Künstliche Intelligenz (KI) bezeichnet Systeme, die intelligentes Verhalten zeigen, indem sie ihre Umgebung analysieren und selbstständig Maßnahmen ergreifen, um bestimmte Ziele zu erreichen. Die Formen, in denen KI eingesetzt werden kann, können sehr unterschiedlich sein, z. B. als bloße Softwaresysteme wie z. B. Suchmaschinen oder Sprachassistenz oder als Hardware wie z. B. autonome Fahrzeuge, autoregulative Waffensysteme oder Roboter.1Die Definitionen zu KI sind vielfältig und umstritten. Besonders das Intelligenzverständnis, das sich von dem des Menschen unterscheidet, wird breit kritisiert. Die vorliegende Definition bezieht sich auf: High-Level Expert Group on Artificial Intelligence (European Commission), A Definition of AI. Main Capabilities and Disciplines, Definition Developed for the Purpose of the AI HLEG’s Deliverables 2019. Diese bezieht sich auf European Commission, Communication from the Commission to the European Parliament, the European Council, the Council, the European Economic and Social Committee and the Committee of the Regions on Artificial Intelligence for Europe, Brussels, 25.4.2018 COM (2018), 237. Im Dokument lässt sich eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Definition von KI finden. Zur vertieften Auseinandersetzung mit den verschiedenen Definitionen von KI vgl. Russell, Stuart J./Norvig, Peter, Artificial Intelligence. A Modern Approach (Pearson Series in Artificial Intelligence), Harlow 42022. Der Begriff und das Forschungsfeld „Künstliche Intelligenz“ (engl. „artificial intelligence“) wurden vor allem 1956 auf dem Dartmouth Workshop geprägt. Inzwischen wird KI für alle Lebensbereiche entwickelt, z. B. Medizin, Pflege, Bildung, Kultur, Recht, Militär, Politik und Verwaltung.
KI kann Thema theologischen Nachdenkens sein, aber KI kann auch für religiöse Praktiken, Zwecke und Arbeitsbereiche eine Rolle spielen. Der religiöse Einsatz von KI und Technik ist vielfältig: KI kann für Veranstaltungsorganisation, Verwaltungsaufgaben und Datenmanagement religiöser Gemeinschaften eingesetzt werden. Es können Virtual und Augmented Reality in religiöser Bildung und KI und Technik in Sorgearbeit und im Gesundheitsbereich verwendet werden. Generative KI kann religiöse Texte, Musik und Bilder produzieren oder bestehendes religiöses Textmaterial analysieren. Religiöse Zeremonien werden auf der Gaming-Plattform Roblox gefeiert, es werden digitale Trauerräume gestaltet, digitale Avatare religiöser Persönlichkeiten, religiöse Bots und religiöse Roboter entwickelt. KI transformiert also religiöse Bereiche und Praktiken auf umfassende Weise.
Im Vergleich zur philosophischen Auseinandersetzung mit KI, z. B. in der philosophischen Ethik,2Vgl. Müller, Vincent C., Art. Ethics of Artificial Intelligence and Robotics, in: The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Fall 2023 Edition); Crawford, Kate, Atlas of AI. Power, Politics, and the Planetary Costs of Artificial Intelligence, New Haven 2021; Loh, Janina, Roboterethik. Eine Einführung (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 2277), Berlin 2019; Loh, Janina/Coeckelbergh, Mark (Hrsg.), Feminist Philosophy of Technology (Techno:Phil – Aktuelle Herausforderungen der Technikphilosophie 2), Stuttgart 2019; Coeckelbergh, Mark, AI Ethics (MIT Press Essential Knowledge Series), Cambridge 2020; Nyholm, Sven, This Is Technology Ethics. An Introduction (This Is Philosophy), Hoboken 2023. ist die theologische Beschäftigung mit KI noch jung und hat erst um 2020 an Fahrt aufgenommen. Der Diskurs zu Digitalisierung und Medienethik ist in den Theologien und Religionswissenschaften bereits älter und etablierter.3Vgl. Campbell, Heidi A./Cheong, Pauline (Hrsg.), The Oxford Handbook of Digital Religion, Oxford 2022; Phillips, Peter M./Schiefelbein-Guerrero, Kyle/Kurlberg, Jonas, Defining Digital Theology. Digital Humanities, Digital Religion and the Particular Work of the CODEC Research Centre and Network, in: Open Theology 5 (2019), 29–43; Filipović, Alexander, Medienethik und Digitalität. Öffentlichkeit