart 2021.

    Richter, Cornelia/Peng-Keller, Simon (Hrsg.), Resilienz im Kontext von Spiritual Care. Themenheft der Zeitschrift Spiritual Care 20 (2021/2).

    Richter, Cornelia, Integration of Negativity, Powerlessness and the Role of the Mediopassive, in: JRAT 7/2 (2021), 491–513.

    Einzelnachweise

    • 1
      So z. B. das Leibniz-Institut für Resilienzforschung unter der Leitung des Humanbiologen Raffael Kalisch.
    • 2
    • 3
      Vgl. Werner, Emmy/Smith, Ruth, Vulnerable but Invincible. A Longitudinal Study of Resilient Children and Youth, New York 1982.
    • 4
      Vgl. Kalisch, Raffael/Kampa, Miriam, Konzeptuelle Fundierung der empirischen individuellen Resilienzforschung. Begriffsdefinition, Betrachtungsebenen, Operationalisierung und eine bewertungsbasierte Theorie, in: Sautermeister, Jochen et al. (Hrsg.), Resilienz im Horizont menschlichen Handelns (Religion und Gesundheit 4), Stuttgart 2024, 11–38.
    • 5
      Vgl. Geiser, Franziska et al., Gibt es die „resiliente Persönlichkeit“?, in: Spiritual Care 10 (2021/2), 11–127 (https://doi.org/10.1515/spircare-2020-0125), abgerufen am 05.02.2025.
    • 6
      Vgl. Rönnau-Böse, Maike/Fröhlich-Gildhoff, Klaus, Resilienz und Resilienzförderung über die Lebensspanne, Stuttgart 32024.
    • 7
      Vgl. Wu, Gang et al., Understanding Resilience, in: Front Behav Neurosci 7/10 (2013), 1–15.
    • 8
      Vgl. Slaby, Jan, Strukturelle Brutalisierung. Resilienz als Fanal der Selbsterhaltungsvernunft, in: Sautermeister, Jochen et al. (Hrsg.), Resilienz im Horizont menschlichen Handelns (Religion und Gesundheit 4), Stuttgart 2024, 133–149, ausgehend von dem früheren Beitrag von Slaby, Jan, Kritik der Resilienz, in: Kurbacher, Frauke A./Wüschner, Philipp (Hrsg.), Was ist Haltung? Begriffsbestimmung, Positionen, Anschlüsse, Würzburg 2016, 273–298; zum Vulnerabilitätsdiskurs: Keul, Hildegund, Vulnerabilität, Vulneranz und Resilienz. Zur Überwindung binärer Codierungen in der Resilienzforschung, in: Sautermeister, Jochen et al. (Hrsg.), Resilienz im Horizont menschlichen Handelns (Religion und Gesundheit 4), Stuttgart 2024, 83–105.
    • 9
      Vgl. Sedmak, Clemens/Bogaczyk-Vormayr, Malgorzata (Hrsg.), Patristik und Resilienz. Frühchristliche Einsichten in die Seelenkraft, Berlin/München/Boston 2012.
    • 10
      Richter, Cornelia, Einleitung: Ohnmacht und Angst aushalten. Zu Kritik und Ergänzung dominant aktiver Resilienzfaktoren, in: Dies (Hrsg.), Ohnmacht und Angst aushalten. Kritik der Resilienz in Theologie und Philosophie (Religion und Gesundheit 1), Stuttgart 2017, 9–29, 13.
    • 11
      Vgl. die Beiträge in dem Sammelband Richter, Cornelia (Hrsg.), An den Grenzen des Messbaren. Die Kraft von Religion und Spiritualität in Lebenskrisen (Religion und Gesundheit 3), Stuttgart 2021; insbesondere auch Klein, Constantin/Bethe, Stephan, Messbare Ausschnitte des Unermesslichen? Wie Spiritualität und spirituelles Wohlbefinden in der sozial- und gesundheitswissenschaft­lichen Forschung gemessen werden können, in: Richter, Cornelia (Hrsg.), An den Grenzen des Messbaren. Die Kraft von Religion und Spiritualität in Lebenskrisen (Religion und Gesundheit 3), Stuttgart 2021, 117–143.
    • 12
      Vgl. Richter, Cornelia/Geiser, Franziska, „Hilft der Glaube oder hilft er nicht?“ Von den Herausforderungen, Religion und Spiritualität im interdisziplinären Gespräch über Resilienz zu erforschen, in: Richter, Cornelia (Hrsg.), An den Grenzen des Messbaren. Die Kraft von Religion und Spiritualität in Lebenskrisen (Religion und Gesundheit 3), Stuttgart 2021, 9–36.
    • 13
      Vgl. Richter, Grenzen.
    • 14
      Vgl. zu der Genese des Begriffes bei der Philosophin Béatrice Han-Pile und für die Resilienz notwendigen Umformungen: Richter, Cornelia, Integration of Negativity. Powerlessness and the Role of the Mediopassive, in: JRAT 7/2 (2021), 491–513.
    • 15
      Vgl. Armbruster, Ann-Kathrin, Figuration und Aneignung. Zur Hermeneutik von Narrativität und Bild bei Philipp Melanchthon (Hermeneutik und Interpretationstheorie 8), Paderborn 2024.
    • 16
      Vgl. Gärtner, Judith/Schmitz, Barbara (Hrsg.), Resilienznarrative im Alten Testament. Tagungsband der internationalen Fachtagung vom 30.01.2020–01.02.2020 in Rostock (Forschungen zum Alten Testament 156), Tübingen 2022; Gärtner, Judith/Petersen, Mirja, Klagen, beten, das Leben beweinen. Die Bedeutung der alttestamentlichen Forschung für das interdisziplinäre Gespräch im 21. Jahrhundert, in: Richter, Cornelia (Hrsg.), An den Grenzen des Messbaren. Die Kraft von Religion und Spiritualität in Lebenskrisen (Religion und Gesundheit 3), Stuttgart 2021, 79–95.
    • 17
      Vgl. Kelm, Margarethe/Opalka, Katharina, „Zu Gott allein ist meine Seele still“ (Ps 62,2). Stille und Schmerz in den Psalmen und deren Narrativierungen in Taizé, in: Der Schmerz 37/2 (2023).
    • 18
      Vgl. Opalka, Katharina, Was man erzählen kann, wenn man an seine Grenzen kommt. Zur Bedeutung der Narrativität im Resilienzdiskurs, in: Richter, Cornelia (Hrsg.), An den Grenzen des Messbaren. Die Kraft von Religion und Spiritualität in Lebenskrisen (Religion und Gesundheit 3), Stuttgart 2021, 97–115.
    • 19
      Vgl. Opalka, Katharina, „On Healing“. Paul Tillichs Contribution to Current Research on Resilience, in: JRAT 7 (2021), 473–490.

    Zitierweise

    Opalka, Katharina: „Resilienz“, Version 1.0, in: Onlinelexikon Systematische Theologie, 1. Mai 2025. DOI: https://doi.org/10.15496/publikation-105565

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