und Meinungsfreiheit im technischen Kontext, in: Beck, Wolfgang et al. (Hrsg.), Theologie und Digitalität. Ein Kompendium, Freiburg 2021, 447–463; Campbell, Heidi A. (Hrsg.), Digital Judaism. Jewish Negotiations with Digital Media and Culture (Routledge Studies in Religion and Digital Culture 2), London/New York 2017; Campbell, Heidi A./Dyer, John (Hrsg.), Ecclesiology for a Digital Church. Theological Reflections on a New Normal, London 2022; Campbell, Heidi A., Digital Religion. Understanding Religious Practice in New Media Worlds, Abingdon/Oxon/New York 2013; Campbell, Heidi A., When Religion Meets New Media, London/New York 2010; Campbell, Heidi A., Exploring Religious Community Online. We Are One in the Network (Digital Formations v. 24), New York 2005; Beck, Wolfgang et al. (Hrsg.): Theologie und Digitalität. Ein Kompendium, Freiburg i. Br. 2021; Cheong, Pauline H. et al. (Hrsg.), Digital Religion, Social Media, and Culture. Perspectives, Practices, and Futures (Digital Formations 78), New York 2012; Oorschot, Frederike van, Digitale Theologie und digitale Kirche, Heidelberg 2023. Der Fokus soll hier jedoch auf KI und die damit verbundenen neuen Technologien gelegt werden, wobei die Grenze nicht eindeutig zu ziehen ist und verschwimmt. In den letzten Jahren sind viele Aufsätze, Sammelbände und Journal Issues zu Religion und KI erschienen, die jeweils ganz verschiedene Perspektiven und Technologien behandeln und dabei das Thema Theologie, Religion und KI vor allem auf der grundlegenden Ebene besprechen.4Vgl. Puzio, Anna et al. (Hrsg.), Alexa, wie hast du’s mit der Religion? Theologische Zugänge zu Technik und Künstlicher Intelligenz (Theologie und Künstliche Intelligenz 1), Darmstadt 2023; Special Issue. Artificial Intelligence and Religion, in: Implicit Religion 20 (2017); Filipović, Alexander, Ethical and Social Consequences of Artificial Intelligence. Insights from a Christian Social Ethics Perspective, in: Pegoraro, Renzo/Paglia, Vincenzo (Hrsg.), The „Good“ Algorithm. Artificial Intelligence, Ethics, Law, Health. Proceedings of the XXV General Assembly of Members, Vatican City, February 25–27, 2019, Vatican City 2021, 47–69; Koska, Christopher/Filipović, Alexander, Gestaltungsfragen der Digitalität. Zu den sozialethischen Herausforderungen von künstlicher Intelligenz, Big Data und Virtualität, in: Bergold, Ralph et al. (Hrsg.), Dem Wandel eine menschliche Gestalt geben. Sozialethische Perspektiven für die Gesellschaft von morgen, Freiburg 2017, 173–191; Diebel-Fischer, Hermann et al. (Hrsg.), Mensch und Maschine im Zeitalter „Künstlicher Intelligenz“, Münster 2023; Campbell, Heidi A./Cheong, Pauline H. (Hrsg.), Thinking Tools for AI, Religion & Culture, 2023; Reichel, Hanna/Oorschot, Frederike van (Hrsg.), Theologies of the Digital, in: Cursor 3 (2021); Oorschot, Frederike van/Höhne, Florian (Hrsg.), Theologies of the Digital II, in: Cursor 4 (2023); Special Issue. Gone Digital. How Digitality Disrupts Theology, in: Cursor (2021); Isetti, Giulia et al. (Hrsg.), Religion in the Age of Digitalization. From New Media to Spiritual Machines (Media, Religion and Culture), London/New York 2022; Göcke, Benedikt P./Rosenthal-von der Pütten, Astrid (Hrsg.), Artificial Intelligence. Reflections in Philosophy, Theology and the Social Sciences, Paderborn 2020. Wichtige Themenfelder sind hier die Anthropologie und das Verhältnis von Mensch und Maschine, Relationalität, Robotik, medizinische Technologien, Eschatologie, Transhumanismus und die Frage nach mentalen Zuständen und Religiosität von Maschinen. Kürzlich erschienen auch erste Einführungen und Überblicksliteratur zum Thema.5Vgl. Singler, Beth/Watts, Fraser N. (Hrsg.), The Cambridge Companion to Religion and Artificial Intelligence, Cambridge 2024; Singler, Beth, Religion and Artifical Intelligence. An Introduction, London 2024. Diese bisher wenig spezifizierte Ausrichtung der Publikationen und die noch wenige Einführungsliteratur weist auf die noch junge Entwicklung der theologischen Beschäftigung mit KI hin.
Weiterführende Infos
Die Philosophin Janina Loh zu den Unterschieden der Konzepte von Trans- und Posthumanismus:
1. KI als Thema der Theologien
KI verändert die Lebenswelt der Menschen, Religion und Arbeitsweisen der Theologien und transformiert somit alle Disziplinen der Theologien, z. B. die Exegese, Ethik und Praktische Theologie. Die christlich-theologische Beschäftigung mit KI war in ihrer Anfangszeit nicht selten von Technikskeptizismus geprägt, den es immer noch gibt,6Dieser Technikskeptismus ist besonders in westlichen Gesellschaften vorherrschend (sogenannter „Frankenstein-Komplex” [Isaac Asimov]), während z. B. in Japan eine viel offenere, positivere Haltung gegenüber Technik verbreitet ist. Vgl. Trovato, Gabriele et al., Religion and Robots. Towards the Synthesis of Two Extremes, in: International Journal of Social Robotics 13 (2021), 539–556. Bei dieser Technikangst spielen auch die Medien eine zentrale Rolle, die bestimmte Techniknarrative fördern. hat aber auch schon immer viele zukunftsbejahende wegweisende Perspektiven dargestellt, in denen die Technologien auch positiv evaluiert werden. KI stellt nicht nur eine Herausforderung für die Theologien dar, sondern auch eine Chance und eröffnet neue Möglichkeiten, sodass sie von den Theologien immer in einer Doppelperspektive von Herausforderungen und Chancen behandelt werden sollte.
Für die Theologie stellt sich zum einen die Frage, wie KI in religiösen Praktiken und Bereichen eingesetzt werden kann, z. B., ob man mit KI religiöse oder spirituelle Erfahrungen machen kann. Zum anderen muss erforscht werden, wie KI verantwortungsvoll für Mensch, Gesellschaft und Mitwelt entwickelt und eingesetzt werden kann. Es kommen Anfragen an eine Positionierung der Kirchen und Theologien auf, welche technologischen Entwicklungen aus theologischer Perspektive befürwortet oder wie sie begrenzt werden sollten7Nur weil diese Anfragen gestellt werden, heißt dies jedoch nicht, dass die Religionen eine Orientierung in Form von Verboten bieten sollten, sondern die entscheidenden Fragen im Diskurs liegen tiefer und sind komplexer. und es stellt sich die Frage, was die theologischen Perspektiven von den philosophischen im KI-Diskurs unterscheidet. Anschlusspunkte für die christlichen Theologien sind beispielsweise die Themenkreise Gerechtigkeit, Solidarität und Diversität, Beziehungen, Kontingenz und Vulnerabilität: Wie kann die Technologisierung gerecht gestaltet werden? Theologien können den Blick auf Gruppen lenken, die benachteiligt werden und im Technikdiskurs nicht zu Wort kommen. Es stellen sich neue Verantwortungsfragen in technologischen Prozessen. Außerdem können Theologien die Machtstrukturen, wie es sie unter anderem im Blick auf Datenmonopole und Big Tech gibt, aufdecken. Sie können auch Diskriminierungen aufzeigen, z. B. Sexismus, Rassismus, Ableismus und Speziesismus im KI-Diskurs, und für Diversität eintreten. Es stellen sich Fragen zur Relationalität, und zwar zu den zwischenmenschlichen Beziehungen (wie wirkt sich KI auf menschliche Beziehungen aus?), den Beziehungen des Menschen zur Umwelt (welche Konsequenzen hat KI für Umweltschutz?) und den Beziehungen zur Technik (welche Beziehungen gehen wir zu Technik ein, wie unterscheiden sie sich von anderen Beziehungen und welche Beziehungen sind normativ wertvoll?). Zum letzteren Thema hat sich in der Technikethik das Gebiet der „Human-Technology Relations“ etabliert, in dem Ansätze der Postphänomenologie, 4E Cognition, Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) und Technikfeminismus eine große Rolle spielen. Ein zentrales Thema der christlichen Theologien sind Vulnerabilität und Kontingenz, die gerade durch verschiedene Technologien, z. B. Enhancement-Technologien oder Death Technology (siehe unten), überwunden oder reduziert werden sollen.
Darüber hinaus gibt es eine ganz eigentümliche Verbindung von KI und Religion, indem im Technikdiskurs viele religiöse Motive und Themen auftauchen: z. B. Schöpfungsmotive (Mensch als Schöpfer:in, KI als Schöpfung), Heilsvorstellungen (KI als Heilsbringerin), Vorstellungen von Jenseits und Paradies, Streben nach Unsterblichkeit und ewigem Leben (z. B. digitales Jenseits, digitale Unsterblichkeit, Mind Uploading, Verwirklichung eines irdischen Paradieses mittels KI), Streben nach Beseitigung von Leid und moralischer Verbesserung (mittels KI), Transzendenzideen, Allmacht und Allwissenheit (statt von einer Gottheit von einer Superintelligenz) und verschiedene Vorstellungen einer körperlosen oder körperveränderten Existenz. Dies bedarf einer theologischen und religionswissenschaftlichen Auseinandersetzung.
Unter den vielen KI-Themen, die für die Theologien von Bedeutung sind, haben einige Themen besondere Aufmerksamkeit in der Forschung gefunden: Dazu gehören das große Interesse der Theologien am Transhumanismus und Posthumanismus, d. h. an den technologisch-philosophischen Bewegungen, die den Menschen durch Technologien grundlegend transformieren oder sogar durch eine Superintelligenz ablösen möchten.8Vgl. Thweatt-Bates, Jeannine, Cyborg Selves. A Theological Anthropology of the Posthuman (Ashgate Science and Religion Series), London 2016; Puzio, Anna, Über-Menschen: Philosophische Auseinandersetzung mit der Anthropologie des Transhumanismus (Edition Moderne Postmoderne), Bielefeld 2022; Helmus, Caroline, Transhumanismus. Der neue (Unter-)Gang des Menschen? Das Menschenbild des Transhumanismus und seine Herausforderung für die Theologische Anthropologie (Ratio Fidei 72), Regensburg 2020; Krüger, Oliver, Virtualität und Unsterblichkeit. Gott, Evolution und die Singularität im Post- und Transhumanismus (Rombach Wissenschaften, Litterae 123), Freiburg i. Br./Berlin/Wien 22019; Oorschot, Frederike van, Theologische Positionen zu Transhumanismus und KI. Ein Überblick, in: Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 75 (2023), 139–151. Neben den Transformationen des Menschseins rückt im theologischen (wie auch im philosophischen) KI-Diskurs besonders die Relationalität in den Vordergrund. Hier wird untersucht, wie sich Beziehungen und Sexualität durch Technologien wie Sexroboter verändern, wie Verkörperung (Embodiment) transformiert wird und wie man der Diversität von Körpern gerecht werden kann.9Vgl. Ott, Kate M., Sex, Tech, and Faith. Ethics For a Digital Age, Grand Rapids/Michigan 2022; Ott, Kate M., Purifying Dirty Computers. Cyborgs, Sex, Christ, and Otherness, in: Cursor (2021); O’Donnell, Karen, Being Corporeal in Digital Spaces, in: International Journal of Public Theology, (Forthcoming); O’Donnell, Karen/Midson, Scott A. (Hrsg.), Special Edition on Human Relationships and Digital Technologies, in: Journal of Theology and Sexuality (Forthcoming); Wirth, Mathias, New Haven Trans-Körper. Theologie im Gespräch mit Transhumanismus und Transsexualität, in: Zeitschrift für Evangelische Ethik 62 (2018), 10–30. Viel theologische Forschung gibt es auch zum Thema der Robotik, z. B. zur Frage nach religiösen Robotern.10Vgl. Löffler, Diana/Hurtienne, Jörn/Nord, Ilona, Blessing Robot BlessU2. A Discursive Design Study to Understand the Implications of Social Robots in Religious Contexts, in: International Journal of Social Robotics 13 (2021), 569–586; Nord, Ilona/Ess, Charles, Robotik in der christlichen Religionspraxis. Anschlussüberlegungen an erste Experimente im Feld, in: Merle, Kristin/Nord, Ilona (Hrsg.), Mediatisierung religöser Kultur. Praktisch-theologische Standortbestimmungen im interdisziplinären Kontext (Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie 58), Leipzig, 227–258; Puzio, Anna, Robot, Let Us Pray! Can and Should Robots Have Religious Functions? An Ethical Exploration of Religious Robots, in: AI & Society (2023); Puzio, Anna, A NAO Robot Performing Religious Practices, in: ET-Studies (2024), 129–140; Balle, Simon, Theological Dimensions of Humanlike Robots. A Roadmap for Theological Inquiry, in: Theology and Science 21 (2023), 132–156; Balle, Simon/Ess, Charles M., Robots in Religious Contexts, in: Nørskov, Marco et al. (Hrsg.), Culturally Sustainable Social Robotics. Proceedings of Robophilosophy 2020, August 18–21, 2020, Amsterdam 2020, 585–591; Smith, Joshua K., Robot Theology. Old Questions through New Media, Eugene 2022; Geraci, Robert M., Robotics and Religion, in: Runehov, Anne L. C./Oviedo, Lluis (Hrsg.), Encyclopedia of Sciences and Religions, Dordrecht 2013, 2067–2072; Cheong, Pauline H., Robots, Religion and Communication. Rethinking Piety, Practices and Pedagogy in the Era of Artificial Intelligence, in: Isetti, Giulia et al. (Hrsg.), Religion in the Age of Digitalization. From New Media to Spiritual Machines (Media, Religion and Culture), London/New York 2022. Religiöse Roboter werden für religiöse Praktiken eingesetzt und führen Gespräche über religiöse Themen, begleiten Gläubige beim Gebet und führen religiöse Zeremonien durch.
Weitere KI-Themen, die die Theologien behandeln, sind autoregulative Waffensysteme und Friedensforschung,11Vgl. Kunkel, Nicole, An Ethical Evaluation of Lethal Functions in Autoregulative Weapons Systems, (Forthcoming); Smith, Joshua K., Violent Tech. A Philosophical and Theological Reflection, S.l. 2023. medizinische Technologien,12Vgl. Fritz, Alexis et al. (Hrsg.), Digitalisierung im Gesundheitswesen. Anthropologische und ethische Herausforderungen der Mensch-Maschine-Interaktion (Jahrbuch für Moraltheologie 5), Freiburg i. Br. 2021. KI-Narrative (d. h. wie wir über KI sprechen),13Vgl. Oorschot, Frederike van/Fucker, Selina (Hrsg.), Framing KI. Narrative, Metaphern und Frames in Debatten über Künstliche Intelligenz (FEST Forschung 2), Heidelberg 2022. Eschatologie und apokalyptische Narrative,14Vgl. Geraci, Robert M., Apocalyptic AI. Religion and the Promise of Artificial Intelligence, in: Journal of the American Academy of Religion 76 (2008), 138–166; Geraci, Robert M., The Popular Appeal Of Apocalyptic AI, in: Zygon 45 (2010), 1003–1020; Geraci, Robert M., Apocalyptic AI. Visions of Heaven in Robotics, Artificial Intelligence, and Virtual Reality, New York 2012. die Seele,15Vgl. Poole, Eve, Robot Souls. Programming in Humanity, Boca Raton 2024; Livingston, Michael/Herzfeld, Noreen L., Could Robots Have Souls? (2009), in: Forum Lectures 216. und Death Technology.16Vgl. Savin-Baden, Maggi, Digital Afterlife and the Spiritual Realm, Boca Raton 2022; Savin-Baden, Maggi/Mason-Robbie, Victoria (Hrsg.), Digital Afterlife. Death Matters in a Digital Age, Boca Raton 2020; Savin-Baden, Maggi, AI for Death and Dying (AI for Everything), Boca Raton 2022; Savin-Baden, Maggi/Burden, David/Taylor, Helen, The Ethics and Impact of Digital Immortality, in: Knowledge Cultures 5 (2017), 178; Puzio, Anna, When the Digital Continues After Death. Ethical Perspectives on Death Tech and the Digital Afterlife, in: Communicatio Socialis 56 (2023), 427–436. Death Technology umfasst Technologien rund um das Thema Tod wie digitale Trauerräume und „Beath Bots (auch Grief Bots)“, d. h. Avatare und Bots von verstorbenen Personen, die theologische Jenseits- und Unsterblichkeitsvorstellungen herausfordern („digitales Jenseits“) und die Orte der Trauerarbeit ins Digitale ausweiten.17Vgl. Puzio, Digital. Über die systematischen Theologien hinaus gibt es viel Forschung zu KI in den Bereichen religiöse Praxis, Religionsdidaktik, Religionspädagogik und Pastoral/Seelsorge.18Vgl. Pirker, Viera/Pišonić, Klara (Hrsg.), Virtuelle Realität und Transzendenz. Theologische und didaktische Erkundungen, Freiburg/Basel/Wien 2022.
2. Transformation theologischer Konzepte
In der theologischen Beschäftigung mit KI wird deutlich, dass sich theologische Konzepte und Theorien durch die Technologisierung verändern und neue Reflexionen und Ansätze nötig werden. Besonders gefragt im Kontext von KI ist z. B. die theologische Anthropologie und damit verbunden der Personenbegriff, die Inkarnationslehre und die imago-Dei-Lehre.19Vgl. Thweatt-Bates, Selves; Kull, Anne, A Theology of Technonature Based on Donna Haraway and Paul Tillich, Ann Arbor 2000; Kull, Anne, Cyborg Embodiment and the Incarnation, in: Currents in Theology and Mission 28 (2001), 279–284; O’Donnell, Karen, Performing the Imago Dei. Human Enhancement, Artificial Intelligence and Optative Image-Bearing, in: International Journal for the Study of the Christian Church 18 (2018), 4–15; Herzfeld, Noreen L., In Our Image. Artificial Intelligence and the Human Spirit (Theology and the Sciences), Minneapolis 2002; Reichel/Oorschot, Theologies. Durch die zunehmenden Fähigkeiten der KI, die dem Menschen immer ähnlicher wird, werden Anfragen an die christlichen Menschenbilder gestellt. Außerdem wird der Mensch durch KI immer weiter verändert und rückt in enge Beziehung mit medizinischen Technologien, Robotern oder Chatbots. Es entsteht ein anthropologisches Orientierungsbedürfnis: Wie sieht der Mensch der Zukunft aus (oder wie sollte der Mensch aus theologischer Perspektive aussehen)? Wie unterscheiden sich Mensch und Technik und wie sieht ihr Verhältnis in der Zukunft aus? Es nehmen vor allem relationale Auslegungen des Menschenbilds und der imago-Dei-Lehre an Bedeutung zu. Konzepte z. B. des Kritischen Posthumanismus bzw. Neuen Materialismus wie die Cyborg-Figur oder Hybridität werden rezipiert und in die Theologie übertragen.20Vgl. Ott, Computers; Ott, Kate, New Creation and Digital Society, in: Long, D. Stephen/Miles, Rebekah L. (Hrsg.), The Routledge Companion to Christian Ethics, London 2022, 509–520; Ott, Kate, The ArchAndroid and Her Kin. Cyborgs, Sexuality, and Justice-Love, Würzburg 2023; Thweatt-Bates, Selves; Puzio, Anna, Zeig mir deine Technik und ich sag dir, wer du bist? Was Technikanthropologie ist und warum wir sie dringend brauchen, in: Diebel-Fischer, Hermann et al. (Hrsg.), Mensch und Maschine im Zeitalter „Künstlicher Intelligenz“, Münster 2023, 9–28; Garner, Stephen, The Hopeful Cyborg, in: Cole-Turner, Ronald (Hrsg.), Transhumanism and Transcendence. Christian Hope in an Age of Technological Enhancement, Washington 2011, 87–100; Midson, Scott A., Cyborg Theology. Humans, Technology and God, London/New York 2018; Savin-Baden, Maggi/Reader, John (Hrsg.), Postdigital Theologies. Technology, Belief, and Practice (Postdigital Science and Education), Cham 2022; Reader, John, Theology and New Materialism. Spaces of Faithful Dissent, Cham 2017. Außerdem werden die Konzepte Person und imago Dei bisweilen auch auf KI und Roboter ausgeweitet.21Vgl. O’Donnell, Imago Dei; Smith, Theology. In diesem Kontext (und darüber hinaus) kommt es zunehmend zu Ansätzen, die Queerness, Rassismuskritik und postkoloniale Perspektiven fokussieren.22Vgl. Ott, Computers; Ott, Creation; Singler, Beth/Watts, Fraser N./Butler, Philip, Black Theology X Artificial Intelligence, in: Singler, Beth/Watts, Fraser N. (Hrsg.), The Cambridge Companion to Religion and Artificial Intelligence, Cambridge 2024; Thornton, Max, Cyborg Trans/Criptions. Gender, Disability, and the Image of God, Madison 2021; Wirth, Trans-Körper; Savin-Baden/Reader, Theologies. Siehe auch das Journal „Feminist Theology”.
3. Dialog mit Religionen und nicht-westlichen Philosophien
Ein wichtiges Desiderat für die theologische Erforschung der KI stellen die Zusammenarbeit und der Dialog mit anderen Religionen und nicht-westlichen Philosophien dar. Die Religionen unterscheiden sich in ihrer Haltung zu KI aufgrund ihrer Lehren und Konzepte, ihres Umgangs mit Bildern, ihrer Formen der Verehrung von Gottheiten, ihrer Auffassung davon, was als heilig gilt, und ihrer Vorstellungen von belebt und unbelebt. Viele nicht-monotheistische Religionen und philosophische Ansätze sind u. a. wegen ihres offeneren Verhältnisses zu nicht-menschlichen Entitäten wie Technik und durch ihre weniger scharfe Trennung von „spirit“ und „matter“ aufgeschlossener und positiver neuen Technologien gegenüber.23Es gibt allerdings auch große Unterschiede innerhalb der Religionen und philosophischen Ansätze, so werden z. B. aus der Perspektive von Ubuntu gegensätzliche Aussagen vertreten, ob die Beziehung zu KI und Robotern mit dem Relationalitätsverständnis von Ubuntu zu vereinbaren sind oder dieses ausschließlich anthropozentrisch bleibt. Vgl. z. B. Friedman, Cindy, Ethical Concerns with Replacing Human Relations with Humanoid Robots. An Ubuntu Perspective, in: AI Ethics 3 (2023), 527–538; Wareham, C. S., Artificial Intelligence and African Conceptions of Personhood, in: Ethics and Information Technology 23 (2021), 127–136.
Subsaharisch-afrikanische Ansätze sprechen von einem „web of life”,24Behrens, Kevin Gary, An African Relational Environmentalism and Moral Considerability, in: Environmental Ethics 36 (2014), 63–82; Chemhuru, Munamato, The Moral Status of Nature. An African Understanding, in: Chemhuru, Munamato (Hrsg.), African Environmental Ethics (The International Library of Environmental, Agricultural and Food Ethics 29), Cham 2019, 29–46; Dzobo, Noah K., Values in a Changing Society. Man, Ancestors and God, in: Wiredu, Kwasi/Gyekye, Kwame (Hrsg.), Person and Community. Ghanaian Philosophical Studies 1 (Cultural Heritage and Contemporary Change 1), Washington D.C. 2010, 223–240. in dem alle menschlichen und nicht-menschlichen Entitäten verbunden und darin eingewoben sind. Damit tragen auch Flüsse zum Leben der anderen bei und können in einer gewissen Weise als lebendig angesehen werden. Die Fülle des Lebens wird nur aus dieser Verbundenheit allen Lebens erreicht.25Vgl. Behrens, Environmentalism; Chemhuru, Status. Ubuntu zeichnet sich durch ein sehr relationales Menschenverständnis aus: Der Mensch wird erst durch die Beziehung zu anderen zum Menschen. Hier gibt es einige Ansätze, dass Personsein auch durch Beziehungen zu nicht-menschlichen Entitäten entsteht und auch Robotern zugeschrieben werden kann. 26Vgl. Jecker, Nancy S./Atiure, Caesar A./Ajei, Martin Odei, The Moral Standing of Social Robots. Untapped Insights from Africa, in: Philosophy & Technology 35 (2022), 34; Wareham, Intelligence.
Shinto-inspirierter Techno-Animismus in Japan trennt „matter“ und „spirit“ nicht und hat großes Potenzial, nichtmenschliche Entitäten als moralische Akteure anzuerkennen und Roboter als belebt zu betrachten.27Vgl. Jecker/Atiure/Ajei, Standing; Jensen, Casper Bruun/Blok, Anders, Techno-animism in Japan. Shinto Cosmograms, Actor-network Theory, and the Enabling Powers of Non-human Agencies, in: Theory, Culture & Society 30 (2013), 84–115; Kasulis, Thomas, Japanese Philosophy, in: Zalta, Edward N. (Hrsg.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Summer 2019 Edition).
Außerdem finden viele Ansätze z. B. des Judentums28Vgl. Kalman, David Zvi, Artificial Intelligence and Jewish Thought, in: Singler, Beth/Watts, Fraser N. (Hrsg.), The Cambridge Companion to Religion and Artificial Intelligence, Cambridge 2024; Tirosh-Samuelson, Hava, Jewish Philosophy and the Critique of AI Technology, in: Puzio, Anna et al. (Hrsg.), Alexa, wie hast du’s mit der Religion? Theologische Zugänge zu Technik und Künstlicher Intelligenz (Theologie und Künstliche Intelligenz Volume 1), Darmstadt 2023, 235–257., Islams29Vgl. Chaudhary, Yaqub, Islam and Artificial Intelligence, in: Singler, Beth/Watts, Fraser N. (Hrsg.), The Cambridge Companion to Religion and Artificial Intelligence, Cambridge 2024., Buddhismus30Vgl. Gould, Hannah/Nishimura, Keiko, The Buddha in AI/Robotics, in: Singler, Beth/Watts, Fraser N. (Hrsg.), The Cambridge Companion to Religion and Artificial Intelligence, Cambridge 2024; Bombaerts, Gunter et al., Attention as Practice. Buddhist Ethics Responses to Persuasive Technologies, in: Global Philosophy 33 (2023), 25., Hinduismus31Vgl. Geraci, Robert M./Kaplan, Stephen, Hinduism and Artificial Intelligence, in: Singler, Beth/Watts, Fraser N. (Hrsg.), The Cambridge Companion to Religion and Artificial Intelligence, Cambridge 2024., Daoismus und Konfuzianismus32Vgl. Sta. Maria, Joseph E., Human Nature’s Self-Revealing. A Rapport between Heideggerian Physis and Techne, and Classical Chinese Philosophy, in: Thonhauser, Gerhard (Hrsg.), Perspektiven mit Heidegger. Zugänge – Pfade – Anknüpfungen, Freiburg/München 2017, 313–325; Sta. Maria, Joseph E./Ziliotti, Elena, Addressing Online Gaming Toxicity from a Confucian Perspective, in: Journal of Confucian Philosophy and Culture 38 (2022), 131−152; Dennis, Matthew/Ziliotti, Elena, Living Well Together Online. Digital Wellbeing from a Confucian Perspective, in: Journal of Applied Philosophy 40 (2023), 263–279. Eingang in die Technikethik.
Dadurch dass KI alle menschlichen Lebensbereiche grundlegend verändert und religiöse Praktiken sowie theologische Arbeitsweisen und Methoden transformiert, stellt sie einen Wendepunkt für Theologien und Religionen dar. Die Transformation unserer Selbstverständnisse, unserer Gesellschaften und Umwelt (besser: Mitwelt) erfordert auch eine Transformation von Religion und theologischer Reflexion.